August 2005


Die Jugoslawien-Kriegsberichterstattung der Times
und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Ein Vergleich

von Dr. Alexander Neu

Der Publizist Phillip Knightley formulierte im Jahre 2000 einige Thesen über das Grundcharakteristikum westlicher Kriegsberichterstattung: Wesentliches Merkmal massenmedialer Kriegsberichterstattung sei die Reduktion komplexer politisch-militärischer Situationen auf dichotome Ebenen von "gut" und "böse". Während die eigene Seite als die moralisch gute dargestellt werde, werde die Gegenseite dämonisiert. Dabei spiele es zunächst keine Rolle, ob Massenmedien seitens der Politik instrumentalisiert würden oder ob sie aus patriotischen oder anderen Interessensmotivationen heraus tendenziös berichteten.

Diesen Ansatz präzisierte er in einem Aufsatz in der britischen Tageszeitung "The Guardian" vom 4. Oktober 2001.

Darin stellt er eine mediale Eskalationsstrategie fest, um die öffentliche Meinung auf Kurs zu halten:

"The way wars are reported in the western media follows a depressingly predictable pattern: stage one, the crisis; stage two, the demonisation of the enemy’s leader; stage three, the demonisation of the enemy as individuals; and stage four, atrocities."

Und jene Kräfte im Inneren, die sich kritisch über die Kriegsrhetorik der eigenen politischen Elite äußerten, so Knightley, würden durch die Medien als "’friends of terrorist, ranters, nutty, hypocrites, animals, barbarians, mad, traitors, unhinged, appeasers and apologists’" etikettiert.

Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt der Kommunikationswissenschaftler Georg Ruhrmann: Demzufolge "Nachrichtenmedien bis auf wenige historische Ausnahmen – gerade in Krisen- und Kriegszeiten das Bewußtsein und die Einstellungen der Eliten nicht in Frage stellen, sondern reproduzieren".

Forschungsobjekt dieser Studie ist es, die Kriegsberichterstattung zweier international anerkannter Printmedien, der britischen "The Times" und der deutschen "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", am Beispiel des bewaffneten Konfliktes im zerfallenden Jugoslawien im Zeitraum von Anfang 1991 bis Ende 1995 zu analysieren.

Erkenntnisziel ist es, die jeweiligen Perspektiven und dahinter stehenden Motive der beiden Zeitungen zu identifizieren, zu vergleichen und zu bewerten.

Sodann orientiert sich diese Analyse an folgender forschungsleitender Fragestellung:

  1. Welche (Welt- und Jugoslawien)-Bilder (Images) – als Ergebnis massenmedialer Realitätskonstruktion – von Wirklichkeit vermitteln die FAZ und TIMES über den/die international/nicht-international bewaffneten Konflikt(e) in (im ehemaligen) Jugoslawien im Zeitraum von 1991 bis 1995?
  2. Erlauben diese spezifischen Images es, einen Rückschluß auf die jeweiligen ideologischen Verhaftungen beider Printmedien zu ziehen?

Die zur Beantwortung benötigte Methode der qualitativen und quantitativen Medieninhaltsanalyse, analysiert alle (Gesamterhebung) Beiträge und Beitragformen (Texte, Bilder, Karikaturen etc.) von Anfang 1991 bis Ende 1995.

Die wesentlichen Ergebnisse zur Beantwortung der forschungsleitenden Frage lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die Ergebnisse indizieren hinsichtlich der Bestimmung der relevanten ‚inner-jugoslawischen Akteure/Objekte’ auf einen ethno-zentrischen Ansatz sowohl bei der FAZ als auch bei der TIMES. Im Zentrum des Medienechos stehen ‚die Serben’, ‚die bosnischen Muslime’ und ‚die Kroaten’. Damit akzeptieren beide Zeitungen nicht nur jene simplifizierenden Differenzierungsmerkmale, nämlich entlang ethnischer Linien, die jeweils von den nationalistischen Kräften in Jugoslawien vorgegeben wurden. Vielmehr vertiefen und multiplizieren sie auf diese Weise einen primitiven Deutungsrahmen einer komplexen konfliktualen Wirklichkeit für die Weltöffentlichkeit.

