Telepolis
05. August 2015


Hiroshima: Angriffsbefehl kam aus Deutschland

Über die Entscheidung während der Potsdamer Konferenz

von Gerhard Piper

Am 6. August 1945 jährt sich der Atombombenangriff auf Hiroshima zum 70. Mal. Mittlerweile sind über 280.000 Menschen an den Folgen dieses Angriffes verstorben. Die letzten Überlebenden, die so genannten Hibakushas, werden sich - wie jedes Jahr - im Friedenspark von Hiroshima versammeln um der Opfer zu gedenken. Oft wird übersehen, dass der Einsatzbefehl zur Vernichtung der Stadt aus Deutschland kam, weil der verantwortliche US-Präsident Harry S. Truman damals an der Potsdamer Konferenz teilnahm.


Fertigstellung der Bomben

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf dem europäischen Kriegsschauplatz trafen sich die Regierungschefs der drei beteiligten Siegermächte im Schloss Cecilienhof in Potsdam, um Vereinbarungen über die Fortsetzung des Krieges in Fernost und die weitere Nachkriegsordnung auszuhandeln.

Die USA wurden durch ihren Präsidenten Harry S. Truman vertreten, die Sowjetunion durch Josef Wissarionowitsch Stalin. Die britische Regierung wurde zunächst durch Winston Churchill repräsentiert, nach dessen Wahlniederlage übernahm am 28. Juli Clement Richard Attlee diese Funktion. Frankreich, das im Zweiten Weltkrieg von Deutschland großenteils besetzt worden war, galt damals offiziell noch nicht als Siegermacht und war daher nicht an der internationalen Konferenz beteiligt.

Nach einer Pleite als Inhaber eines Krämerladens für Herrenkonfektion (Hüte, Handschuhe und Gürtel) hatte Harry S. Truman jahrelang als Straßenbauingenieur gearbeitet und in Abendkursen Jura studiert. Im Jahr 1934 avancierte er zum Senator für Missouri. Im Präsidentschaftswahlkampf 1944 machte ihn US-Präsident Franklin Delano Roosevelt zu seinem Kandidaten für den Posten des Vizepräsidenten.

Nach dem gemeinsamen Wahlsieg wurde Truman am 20. Januar 1945 formal zum US-Vizepräsidenten ernannt. Trotz dieses Titels hatte Truman zunächst keinerlei Einfluss auf die politischen Entscheidungen der US-Regierung. Dies änderte sich drei Monate später, als Roosevelt am 12. April 1945 plötzlich an einem Schlaganfall verstarb und Truman noch am selben Tag sein Nachfolger wurde. Einen Tag später erfuhr Truman durch den Kriegsminister Henry Lewis Stimson, dass die US-Regierung seit Jahren an einer neuartigen Bombe arbeitete. In seinen Memoiren berichtete Truman 1955:

Er wolle, sagte er, mit mir über eine äußerst dringliche Sache reden. Ein riesiges Projekt sei in Ausführung begriffen - ein Projekt zur Entwicklung eines neuen Explosivstoffes von fast unglaublicher Zerstörungskraft. Mehr glaube er im Moment nicht sagen zu dürfen. Seine Mitteilung klang rätselhaft und verblüffte mich, es handelte sich um die erste karge Information, die ich über die Atombombe erhielt.
Harry Truman

Erst am 24. April 1945 erfuhr Truman durch den damaligen Rüstungsminister James Francis Byrnes und den Chef der Abteilung für Wissenschaftliche Forschung Vannevar Bush technische Details der so genannten Atombombe.


Bis Februar 1945 galt Deutschland als alleiniges Atombombenziel

Die US-Regierung hatte in den Jahren 1939 bis 1942 nach und nach die Entwicklung einer Atombombe im Rahmen des so genannten Manhattan Project[ 1 ] aufgenommen, weil auch das Deutsche Reich an einer solchen Bombe arbeitete[ 2 ]. Mit der Produktion einer eigenen Bombe wollte die Regierung in Washington einer deutschen Atombombe zuvorkommen und ihre Waffe gegebenenfalls gegen Deutschland einsetzen. Als potentielle Ziele galt zunächst die Reichhauptstadt Berlin. Später stand die Industriezone Mannheim/Ludwigshafen ganz oben auf der imaginären Zielliste, aber auch andere potentielle Ziele werden in der Literatur genannt, so z. B. Dresden.

