Frankfurter Rundschau
03. Dezember 2003


Im Krieg verlieren Zivilisten die Orientierung
Das Navigationssystem Galileo könnte Millionen Autofahrern helfen - wenn Militärs es nicht stören

Von Susanne Härpfer

Der Traum der Europäer, sich mit ihrem eigenen Navigationssystem "Galileo" von den USA unabhängiger zu machen, ist ausgeträumt. Washington setzte seine wirtschaftlichen und militärischen Interessen durch.

Ohne Mitsprache Europas, das kam bei Verhandlungen in Den Haag heraus, kann Washington Galileo in Kriegs- und Krisenfällen lokal abschalten beziehungsweise beeinflussen - genau wie das bereits laufende US-amerikanische "global positioning system" (gps).

Dahinter stecken unter anderem die Militärs. Raketen, Bomben und Marschflugkörper finden per gps ihr Ziel, und mit dem System lassen sich Truppenbewegungen lokalisieren. Deshalb behält sich das US-Verteidigungsministerium vor, Signale zu verändern oder zu stören. Das ist bereits mehrfach geschehen, zum Beispiel während des Kosovo-Kriegs.

Davon sind im Ernstfall auch die zivilen Nutzer betroffen. Etwa 1,3 Millionen Autos in Europa haben einen gps-Empfänger an Bord, mit dem sich die genaue Position des Fahrzeugs berechnen lässt und somit auch gewünschte Routen. Während des Irak-Kriegs warnte der ADAC seine Mitglieder davor, sich auf gps zu verlassen. Der Automobilclub befürchtete, die USA könnten ihr System einschränken.

Eine solche Einschränkung sei mit der Unabhängigkeit europäischer Staaten nicht zu vereinbaren, wetterte Rainer Hertrich. Für ihn war Galileo "ein Muss". Kein Wunder - er ist Vorstandsvorsitzender des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, und der wäre einer der Hauptnutznießer des geplanten Galileo-Projekts.

Über Galileo wird wie über andere Wirtschaftsgüter verhandelt. Aber es ist eine klassische "dual use"-Technik, die zivil und militärisch genutzt werden kann. Trotzdem wurde immer betont, das europäische Projekt sei rein zivil. "Das mag daran liegen, dass es keine Zustimmung des EU-Ministerrats für Galileo gegeben hätte, wenn gesagt worden wäre, dass ein spezieller militärischer Code entwickelt werden soll", vermutet der europäische Verhandlungsführer Heinz Hilbrecht. Sind die Minister also hinters Licht geführt worden? Oder hat keiner nachgefragt?



Susanne Härpfer ist freie Fernseh-Journalistin.