Der wesentliche Unterschied zwischen FAZ und TIMES zeigt sich allerdings in den Dimensionen: Die FAZ kombiniert die ethnische Komponente mit religiösen und kulturhistorischen Elementen, wodurch sie ein zivilisationstheoretisches Welt- bzw. Jugoslawien-Bild zeichnete. Die TIMES hingegen reduziert die Unterscheidungsmerkmale auf die Ethnien und bezeichnet darüber hinausgehende, der FAZ vergleichbare, Aspekte als "over simplified picture". Andere oder weitere ergänzende Merkmale, wie beispielsweise urbane und ländliche, regionale, soziale oder kriminelle Aspekte, finden keine – zumindest nicht im nennenswerten Umfang – Verwendung als Unterscheidungskriterien.

Bei der Bestimmung der relevanten ‚internationalen Akteure/Objekte’ schält sich ein staaten- und regierungsorganisationszentrischer Ansatz heraus.

Beide Zeitungen fokussieren hinsichtlich der Regierungsorganisationen die EG/EU, die Vereinten Nationen sowie die NATO. Als die im Blickwinkel der FAZ und der TIMES wesentlichen – wenn auch mit unterschiedlichen Gewichtungen – konfliktintervenierenden national-staatlichen Akteure werden die Vereinigten Staaten von Amerika, Groß-Britannien, Frankreich, die Rußländische Föderation und Deutschland ermittelt.

Die Inhaltsanalyse manifestiert eine schrittweise partielle Annäherung der TIMES und der FAZ in der Generierung der Jugoslawien-Images:

Die FAZ setzte sowohl dem zeithistorischen Jugoslawien als auch dem Jugoslawien der Endphase ein dezidiert negatives Image auf. Hierbei bedient sie sich der zivilisationstheoretischen Argumentation, Faschismus-Analogien und anti-kommunistischen Ressentiments, die sie miteinander verband und auf ‚die Serben’ als Träger all dessen projizierte.

Demgegenüber kann bei der TIMES eine anfängliche Ausgewogenheit festgestellt werden. Diese Ausgewogenheit verändert sich jedoch in dem Moment, in dem der politische Konflikt in einen militärischen Umschlug. Dabei nehmen die neuen von der TIMES generierten und auf Jugoslawien projizierten Images FAZ-nahe Formen an, ohne allerdings derart drastische Dimensionen zu zeichnen. In diesem Kontext versuchen beide Zeitungen die jugoslawische Verfassung zu instrumentalisieren, um ihre Argumente für das im Resultat dann Ende der jugoslawischen Föderation zu untermauern. Die FAZ und die TIMES bedienen sich des selektiven und verkürzten Zitierens der Verfassung, wodurch die Aussagen, da aus dem Verfassungskontext isoliert, stets darauf hinauslaufen, daß die bundesstaatlichen Organe Jugoslawiens Verfassungsbruch begangen hätten. Dabei schrecken sie letztlich sogar vor sich widersprechenden Verfassungsinterpretationen nicht zurück.

Zu dieser Strategie der TIMES und FAZ gehört auch, die Nicht-Unterscheidung zwischen internem und externem Selbstbestimmungsrechts auf gesamtstaatlicher Ebene. Das völkerrechtliche Prinzip der Selbstbestimmung bedeutet für die TIMES und die FAZ ausnahmslos die externe Variante, also die staatliche Unabhängigkeit der Republiken ungeachtet dem "uti posseditis" Prinzip. Allerdings, und das ist der entscheidende Unterschied zwischen der TIMES und der FAZ, betrachtet die TIMES scheinbar nüchtern das Ende des jugoslawischen Bundesstaates als einen unaufhaltsamen Prozeß angesichts der militärischen Auseinandersetzungen, die den in ihren Augen vorangeschrittenen und umkehrbaren Auflösungsprozeß dokumentieren. Demgegenüber versucht die FAZ, den jugoslawischen Bundesstaat aus ideologischen und anti-jugoslawischen Motivationen heraus publizistisch aktiv, ja geradezu pathetisch zu unterminieren.

Ein geradezu spiegelverkehrtes Bild der Argumentationen und Zielsetzungen durch TIMES und FAZ kann auf der Ebene der jugoslawischen Gliedstaaten nachgewiesen werden. Die FAZ und die TIMES fordern für die jugoslawischen Nachfolgerepubliken die Wahrung der territorialen Integrität. Und das ungeachtet der Tatsache, daß, wie sie beide selbst einräumten, die Republiksgrenzen mit den ethnischen Grenzen nicht zusammen fallen. In diesem Zusammenhang ‚entdecken’ die FAZ und die TIMES plötzlich das interne Selbstbestimmungsrecht. Aber auch mit Blick auf weitere Argumente, die für das "uti posseditis" Prinzip der Republiken sprechen, kann eine bemerkenswerte inhaltliche Parallelität zwischen der FAZ und der TIMES festgestellt werden. Diese in der Substanz sicherheitspolitischen, verfassungs- und völkerrechtlichen Argumente sind von nur unzureichender Überzeugungsqualität. Denn, dieselben Begründungen hätten ohne Abstriche oder sogar noch zutreffender für die fortwährende Legitimation des jugoslawischen Gesamtstaates gesprochen.