Zumindest noch bis Februar 1945 galt Deutschland als alleiniges Atombombenziel. Aber da die alliierten Truppen nach der Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 überraschend schnell vorstoßen konnten, wurden diese Einsatzüberlegungen mit der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 obsolet. Eigentlich hatten die Alliierten die deutsche Niederlage erst für den Herbst 1945 erwartet, dann wäre Deutschland tatsächlich noch das Ziel eines US-Atombombenangriffs geworden. Da der Krieg nach der deutschen Niederlage gegen das japanische Kaiserreich weiter andauerte, rückten nun dessen Städte ins Visier des US-Militärs.

Aber noch war die Atombombe nicht fertig gestellt und niemand wusste, ob sie überhaupt funktionieren würde. Die Nuklearwissenschaftler hatten mit dem ersten Test noch warten wollen. Am 31. Mai 1945 traf sich der Wissenschaftliche Beirat mit Kriegsminister Stimson, und die Wissenschaftler meinten, ein erster Test könne zwischen Anfang und Mitte August stattfinden. Aber die projektbeteiligten Militärs unter Führung von Generalmajor Leslie Richard Groves drängten auf einen früheren Termin. Sie wollten den Test zum Beginn der Potsdamer Konferenz durchführen, damit ein Testerfolg der US-Delegation den Rücken in den schwierigen Verhandlungen mit der Sowjetunion stärken sollte. So wurde schließlich der 16. Juli 1945 als Testdatum festgelegt, obwohl die Wetterprognosen für diesen Tag ungünstig waren.

An Morgen des 16. Juli, um 5.30 Uhr Ortszeit, wurde in der abgelegenen Wüste des US-Bundesstaates New Mexico, in einem Tal mit dem Namen "Jornada de la Muerte", die erste Atombombe gezündet. Der Codename für den Test lautete TRINITY. Bei dem Prototypen mit dem Codenamen CHRISTIE handelte es sich um eine neuartige Bombe, die als Kernmaterial hochangereichertes Plutonium-239 enthielt und nach dem Implosionsprinzip funktionierte. Noch handelte es sich nicht um eine flugfähige Bombe, stattdessen platzierte man das "device" auf einen rund 35 Meter hohen Stahlturm, der bei der Explosion vollständig verdampfte. Dreihundert Wissenschaftler und zweihundert Soldaten waren die einzigen Augenzeugen (Trinity sprengte die Welt in ein neues Zeitalter[ 3 ]).

Die beteiligten Bombenkonstrukteure um J. Robert Oppenheimer waren sich bis zur letzten Sekunde nicht sicher, ob das Ding funktioniert, wie hoch die erwartete Sprengkraft sein würde oder ob nicht die ganze Erde schon bei diesem Test zerstört werden würde. Tatsächlich hatte die Testbombe eine Sprengkraft von immerhin 20.000 Tonnen TNT-Äquivalent, während die damals größten konventionellen Bomben, die britischen "Blockbuster" vom Typ GRAND SLAM, gerademal eine Sprengkraft von 4.108 kg bei einem Gesamtgewicht von 10 Tonnen hatten.

Mit dem erfolgreichen Test am 16. Juli war die Funktionsfähigkeit der Bombe bewiesen. Nun konnten die japanischen Städte atomar zerstört werden, sobald die erste einsatzfähige Bombe fertig gestellt und der US-Präsident als Oberbefehlshaber der Streitkräfte dazu seinen Einsatzbefehl erteilen würde.

Dazu mussten nun auch die Trägerflugzeuge nach Fernost verlegt werden. Als Trägerflugzeug für die überaus schweren Bomben kam nur der Bomber vom Typ Boeing/Martin Omaha "B-29-45-MO SUPERFORTRESS" in Frage. Anfang März 1945 wurde 28 dieser Maschinen der 509th Composite Group unter dem Kommando von Oberst Paul Warfield Tibbets Jr. auf dem Fliegerhorst Wendover im US-Bundesstaat Utah zugeteilt. Bald darauf verlegte der Bomberverband auf die Pazifikinsel Tinian. Am 27. Juni landete hier auch die B-29 mit dem Spitznamen "Enola Gay", die schließlich die erste Atombombe auf Hiroshima abwerfen sollte.

