telepolis
02. Januar 2001


Spionageprozess gegen Friedensforscher
Gerhard Piper

Wieder einmal versucht der russische Geheimdienst mit alten Mitteln, gegen die Veröffentlichung von Informationen vorzugehen.

Am 26. Dezember 2000 begann in Kaluga bei Moskau der Prozess gegen Igor Sutyagin, einem Wissenschaftler vom renommierten Institut für amerikanische und kanadische Studien in Moskau. Die Anklage gegen Sutyagin, der seit über einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt, ist auf den ersten Blick schwerwiegend: Landesverrat wirft ihm der russische Inlandsgeheimdienst FSB vor. Dafür drohen dem Friedensforscher bis zu zwanzig Jahren Gefängnis. Zu Beginn des Prozesses erklärte der Verteidiger von Sutyagin, Vladimir Vasiltsov: "Man darf alles lesen, was man möchte, aber man sollte es nicht wagen, die Daten zu vergleichen und zu analysieren, dann das könnte ein Staatsgeheimnis produzieren." Nach kurzer Anhörung der Prozessparteien vertagte sich das Gericht auf den 9. Januar 2001.

Sutyagin war am 27. Oktober 1999 verhaftet worden, sein Freund und Kollege Joshua Handler wurde vorrübergehend festgenommen. Handler arbeitet an der Princeton University und hat sich als früherer Mitarbeiter von Greenpeace in der internationalen Bewegung zur Abschaffung der Atomwaffen einen Namen gemacht. Er wurde schon nach wenigen Tagen wieder freigelassen und hat Russland am 5. November 1999 verlassen, Sutyagin hingegen blieb inhaftiert.

Scheinbarer Anlass für die Festnahme war seine Arbeit über russische Nuklearwaffen, die u. a. dokumentiert ist in dem Buch "Russische Strategische Nuklearwaffen". Dieses 480-Seiten umfassende Standardwerk war im Oktober 1998, also bereits ein Jahr zuvor, erschienen. Herausgeber des Buches ist Pavel Podvig, Leiter des Zentrums für Rüstungskontrollstudien in Moskau. Zwar wurde dessen Büro ebenfalls durchsucht, aber Podvig selbst blieb überraschenderweise unbehelligt. Die Publikation stützte sich ausschließlich auf jedermann zugängliche Quellen, wie der stellvertretende Leiter des Institutes für amerikanisch-kanadische Studien Viktor Kremenyuk  betonte.

Nachdem sein Buchbeitrag für eine Anklage nicht ausreichte, änderten die FSB-Agenten im Juni ihre Verdachtsmomente. Sie beschuldigten den Wissenschaftler für Kanada spioniert zu haben. So habe dieser sich 1998 an einem Projekt der Universitäten von York und Carleton zur Erforschung der zivil-militärischen Beziehungen in zwölf osteuropäischen Ländern beteiligt, das u.a. vom kanadischen Verteidigungsministerium im Rahmen der NATO-Initiative "Partnerschaft für den Frieden" gefördert wurde.

Am 1. Juli dann musste der FSB kleinlaut eingestehen, dass Sutyagin nicht gegen den Wortlaut des russischen Strafgesetzbuches verstoßen habe. Stattdessen versuchte der FSB die Inhaftierung mit einer eigenwilligen Interpretation der Gesetzeslage zu rechtfertigen: So sei die Weitergabe von Informationen gegen Bezahlung auch dann ein Verstoß gegen russische Sicherheitsinteressen, wenn es sich bei diesen Daten nicht um Staatsgeheimnisse handelt. Der ermittelnde Geheimdienstbeamte Viktor Kalashnikov weigerte sich, konkretere Angaben zu den Vorwürfen gegen Sutyagin zu machen.

Aber auch die kanadische Spur förderte offensichtlich keine nennenswerten Erkenntnisse zu Tage, so dass die FSB-Ermittler schließlich auf die Idee kamen, Sutyagin habe weder für die Amerikaner, noch für die Kanadier spioniert, sondern für die Engländer. Danach hat Sutyagin für ein britisches Consulting-Unternehmen Information über die russische Wirtschaft bereitgestellt.

Offensichtlich suchte der FSB für seinen Verdächtigen erst noch eine passende Anklage, weil es dem Dienst schwer fiel einzugestehen, dass man bei der Verhaftung von Sutyagin ziemlich übereifrig agiert hatte. Schließlich ist dieser Fall nicht das erste Mal, dass Agenten mit Geheimdienstparanoia gegen einen kritischen Journalisten oder Wissenschaftler vorgehen. Erst im letzten Jahr endeten die jahrelangen Spionageprozesse gegen den Marineoffizier Alexander Nikitin ( Hochverrat eines Umweltschützers?) und den Journalisten Grigory Pasko mit zwei Freisprüchen.

Weil mittlerweile völlig unklar ist, warum der Sicherheitsdienst Sutyagin überhaupt festgenommen hat, ist man nun gespannt, mit welchen neuen, geheimen Sensationen der Staatsanwalt im Prozess aufwarten wird.  Zunächst wärmte der Staatsanwalt die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Sutyagin und Handler auf und verdächtigte Handler, ein amerikanischer Agent zu sein. Wenn dem so wäre, warum hat dann der FSB Handler damals nicht verhaftet, könnte man einwerfen. Zwar findet der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, aber Kollegen haben für Sutyagin im Internet eine eigene Solidaritäts-Website eingerichtet, die über die aktuellen Entwicklungen berichten wird.

Der russische Präsident Wladimir Putin müsste sich eigentlich bewusst darüber sein, dass Geheimdienstallüren wie im Falle Sutyagin den Beziehungen Russlands zum Westen schaden können. Stattdessen gab es, seitdem dieser frühere FSB-Direktor die Nachfolge Jelzins als Präsident Russlands angetreten hat, wiederholt Hinweise darauf, dass die russischen Geheimdienste wieder mit alter Machtfülle ausgestattet werden sollen. Erst im September 2000  verschärfte der nationale Sicherheitsrat mit einer sogenannten  Doktrin zur Informationssicherheit die Pressekontrolle.

Insbesondere über die neuen Informationsmöglichkeiten durch die Ausbreitung des Internets in Russland mit seinen derzeit 1 Million Usern und 18.000 Websites strebt die russische Regierung eine  verschärfte Kontrolle an. Dazu entwickelte der FSB ein elektronisches Überwachungsprogramm: Sistema Operativno-Rozysknykh Meropriayatii (SORM-2) ( Das Oberste Gericht Russlands schränkt das Lauschgesetz SORM ein).

 

Gerhard Piper ist Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).