Financial Times Deutschland
20. März 2003


Wenn Präzisionswaffen vom Weg abkommen - Die USA erwarten einen schnellen Sieg über Irak, aber es drohen zahlreiche Risiken

von Gerhard Piper


Wenn die erste Rakete abgefeuert ist, wird sich zeigen, wie schnell ein Krieg gegen Irak tatsächlich zu gewinnen ist. Die Gegner könnten ungleicher nicht sein. Auf der einen Seite steht der geschwächte Irak, auf der anderen Seite die Supermacht USA. Aber jeder Krieg hat Eigenheiten, die die Generalität auch in 18 Monaten Vorbereitungszeit nicht erfassen kann. Die Militärs haben dafür ein Wort erfunden: "Friktion" nannte es General Clausewitz, die Amerikaner sprechen von "Fog of War".

Schon in der ersten Phase, den Angriffen der amerikanischen Luftwaffe, ist ein reibungsloser Ablauf keineswegs garantiert. Die von den Stealth-Flugzeugen abgeschossenen hypermoderne Lenkbomben, die auf Laserstrahlen in ihr Ziel reiten, und Präzisionsbomben, die sich mit Hilfe von Navigationssatelliten ins Zielobjekt steuern, können wahrscheinlich bei ihrem Angriff gestört werden. Zur Ablenkung der lasergelenkten Bomben genügt schon ein großes anzuzünden. Durch das Flackern der erhitzten Luft und die aufsteigenden Rußwolken würden die vermeintlichen Präzisionswaffen von ihrem Ziel abgelenkt werden.

Die irakische Armee könnte auf diese Weise mit mittelalterlichen Methoden modernste Technik austricksen. Die Zielplanung ist ohnehin nicht fehlerfrei. Zudem könnte ein Pilot durch konzentriertes Luftabwehrfeuer gezwungen werden, einen Angriff abzubrechen, nachdem er die Bombe ausgelöst, aber noch nicht ins Ziel gelenkt hat. In diesen Fällen würden die Sprengkörper irgendwo explodieren und immense "Kollateralschäden" auslösen. Der Protest der Weltöffentlichkeit wäre gewiß.

Wenn der Luftkrieg abgeschlossen ist, sollen die Bodentruppen vorstoßen. Allein in Kuwait sind auf einer Frontbreite von 195 km beinahe 150.000 US-Soldaten aufmarschiert. Kampfhubschrauber Apache sollen schnell vorstoßen, unter ihrem Schutz folgen die Kampfpanzer Abrams und die Schützenpanzer Bradley. Die 500 Kilometer lange Strecke von Kuwait nach Bagdad besteht jedoch zu einem großen Teil aus Sumpfgebiet und Wüste. Zudem hat der Irak das Gebiet vermint und an den Stellen, wo ein Flußübergang über den Euphrat (Nahr al Furat) oder den Tigris (Nahr Dijlah) möglich ist, warten die Iraker. Sandstürme gefährden die Lufteinheiten. Schon im Februar stürzte ein Blackhawk-Hubschrauber ab, dabei kamen vier US-Soldaten aus Giebelstadt ums Leben.

Früher oder später müssen die US-Truppen in zivile Wohngebiete eindringen, das nennt man im Fachjargon Military Operations in Urban Terrain (MOUT). Durch den Einsatz von Heckenschützen und Sprengfallen ist dieser Häuserkampf besonders verlustreich. Weil im Kampfgetümmel manchmal nicht klar ist, wer auf wen schießt, müssen die US-Streitkräfte mit Todesopfern durch "friendly fire" rechnen.

Risiken birgt für die USA darüber hinaus ein irakischer Angriff mit biologischen oder chemischen Waffen. Die Amerikaner sind darauf unzureichend vorbereitet. Um die Massenvernichtungswaffen präventiv auszuschalten benötigt man Bomben, die in die Munitionsbunker in 30 m Tiefe eindringen, die Bunkerwand durchschlagen und die dort gelagerten Waffen rückstandslos vernichten. Die GBU-28 Paveway der USA kann zwar 35 m tief in den Boden eindringen. Die Betonwand des Bunkers kann sie jedoch nicht knacken. Bisher fehlt eine so genannte Bunkerbuster-Agent Defeat-Bombe.

Wenn Massenvernichtungsmittel eingesetzt werden, muß das amerikanische Hauptquartier ABC-Alarm auslösen: Mission Oriented Protection Posture 4 (MOPP 4). Dann müssen die Soldaten ihren Schutzanzug SCALP überstreifen. Nach der Militärvorschrift FM 3-7 ist ein Soldat unter solchen Gefechtsbedingungen nur 30 Minuten pro Tag voll kampftauglich. Die US-Regierung hat klargestellt, sie wird in diesem Fall Nuklearwaffen einsetzen. Dies besagt die geheime US-Präsidentendirektive NSPD 17 vom Mai 2002.

Innenpolitisch viel dramatischer als ein verzögerter Angriff wäre für die USA jedoch, wenn der Krieg auf amerikanischen Boden überschwappen würde. Zwar ist es wohl nur Rhetorik, wenn Saddam Hussein einen globalen Krieg ankündigt, aber mit dem Kommando 999 hat der irakische Diktator zumindest entsprechend ausgebildete Männer, um weltweit zuzuschlagen.