Schließlich mussten auch die Atombomben an die Front verlegt werden. Dazu zerlegten die Techniker sie in Einzelteilen. Die Uranladung wurde in San Francisco an Bord des Kreuzers "CA-35 USS INDIANAPOLIS" eingeschifft und nach Tinian transportiert, wo sie am 26. Juli eintraf. Drei Tage später wurde der Kreuzer von einem japanischen U-Boot torpediert und sank. Die 320th Troop Carrier Squadron (320th TCS) flog mit fünf Transportflugzeugen C-54 SKYMASTER weitere Bombenteile nach Tinian.


"Babies satisfactorily born" - Entscheidungsfindung in Potsdam

Als der erste Atomtest durchgeführt wurde, hielt sich US-Präsident nicht im Weißen Haus in Washington auf, sondern er weilte in Potsdam vor den Toren der früheren deutschen Reichhauptstadt, um an der gleichnamigen Konferenz teilzunehmen. Also musste er von hier aus seinen Einsatzbefehl erteilen oder den ersten Angriff auf die Zeit nach seiner Rückkehr verschieben. Letzteres kam aber aus politischen Gründen nicht in Frage, da die sowjetische Führung ihre Kriegserklärung an Japan vorbereitete, um dort eigene Geländegewinne zu erzielen. Um dies zu verhindern, wollte die US-Regierung eine japanische Kapitulation durch einen Atomwaffeneinsatz erzwingen.

Die Anreise von den USA nach Potsdam dauerte damals eineinhalb Wochen: Harry S. Truman reiste am 6. Juli 1945 mit dem Zug von Washington DC nach Newport in Virginia. Dort bestieg der Präsident den Kreuzer "CA-31 USS AUGUSTA", der am 15. Juli in Antwerpen (Belgien) anlegte. Von dort ging es mit dem Pkw weiter nach Brüssel. Hier bestieg Truman die Präsidentenmaschine Douglas "VC-54C SKYMASTER SACRED COW", die ihn noch am gleichen Tag zum Fliegerhorst in Berlin-Gatow flog. Für die Dauer der Konferenz wurde er bis zum 2. August in einer Villa in Potsdam-Neubabelsberg am Griebnitzsee untergebracht.

Truman nannte die Villa "Little White House". Eigentlich hieß das Objekt "Haus Erlenkamp" und war 1891 von dem Verleger Carl Müller-Grote in der damaligen Kaiserstraße Nr. 2 erbaut worden. Mit der Machtübernahme der Nazis wurde die Straße kurzzeitig in "Straße der SA" umbenannt. Am 8. Mai 1945 requirierte die sowjetische Besatzungsmacht das Gebäude, und die Bewohner wurden kurzfristig vertrieben. Zusammen mit dem US-Präsidenten waren sein neuernannter Außenminister James Francis Byrnes und der Militärberater Admiral William Daniel Leahy ebenfalls in dem Haus untergebracht. Unter dem Dach hatte der Nachrichtenoffizier George M. Elsey als Chriffrierspezialist seine Funkstelle.

Josef Wissarionowitsch Stalin residierte ein paar Meter weiter in der Villa Herpich (heute: Karl-Marx-Str. 27); Churchill bzw. Attlee waren in der Villa Urbig (heute: Virchowstr. 23) einquartiert.

Nach dem Bombentest am 16. Juli wurde US-Präsident Truman noch am selben Tag von dem "Erfolg" unterrichtet. Der beauftragte Sonderassistent des Pentagons, George Leslie Harrison, schickte ein erstes Kurztelegramm, das um 19.30 Uhr in Potsdam eintraf: "Babies satisfactorily born". Bald darauf traf ein zweites Telegramm von Harrison ein:

Operation heute morgen erfolgt. Diagnose noch nicht vollständig, aber Ergebnisse erscheinen befriedigend und übertreffen bereits Erwartungen. Mitteilung an die Ortspresse erforderlich, weil das Interesse sich auf eine große Entfernung ausdehnt. Dr. Groves ist erfreut. Er kehrt morgen zurück. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten.
George Harrison

Die US-Administration ließ es sich nicht nehmen, ihre damaligen Bündnispartner - in unterschiedlichem Umfang - über den Erfolg zu informieren. Da das Manhattan Project mit starker Beteiligung britischer Wissenschaftler durchgeführt wurde, unterrichtete man Winston Churchill am 17. Juli, dass man am Vortag einen ersten Prototypen erfolgreich getestet hatte. Allerdings konnte Churchill die militärpolitische Dimension dieser Nachricht nicht sofort erfassen.