Insgesamt bleibt festzustellen, daß die FAZ und die TIMES eine Umkehr der völkerrechtlichen Normenhierarchie das Wort reden, in dem sie das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts für ihre Argumentation selektiv nutzen: Sie verbinden beide Varianten des Selbstbestimmungsrechts und das "uti posseditis" Prinzip in umgekehrter Form miteinander, so daß als Resultat nicht das Selbstbestimmungsrecht der Völker, sondern daß der Republiken steht.

Des weiteren können die Motive für die Reduktion und Simplifizierung des Konflikts unter Verwendung von Dichotomisierung und Stigmatisierung in "good and bad guys" manifestiert werden.

Dabei zeigt sich, daß ‚die Slowenen’, ‚die Kroaten’ und ‚die bosnischen Muslime’ die Teil-Images der ‚good’ und ‚die Serben’ das Teil-Image des ‚bad guy’ erhielten, da sie allesamt im Blickwinkel beider Zeitungen die Opfer serbischen Imperialismus geworden seien. Die Serben seien die Angreifer, weil sie die Wahrung der Republiksgrenzen nicht hinnehmen wollten. Und ‚die Slowenen’, ‚Kroaten’ und ‚bosnischen Muslime’ seien die Opfer, da sie in ihren Republiken den Angriffen ‚der Serben’ ausgesetzt gewesen seien.

Unterschiede zwischen der FAZ und der TIMES hinsichtlich ihrer Jugoslawien-Bilder können lediglich in jenen Fällen, in denen es um das Verhalten ‚der Kroaten’ in und gegenüber Bosnien-Hercegovina ging, konstatiert werden. Dabei besteht für beide Zeitungen die Gefahr, daß ihr dichotomes Bild angesichts des kroatisch-muslimischen Krieges ins Wanken geriet. Bei der versuchten Auflösung dieses Problem seitens der FAZ und der TIMES zeigt sich ein bemerkenswerter Unterschied hinsichtlich ihres jeweiligen Rechtsverständnisses: Die TIMES stellt in logischer Konsequenz ihres Ansatzes der Wahrung der bestehenden Republiksgrenzen ‚die Kroaten’ als Angreifer mit ‚den Serben’ dann als ‚bad guys" auf eine Stufe. Hieran wird deutlich, daß die TIMES konsequent an dem "uti posseditis Prinzip" für die Nachfolgestaaten Jugoslawiens ungeachtet der Konfliktparteien festhält.

Demgegenüber nimmt es die FAZ mit dem von ihr so pathetisch eingeforderten "uti posseditis Prinzip" gegenüber Slowenien und Kroatien im Falle Bosnien-Hercegovinas nicht ganz so ernst, solange nur ‚die Kroaten’ die bosnischen Grenzen in Frage stellten. In diesem Kontext sind die einzigen kritischen Töne der FAZ gegenüber ‚den Kroaten’, die Sorge um das Image Kroatiens in der Welt, nämlich mit ‚den Serben’ gleichgesetzt zu werden. Hierdurch wird offensichtlich, daß das zentrale Bewertungskriterium der FAZ gegenüber der jugoslawischen Konfliktsituation weniger die Beachtung des "uti posseditis Prinzips" angewandt auf die Republiken ist als ihr allzu offensichtlicher pro-kroatischer Kurs. Denn mit Blick auf die in ihrer Perspektive imperialen ‚Serben’ fordert sie nichts weniger als die uneingeschränkte Respektierung dieser Völkerrechtsnorm. Hingegen demonstriert sie mit Blick auf ‚die Kroaten’ ein an Zustimmung heranreichendes Maß an Verständnis für deren unter objektiven Gesichtspunkten dann ebenfalls imperialen Ambitionen. Die außerordentlich große Sympathie, die ‚den Kroaten’ seitens der FAZ zu Teil wird, verdeutlicht sich nicht zuletzt auch darin, daß sie den ‚bosnischen Muslimen’ die Verantwortung für den Krieg mit ‚den Kroaten" anlastet. Auch ihr Lavieren, die Kroaten für die Zerstörung der Brücke von Mostar als die Verantwortlichen zu zeichnen untermauert die erdrückende Parteilichkeit der FAZ.

