Frankfurter Rundschau
07. Januar 2003

(Nachdruck in
Schiff & Hafen, März 2003)


Schiffe als Waffe

von Susanne Härpfer

Sicherheitskonzepte für Häfen und Tanker sind löchrig, unglaubwürdig und bei Wirtschafts-Lobbyisten unerwünscht Vertreter der Weltschifffahrtsorganisation IMO berieten im Dezember in London über die Terrorismus-Abwehr. Eine Veranstaltung, die mehr Fragen aufwarf als beantwortete. So sollen ausgerechnet Fähren nicht zu streng kontrolliert werden. Das heillose Kompetenz-Wirrwarr in Deutschland macht Konzepte der Gewaltbekämpfung auf hoher See und an Küsten nicht gerade glaubwürdiger. Wir dokumentieren eine Zusammenfassung der Sicherheits-Tagung durch die Berliner Fernsehjournalistin Susanne Härpfer.

Über den Schutz vor maritimem Terror wird von "Kabul" beraten - dem Koordinierungs-Ausschuss Bund und Länder. Dieser Kalauer machte die Runde in der deutschen Delegation auf der Konferenz der International Maritime Organization (IMO) in London. Auf der jüngsten Tagung der internationalen Schifffahrtsorganisation der Vereinten Nationen sollten Maßnahmen gegen Terrorismus zur See beschlossen werden. Doch umsetzen und damit bezahlen müssten die Maßnahmen in Deutschland zumindest die Länder. Deshalb sollen in Zukunft die Drähte bei "Kabul" zusammenlaufen.

Seit mit dem 11. September das Unvorstellbare wahr wurde, fragen sich nicht nur Sicherheitsexperten: Was kommt als Nächstes? Die Terroristen sind in die Lufthoheit der Weltmacht eingedrungen. Folgt man der Logik, müssten sie nun an Land und auf See attackieren. Denkbar wäre das Szenario: Terroristen entführen mehrere Chemietanker gleichzeitig und lassen sie in Häfen explodieren. Besonders betroffen: Rotterdam, London, Tokio, Singapur oder auch Hamburg. Wie real die Bedrohung ist, zeigte sich im Oktober 2001. Attentäter versenkten den Tanker "MV Silk Pride" vor der Küste von Sri Lanka, ein weiterer Öltanker wurde entführt, konnte aber zurückerobert werden. Nach dem Anschlag auf den französischen Öltanker "Limburg" vor Jemen gab es konkrete Warnungen für die norddeutsche Küste. Und als kürzlich in Hamburg ein Nato-Verband von Minenabwehrbooten zu Besuch war, gab es eine Terrordrohung. Sieben Schiffe wurden verlegt. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Grund genug also, sich Gedanken um die Sicherheit von Schiffen und Häfen zu machen. Die Delegierten der Konferenz beschlossen, die bisherige SOLAS-Konvention zu erweitern (Safety of life at sea). Bislang kümmerte sich die IMO nur um Sicherheitsfragen wie Rettungsboote und Schwimmwesten. Auf Druck der USA verhandelten die Delegierten im Dezember erstmals auch über Maßnahmen gegen den Terrorismus.

Ausnahmen sind die Regel

Doch ausgerechnet Fähren haben eine Ausnahmegenehmigung erhalten. Sie müssen nicht so stark kontrolliert werden. Dabei befürchten Sicherheitsexperten gerade Anschläge auf Fähren. Das Bundeskriminalamt (BKA) gab im vorigen Frühjahr eine Anschlagswarnung heraus. Auch im November soll das BKA nach Angaben des schleswig-holsteinischen Innenministeriums in Kiel vor Anschlägen auf den Fährverkehr in ganz Europa gewarnt haben. Dennoch fürchtet die skandinavische Delegation genervte Urlauber mehr als Terroristen. "Strenge Sicherheitsmaßnahmen", so das offizielle Papier, würden dazu führen, dass Schiffe nicht mehr wettbewerbsfähig und somit "Firmen raus aus dem Geschäft" wären. Für Matthias Höpfner, stellvertretender Leiter der Wirtschaftsabteilung des Auswärtigen Amts, ist die Regelung ein Kompromiss. Er hofft auf das Verantwortungsbewusstsein der Regierungen. Wenn allerdings die beiden Staaten, die eine Fähre anläuft, unterschiedliche Sicherheitsvorstellungen haben sollten, müsse im Notfall ein bilaterales Abkommen her.

Ausnahmeregelungen gibt es auch für Häfen. Das haben die deutsche und die niederländische Delegation durchgesetzt. "Andere Sicherheitsmaßnahmen müssen aber gleichwertig sein", beteuert Delegationsleiter Höpfner. Sie hätten den Passus rein aus formalen Gründen eingesetzt und um kleine Häfen vor wirtschaftlich nicht vertretbaren Folgen zu bewahren. Kleine Häfen mit Gefahrgut können aber gefährdeter als große sein. Und ein Definitionskatalog für die Ausnahmen fehlt im Text. Ausgerechnet Mecklenburg-Vorpommern soll sich gegen die Maßnahmen zur Sicherung von Häfen gewehrt haben. Dabei ist gerade dort die Küste besonders von Katastrophen bedroht. Ein Anschlag oder simples Tankerunglück würde den Tourismus auf lange Sicht lahm legen.

Wie groß ist die Gefahr in Häfen? Eine Risikoanalyse sollte ursprünglich allen IMO-Staaten zwingend vorgeschrieben werden. "Doch die wollen nur das Stück Hafen beim Beladen eines Schiffs untersuchen", schüttelt Paul Pluta den Kopf. Der Konteradmiral der amerikanischen Küstenwache ist zugleich Leiter der US-Delegation auf der IMO. Er ist froh, dass ihnen der "Maritime Security Act" im vergangenen Jahr die Möglichkeit gegeben hat, weltweit alle Häfen unter die Lupe zu nehmen. Sollten dabei gravierende Sicherheitsmängel auftreten, würden die Betreffenden schon den Unwillen der Amerikaner zu spüren bekommen.

Wohl auch deshalb ist Hamburg vorgeprescht. Zum Schutz vor drohenden Terroranschlägen wurde eine 30-köpfige Hafensicherheitskommission gegründet. Polizei, Zoll, Katastrophenschutz, Landesbehörden und Hafenwirtschaft sollen Szenarien durchdenken und Gefahrenanalysen erarbeiten. Immerhin hält nicht nur der Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, Heino Vahldieck, den Hamburger Hafen für ein "besonders gefährdetes Anschlagsziel". Doch ginge es nach der IMO, wären solche Maßnahmen nicht nötig. Die IMO sei eine Schifffahrtsorganisation, daher könnten sie sich auch nicht mit der Terrorismusgefahr in Häfen insgesamt befassen, so die offizielle Begründung. Dabei weiß die Schifffahrtsorganisation, dass gerade in europäischen Häfen die meisten blinden Passagiere zusteigen bzw. dort geschnappt werden. In Calais waren es 698 stowaways, wie sie im Fachjargon genannt werden, im belgischen Zeebrügge 424 im Jahr 2000. Und wo blinde Passagiere unbemerkt an Bord gehen können, ist dies auch Terroristen möglich.

 

Susanne Härpfer ist freie Fernsehjournalistin.