Am 24. Juli teilte Truman Stalin in einer Konferenzpause betont beiläufig mit, seine Rüstungsingenieure hätten ihn unterrichtet, dass man "a new weapon of unusual destructive force" entwickelt hätte. Stalin nahm diese Information betont gelassen zur Kenntnis, ohne eine Nachfrage zu stellen, und wünschte lediglich "good use of it against the Japanese", was wiederum Truman verwunderte. Was die US-Regierung damals noch nicht wusste war, dass Stalin über mehrere Spione unter den Wissenschaftlern im US-Atomwaffenlaboratorium in Los Alamos im Detail über das amerikanische Atombombenprojekt informiert war. Erst fünf Jahre später wurde der deutsch-britische Atomwissenschaftler Klaus Fuchs in Großbritannien wegen Landesverrats festgenommen.

Für die politischen Entscheidungsträger war ein Einsatz der Atombombe gegen japanische Städte zu keinem Zeitpunkt fraglich. Nachdem man drei Jahre lang mit tausenden von Wissenschaftlern und Milliardenkosten die Bombe entwickelt hatte, schien es nun eine Selbstverständlichkeit zu sein, dass der Staatsapparat seine Bombe auch einsetzte. Aber es meldeten sich auch kritische Stimmen zu Wort.

Unter den beteiligten Nuklearphysikern hatte sich zunächst Leo Szilárd, der 1939 die Entwicklung einer US-Atombombe selbst angestoßen hatte, gegen einen Atombombenabwurf ausgesprochen. Auch der wissenschaftliche Leiter des Projektes, J. Robert Oppenheimer, sprach sich nun gegen einen Einsatz der Bombe aus. Beide wurden dafür später wie Landesverräter behandelt. Bei den Militärs sprachen sich General Dwight David Eisenhower, Admiral Ernest Joseph King und Admiral William Daniel Leahy gegen einen Atomangriff aus, auch der Oberbefehlshaber der Army Air Force General Henry Harley Arnold meldete Bedenken an. Die kritischen Diplomaten wurden angeführt vom früheren US-Botschafter in Japan und Staatssekretär im US Foreign Office Joseph Clark Grew, der von April bis Juli 1945 als geschäftsführender Außenminister amtierte.

Einen nennenswerten Einfluss auf die Entscheidungsfindung hatten diese Kritiker nicht. Unter den verantwortlichen Politikern und Militärs entbrannte lediglich ein Streit darüber, welche japanischen Städte auf die potentielle Zielliste aufgenommen und wann der Angriff durchgeführt werden sollte. Die ursprüngliche Liste umfasste vier Ziele: Hiroshima, Kokura, Kyoto und Niigata.

Der Zielausschuss des Pentagons empfahl Kyoto als Primärziel festzulegen. Aber Kyoto war eine historisch und kulturell überaus wichtige Stadt und ein Zentrum des Schintoismus. Daher hatte insbesondere Kriegsminister Henry Lewis Stimson Bedenken gegen einen Angriff auf diese Metropole. In seinem Tagebuch notierte er damals: "Wenn man diese Stadt als mögliches Ziel der Bombe mit einbezog, dann musste ein solcher Akt der Mutwilligkeit noch lange Zeit nach dem Krieg bei den Japanern eine solche Verbitterung hervorrufen, dass sie sich eher noch mit den Russen als mit uns abfinden würden."

Am 22. Juli verständigten sich Truman und Stimson in einem Vier-Augen-Gespräch in Potsdam darauf, dass Kyoto als Ziel nicht in Frage kam und stattdessen Hiroshima das "first target" sein sollte. In einem weiteren Gespräch zwischen Stimson und General Arnold am selben Tag empfahl letzterer, statt Kyoto sollte Nagasaki auf die Zielliste gesetzt werden.