In diesem Kontext können zwei auffällige Argumentationsmuster festgestellt werden:

  1. die Verwendung von Analogie-Interventions-Muster sowie
  2. die Mikro-Makroebenen Argumentationsfigur.

 

Die FAZ und die TIMES verwenden Analogien, bei denen ‚die Serben’ dämonisiert wurden. Beide Zeitungen fordern jeweils im zeitlichen und inhaltlichen Kontext das militärische Eingreifen des Westens, um ein ‚weiteres Auschwitz’ zu verhindern. Offensichtlich besteht ein Zusammenhang zwischen Analogie-Schlüssen und Forderungen nach militärischen Interventionen:

Wenn Analogien verwendet werden, die eine Konfliktseite dämonisieren, dann folgt die zeitnahe Forderung nach militärischer Intervention mit hoher Wahrscheinlichkeit.

Das zweite auffällige Muster ist die Mikro-Makroebenen-Argumentationsfigur. Sie wird mehrfach ausschließlich von der FAZ verwendet, um das Bild der dichotomen Konflikt-Struktur faktenresistent zu machen. Im Gegensatz zum Analogie-Interventions-Muster, ist das Mikro-Makroebenen-Muster als eindeutig kausales Verhältnis zu verstehen: Die dafür zu Grunde liegende Prämisse ist, daß ‚die Serben’ kollektiv die Alleinverantwortung für den Krieg trügen. Sodann ist das Kausal-Verhältnis folgendermaßen zu formulieren:

Wenn es vorgeblich serbische Opfer gab, dann konnten sie realiter keine Opfer sein, da sie in kollektiver Verantwortung Täter waren.

Wie bereits oben ausgeführt, kann ein staaten- und regierungsorganisationszentrischer Ansatz hinsichtlich der Bestimmung der maßgeblichen handlungstragenden Einheiten nachgewiesen werden.

Die FAZ und die TIMES betrachten das transatlantische Verteidigungsbündnis als das wichtigste und effektivste Instrument europäischer und globaler Ordnungs- und Sicherheitspolitik. Diese bemerkenswerte große Bedeutungszuschreibung wird im wesentlichen durch zwei miteinander verbundene Forderungen deutlich:

  • Erstens in den Forderungen nach einem Paradigmenwechsel der NATO, bei dem das bisherige Aufgabenspektrum der ausschließlichen Landes- und Bündnisverteidigung um die Komponente der "out of area" Einsätze erweitert werden sollte.
  • Zweitens in der Hierarchisierung der internationalen Regierungsorganisationen seitens der FAZ und TIMES: Sie setzten die NATO unverhohlen in der Bedeutungs-Hierarchie an die Spitze, die EG/EU und die Vereinten Nationen relativ unbestimmt, nahezu marginalisiert darunter.

 

Dabei beklagen die FAZ und die TIMES den faktischen Junior-Status der NATO unter den Vereinten Nationen in dem balkanischen Konflikt. Sie fordern nicht nur für den gegenwärtigen Konflikt, sondern auch für die Zukunft "anderswo"/"elsewhere" die Handlungsautonomie für die NATO, während den Vereinten Nationen eine nicht weiter bestimmte periphere Rolle zugeteilt wird.

Als den die NATO wesentlich tragenden nationalstaatlichen Akteur mit Blick auf den Konflikt im Speziellen und hinsichtlich europäischer und globaler Ordnungspolitik im Generellen betrachten beide Zeitungen die USA als die unverzichtbare Nation. Denn beide sind sie der Auffassung, daß die USA das richtige, da quasi historisch belegt, Konzept erfolgreichen Krisenmanagements verfolgen: Die im Clausewitz’schen Sinne militärisch abgestützte Diplomatie.

Die Beurteilung der nationalstaatlichen Akteure hinsichtlich ihres Konfliktmanagements auf dem Balkan verweist dezidiert auf das (neo-)realistische Welt-Bild der TIMES und der FAZ: Beide tadelen sie die durch ihre Optik zu selbstrestriktive Interventionspolitik der westlichen Großmächte. Allerdings unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Motivationsgrundlagen: So betrachtet die TIMES den balkanischen Konflikt in der Ziel-Mittel-Relation lediglich als Mittel, um die in ihrem Selbstverständnis Großmachtrolle Groß-Britanniens mit entschlossenen militärischen Aktivitäten zu unterstreichen.