Am Abend des 24. Juli traf ein weiteres Telegramm von Harrison ein, das aufgrund der Wetterverhältnisse die Angriffschancen verklausuliert bewertete:

Eine Operation ist vom 1. August an jederzeit möglich, je nach Vorbereitungsstand des Patienten und der Wetterbedingungen. Vom Zustand des Patienten aus gesehen nur geringere Chancen vom 1. bis 3. August, gute Chancen vom 4. bis 5. August und nahezu sichere vor dem 10. August, sofern kein unerwarteter Rückfall eintritt.
George Harrison

Als das Telex in Potsdam-Neubabelsberg eintraf, rief Truman seine engsten Mitarbeiter zu einer spontanen Beratung zusammen: Kriegsminister Henry Lewis Stimson, Luftgeneral Henry Harley Arnold und den Generalstabchef General George Catlett Marshall. Bei dieser Diskussion wurde festgelegt, dass vier Städte auf der veränderten Zielliste verblieben: Hiroshima, Kokura, Niigata and Nagasaki.

Diese präsidiale Entscheidung für einen Atombombenangriff auf Japan wurde unmittelbar nach Washington an den Zielausschuss im Pentagon übermittelt. Dort wurde die Auswahl von Nagasaki kritisiert. Der beteiligte Brigadegeneral Thomas Francis Farrell berichtete dazu:

Die Sitzung fand teils in General Handys Büro (Generalleutnant Thomas Troy Handy vertrat General Marshall als amtierenden Stabschef, solange dieser in Potsdam weilte, G. P.) teils in anderen Räumen statt, aber unter den Anwesenden befanden sich General Spaatz, General Eaker, General Craig. Ich vertrat General Groves. Ein Offizier … traf mit einem Schreiben aus Potsdam ein, das eine Empfehlung General Arnolds enthielt, Nagasaki als Ziel miteinzubeziehen.

Eine Anzahl von Offizieren machte Bedenken geltend, und für General Groves erhob ich den Einwand, die Stadt habe nicht die optimale Struktur und Dimension als Angriffsziel für die großen Bomben. Nagasaki war eine lange und schmale Stadt und lag zwischen Hügelketten eingebettet. Dadurch würde die Druckwirkung der Bomben beeinträchtigt werden. Die Stadt war auch schon bei verschiedenen Gelegenheiten ziemlich stark bombardiert worden, und deshalb würde es schwierig sein, die Wirkung der Atombombe über die existierenden Schäden hinaus festzustellen.
Thomas Farrell

Über diese Frage wurden zwischen Washington und Potsdam mehrere Telegramme ausgetauscht, jedoch blieb es bei der Entscheidung, Nagasaki als Eventualziel einzuplanen.

Daraufhin setzte Generalleutnant Thomas Troy Handy am 25. Juli 1945 einen schriftlichen militärischen Operationsbefehl auf. Dieser war an den Commanding General United States Army Strategic Air Forces in the Pacific, General Carl Andrew Spaatz, gerichtet. Das Schreiben basierte auf einem Textentwurf von Generalmajor Leslie Richard Groves vom 23. Juli:

The 509th Composite Group, 20th Air Force will deliver its first special bomb as soon as weather will permit visual bombing after about 3 August 1945 on one of the targets: Hiroshima, Kokura, Niigata and Nagasaki. To carry military and civilian scientific personnel from the War Department to observe and record the effects of the explosion of the bomb, additional aircraft will accompany the airplane carrying the bomb.
Leslie Richard Groves

Daraufhin gab das Hauptquartier der 20th Air Force, die auf der Pazifikinsel Guam stationiert war, den militärischen Angriffsbefehl "Number 13" heraus: "20. Luftflotte greift am 6. August Ziele in Japan an. Hauptziel: Industrieanlagen der Stadt Hiroshima."


Abwurfbeschluss vor dem Ultimatum an Japan


Im Nachhinein gab es noch einen Streit darüber, was mit dem Wörtchen "about" gemeint war: Während Zivilisten den Text so interpretierten, dass ein Atomangriff erst ab dem 3. August erfolgen dürfe, interpretierten die beteiligten Militärs (Generalmajor Leslie Richard Groves, General Curtis Emerson LeMay, Generalmajor Thomas Francis Farrell) den Text ganz anders. Ihrer Meinung nach bedeutete der Text, dass ein Angriff am 3. August oder ein paar Tage früher oder später erfolgen dürfe. Diese Abweichung von ein paar Tagen war keineswegs eine Kleinigkeit.

Am 26. Juli forderten die allliierten Regierungschefs in ihrer "Potsdamer Erklärung" die japanische Regierung zur sofortigen und bedingungslosen Kapitulation auf, was diese zunächst ablehnte, weil die Zukunft des japanischen Gottkaisers Hirohito noch nicht geklärt werden konnte.

Im Nachhinein wurde kritisiert, dass die präsidiale Entscheidung für einen Atombombenangriff auf Japan bereits getroffen worden war, noch bevor ein Ultimatum an Japan überhaupt ausgesprochen worden war. Später versuchte der Stellvertretende Kriegsminister John McCloy, der damals ebenfalls zur US-Delegation in Potsdam gehörte, dies mit bürokratischen Gründen zu rechtfertigen:

Es waren viele Dinge zu erledigen. Wenn die Entscheidung umgestoßen oder wenn es aus irgendeinem Grund notwendig wurde, das Unternehmen zu verschieben, so könnte man das Flugzeug immer noch aus der Luft zurückholen. Es gab eine Menge Einzelheiten, die aufeinander abgestimmt werden mussten …, deshalb war es notwendig, den Befehl zu erteilen.

Bei solchen Befehlen empfiehlt es sich, den genauen Termin für seine Durchführung vorher festzulegen, anstatt sich erst an die Arbeit zu machen, wenn es soweit ist.... Aber das bedeutete nicht, dass es keinen Umkehrmechanismus gab, dass die Bombe auch abgeworfen worden wäre, wenn die Japaner sich zur Kapitulation entschlossen hätten.
John McCloy

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges behauptete Präsident Truman, dass mit dem Schreiben vom 25. April zwar die militärische Kriegsmaschinerie in Marsch gesetzt worden wäre, dass er aber die atomaren Luftangriffe jederzeit hätte stoppen können, wenn Japan rechtzeitig und angemessen kapituliert hätte. Seine letztendliche Entscheidung für einen Atomangriff habe er angeblich erst Anfang August 1945 an Bord des Kreuzers "CA-31 USS AUGUSTA" auf dem Atlantik getroffen, behauptete Truman. Allerdings fehlt dafür jeder schriftliche Beweis. Jedenfalls hatte die US-Regierung mit dem Militärschreiben vom 25. Juli ihre Angriffsmaschinerie in Marsch gesetzt, und nur ein ausdrücklicher Gegenbefehl hätte sie vielleicht noch stoppen können.

Am 31. Juli 1945 war die erste Atombombe einsatzbereit. Nun warteten die US-Militärs nur noch auf günstige Wetterbedingungen.

Am 6. August 1945 näherte sich das Angriffsflugzeug Hiroshima. Die Sicht war klar, so dass kein Ausweichziel angeflogen werden musste. Major Thomas Wilson Ferebee, der das Zielgerät bediente, löste um 8.14 Uhr die Bombe aus. Um 8.15.17 Uhr Ortszeit detonierte die erste Atombombe vom Typ "Mk 1 LITTLE BOY"[ 4 ] in rund 580 Meter Höhe über einem Krankenhaus in der Innenstadt von Hiroshima. Die Uran-Bombe hatte eine Sprengkraft von circa 11,5 bis 15 Kilotonnen TNT-Äquivalent. Von den rund 400.000 Einwohnern der Stadt starben 70.000 unmittelbar durch die Druckwelle und Hitzestrahlung. Durch die Langzeitfolgen der Bombe, insbesondere verursacht durch die radioaktive Strahlung, stieg die Zahl der Todesopfer bis 1950 auf 200.000 und bis heute auf über 280.000 Menschen. Jedes Jahr sterben weitere Menschen an Krebs.