Die FAZ wiederum unterstützt die deutsche Jugoslawien-Politik, wie sie selbst ausführte, von jenem Moment an, in dem Bonn das "richtige Bild" von Jugoslawien, nämlich in dem Sinne der FAZ, als außenpolitische Handlungsgrundlage annahm. Sie betrachtet es als ihre Aufgabe, der deutschen Jugoslawien-Politik durch den Dschungel der internationalen Fallstricke, nämlich die gegen Deutschland gerichteten geopolitischen und historisch determinierten Jugoslawien-Politiken anderer Staaten, den richtigen Weg zu weisen. In diesem Kontext fordert sie eine harte Gangart Deutschlands gegenüber dessen europäischen Partnern ein: Wenn möglich multilateral, wenn nötig unilateral wie beispielsweise bei der Frage der Anerkennungspolitik Deutschlands. Damit weist sie der damaligen EG nicht die Rolle der europäischen Schicksalsgemeinschaft, sondern die Funktion einer bloßen Interessengemeinschaft zu, deren Strukturen man sich nur nach Opportunitätserwägungen unterzuordnen habe.

Die Orientierung der FAZ und der TIMES am (neo-)realistische Welt-Bild wird auch an dem spezifischen Rechtsverständnis beider Zeitungen wiederholt deutlich: Denn die selektive Rechtsbezogenheit der TIMES und der FAZ mit Blick auf das internationale Recht, aber auch hinsichtlich der deutschen Verfassung (FAZ) sowie der damaligen jugoslawischen Verfassung (FAZ und TIMES) verweisen auf eine beachtenswerte instrumentellen Funktion des Rechts: Das Recht wird nicht verstanden als ein Instrument mit universeller Gültigkeit im Geiste des ‚rules of law’, sondern als ein Instrumentarium zur Durchsetzung politischer Interessen unter einem juristischen Deckmantel.


Wie sehr die FAZ in dem Konflikt Partei ergriff, zeigen nicht zu letzt die dankbaren Gesten der Präsidenten Sloweniens und Kroatiens der FAZ gegenüber:

"Viktor Meier, langjähriger Osteuropa-Korrespondent dieser Zeitung, ist vom slowenischen Präsidenten mit dem Freiheitsorden, der höchsten Auszeichnung des Landes ausgezeichnet worden."

Und:

"Dem Karikaturisten Fritz Behrendt, der seit Jahrzehnten für die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung’ zeichnet, hat der kroatische Präsident Tudjman den Orden ‚Morgenröte Kroatiens’ (‚Danica Hrvatke’) verliehen. (…)."


Die Normalität der Parteilichkeit ist im Selbstverständnis der FAZ offensichtlich schon derart weit fortgeschritten, daß sie es nicht einmal mehr für nötig hielt, diese zu verbergen, sondern im Gegenteil, sich damit zu rühmen.

Und diese Parteilichkeit konstruiert zu einem Wirklichkeitsbild über Jugoslawien dürfte nicht unwesentlich Einfluß auf die politischen Entscheider Deutschlands gehabt haben: "Wir werden uns die deutsche Außenpolitik nicht von Zeitungsherausgebern vorschreiben lassen, aber wir können auch die Leitartikellage nicht außer acht lassen", so einer der engsten Mitarbeiter des damaligen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher im Herbst 1991 mit Anspielung auf die Bedeutung der FAZ in Fragen der deutschen Jugoslawienpolitik.

 

Diese Studie ist als Monographie unter dem gleichnamigen Titel in der Reihe "Demokratie, Sicherheit, Frieden" (Nomos-Verlag; Bd. 166) des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg (IFSH) erschienen. Sie ist gleichermaßen für die Wissenschaft wie für den Journalistenberuf interessant. Neben den Ergebnissen selbst, ist es vor allem die komplexe Methode, die für die Wissenschaft von Bedeutung sein dürfte.

Alexander S. Neu
Die Jugoslawien-Kriegsberichterstattung der Times und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Ein Vergleich
2004, 271 S., brosch., 49,– EURO, ISBN 3-8329-0797-1
(Demokratie, Sicherheit, Frieden, Bd. 166)

 


 

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim BITS und als freier Journalist tätig.