Als die Atombombe über Hiroshima detonierte, weilte US-Präsident Truman an Bord des Kreuzers USS AUGUSTA im Westatlantik, der ihn in die USA zurückbrachte. Als der Präsident gerade frühstückte, erreichte ihn folgende Meldung des Kriegsministers Stimson: "Um 19.15 Uhr Washington-Zeit schwere Bombe auf Hiroshima abgeworfen. Erste Meldungen sprechen von einem vollständigen Erfolg, der den des Experiments übertroffen hat."

Drei Tage später, am 9. August 1945 um 11.02 Uhr Ortszeit, zerstörten die US-Militärs Nagasaki mit einer zweiten Atombombe "Modell 1561 FAT MAN", obwohl die US-Militärs vorher festgestellt hatten, dass die Stadt für einen Atombombenangriff gar nicht "geeignet" gewesen wäre. Dieser "Irrtum" kostete schätzungsweise 80.000 Einwohnern das Leben. Ab dem 17. oder 18. August wäre eine dritte Bombe einsatzbereit gewesen, aber zu ihrem Einsatz kam es nicht mehr, da die japanische Regierung am 15. August kapitulierte[ 5 ].

Die offizielle US-Gesichtsschreibung betont, mit den Atombombenangriffen sei eine verlustreiche Invasion Japans durch die US-Streitkräfte ab Oktober 1945 (Operation DOWNFALL) vermieden worden (Die US-Legende über Hiroshima und Nagasaki[ 6 ]). Kritiker halten dieses Argument für vorgeschoben, da der US-Regierung seit Mitte Juli 1945 durch abgehörte Funksprüche bekannt war, dass die Japaner prinzipiell zur Kapitulation bereit waren. Die Kritiker vermuten, dass mit den Atombombenangriffen "nur" die genaue Wirkungsweise der neuen Bombentechnologie gegenüber unzerstörten Städten für die zukünftige Atomkriegsführung erforscht werden sollte. Außerdem wollte man mit einer atomar erzwungenen Kapitulation Japans einem Kriegseintritt der Sowjetunion in Fernost, der vom Generalstabschef General Alexei Innokentjewitsch Antonow für Mitte August 1945 angekündigt war, zuvorkommen. Nicht zuletzt dienten die Angriffe der militärpolitischen Einschüchterung der Sowjetunion angesichts des beginnenden Kalten Krieges.

Die "Truman-Villa"[ 7 ] in Potsdam existiert noch heute. Die Adresse heißt jetzt "Karl-Marx-Straße 2". Im Frühjahr 1946 wohnte hier vorübergehend Marschall Georgi Konstantinow Schukow, Oberbefehlshaber der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD). In den fünfziger Jahren war hier die Parteischule der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) untergebracht, von 1961 bis 1974 wurde das Haus als Polytechnische Oberschule genutzt. Danach diente es als Möbellager. Ab 1994 beherbergte das Gebäude zeitweise das Truman Memorial Center. Im Jahr 1998 erwarb die Friedrich-Naumann-Stiftung der FDP das Objekt für 10 Millionen DM, das danach mehrere Jahre saniert wurde. Seit April 2001 hat die FNS hier ihren Hauptsitz. Gegenüber der Villa befindet sich seit dem 24. Juli 2010 der Hiroshima-Platz, um an die Opfer der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zu erinnern.


Gerhard Piper ist freier Journalist und arbeitet beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS



Anmerkungen:

[ 1http://www.lanl.gov/_assets/php/flickrImage.php?photo_id=19272914982&secret=34d2ce45cd#img
http://www.osti.gov/manhattan-project-history/index.htm
https://en.wikipedia.org/wiki/Atomic_bombings_of_Hiroshima_and_Nagasaki#/media/File:Hiroshima_aftermath.jpg

[ 2 ] https://de.wikipedia.org/wiki/Uranprojekt

[ 3 ] http://www.heise.de/tp/artikel/20/20533/

[ 4 ] https://de.wikipedia.org/wiki/Atombombenabw%C3%BCrfe_auf_Hiroshima_und_Nagasaki

[ 5 ] http://www.osti.gov/manhattan-project-history/Events/1945/surrender.htm

[ 6 ] http://www.heise.de/tp/artikel/20/20565/

[ 7 ]  https://de.wikipedia.org/wiki/Truman-Villa