05. Mai 2003


Polen will die Bundeswehr in den Irak mitnehmen
Eine äußerst geschickte Attacke

von Otfried Nassauer


Auf Verteidigungsminister Peter Struck wartete eine dicke Überraschung, als er gestern in Washington eintraf: Die Washington Times, eine erzkonservative Tageszeitung mit besten Verbindungen in die Regierung Bush, hielt sie bereit: "Germans wanted for forces in Iraq" lautete die Schlagzeile.

Die zweite Überraschung folgte gleich auf dem Fuße: Nicht Strucks amerikanischer Kollege, Donald Rumsfeld, war Urheber des Gedankens, sondern Jerzy Szmajdzinski, der polnische Kollege Strucks. Szmajdzinski, wie Struck zu Besuch in der amerikanischen Hauptstadt, hatte der Zeitung erklärt: "Wir würden gerne Deutsche Truppen dabeihaben". Schließlich gebe es bereits ein Deutsch-Dänisch-Polnisches Korps, und damit eine fertig bereitstehende Kommandostruktur. Und: "Ich bin sicher, daß die USA daran ein Interesse haben", fügte er hinzu und so werde er es seinem Kollegen Rumsfeld auch vorschlagen. Szmajdzinski und den polnischen Streitkräften kommt in den Vorstellungen Washington’s eine wichtige Rolle im Nachkriegsirak zu. Sie sollen in einer der drei Zonen, in die der Irak aufgeteilt werden soll, für Sicherheit und Ordnung sorgen. Bis zum 22. und 23. Mai, wenn sich die Nationen, die Truppen in den Irak entsenden wollen, in Warschau treffen, sei Zeit, über die einzelnen nationalen Kontingente und die Finanzierung des Vorhabens zu entscheiden.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Schlicht ein gutnachbarlicher Vorschlag, um dem wegen des Irak-Krieges angeschlagenen deutsch-amerikanischen Verhältnis eine Brücke zu bauen? War nicht auch aus Struck’s Delegation kurz vor seinem Treffen mit Rumsfeld verlautet, man könne sich vorstellen, daß die NATO im Irak, ähnlich wie in Afghanistan eine Rolle spiele? War nicht angedeutet worden, daß ein UNO-Mandat wünschenswert sei, aber nicht zwingend notwendig?

Der polnische Vorstoß ist äußerst geschickt. Er ist sogar so geschickt, daß die Idee aus Washington stammen könnte. Über Bande gespielt – wie bei einem guten Billiardstoß: Einfallwinkel gleich Ausfallwinkel. Die Kugel rollt. Washington regte an, daß Polen einen der künftigen Militärsektoren im Irak befehligt. Warschau fühlt sich geehrt, will sein Bestes tun und stellt fest: Die erforderlichen, modernen Führungsfähigkeiten eines verlegbaren Hauptquartiers bestehen nur in Stettin, am Sitz des Dänisch-Deutsch-Polnischen Korps. Zudem: Die Diskussion über die mögliche Rolle der NATO hat eingesetzt. Mit anderen Worten: Auch der Allianz könnte ihre Rolle im Irak finden, ähnlich wie in Afghanistan. Und schließlich die Partnernationen: Dänemark war für den Krieg, kann aber nur im Verbund mit anderen eine dauerhafte Präsenz generieren. Deutschland war gegen den Krieg, wurde vom Bannstrahl der Hardliner Washingtons getroffen und braucht Chancen, das deutsch-amerikanische Verhältnis wieder zu verbessern. Also gesagt, getan. Den Vorschlag gemacht, der Berlin nun gleich mehrfach in die Predouille und in die Defensive bringt. Fragt sich nur, ob Washington, als es Polen die große, schwere ehrenvolle Aufgabe anbot, wirklich übersehen haben sollte, daß Warschau, um sie wirklich erfüllen zu können, das Stettiner Hauptquartier brauchen werde? Kaum vorstellbar. Eher schon ein perfekter Billiardstoß über die Bande: Einfallwinkel gleich Ausfallwinkel. Die Kugel rollt.

Position der Bundesregierung war es bislang, eine Stationierung von Bundeswehrsoldaten im Irak abzulehnen. Der Wiederaufbau des Iraks müsse unter dem Dach der Vereinten Nationen geschehen und in diesem Kontext sei Deutschland auch bereit, seinen Beitrag zu leisten. Eine Beteiligung deutscher Truppen ergebe sich aber auch daraus nicht zwingend. Afghanistan und der Balkan seien jene Orte, an denen die Bundesrepublik derzeit ihre Bereitschaft signalisiere, international Verantwortung zu übernehmen. Zudem: Eine nachträgliche Legitimation des Krieges im Irak durch die Völkergemeinschaft dürfe es nicht geben.

Doch nun dräut Unbill: Sagt Berlin dauerhaft "Nein", so kommt die Antwort zunächst nicht aus Washington, sondern aus Warschau und vielleicht Brüssel. Verweigert Deutschland Polen und der NATO erneut die Solidarität? So, wie angeblich der Türkei? Verhindert Berlin den Einsatz eines NATO-Hauptquartiers, auf das Polen angewiesen wäre? Würden die deutschen Soldaten aus dem gemeinsamen Hauptquartier ausrücken? Es funktionsunfähig machen? Obwohl Polen es braucht?

Richtig, Berlin hat das Problem nicht geschaffen. Aber dies galt auch schon im Fall der Türkei. Obwohl Deutschland, Belgien und Frankreich in der NATO zu jeder Zeit klarstellten, jede türkische Bitte um benötigte Unterstützung werde gewährt, wenn sie von der Türkei komme, obwohl deutlich gemacht wurde, daß man ein Veto nur deshalb einlege, weil Washington den angeblichen Bedarf der Türkei vortrage und mit eigenen Wünschen nach NATO-Unterstützung eines Angriffs auf den Irak verbunden habe – trotzdem entstand in der Öffentlichkeit das Bild der unsolidarischen Neinsager. Per medialer Definitionsmacht.

Gegen eine Wiederholung solcher Umdeutungen im Falle Polen spricht wenig. Zumal die Schwelle bis zum Bruch des politischen Widerstands niedriger ist. Ging es damals darum, zu verhindern, daß ein Krieg ohne UN-Mandat gerechtfertigt würde, so geht es heute "nur" darum, ihn auch nicht scheinbar im Nachhinein zu rechtfertigen. Das ist schwerer vermittelbar. Zumal, wenn der Vorwurf droht, den Wiederaufbau des Iraks zu behindern, Chaos und Unordnung zu verlängern und Prinzipienreiterei über vernünftige Kompromisse zu stellen. Mit anderen Worten: Die Argumentation aus der Defensive ist vorprogrammiert. Auf dieser Ebene.

Doch es gibt auch eine andere Ebene: Berlin fordert mit vielen anderen Staaten einen Wiederaufbau des Iraks unter dem Dach der Vereinten Nationen als Voraussetzung seiner Bereitschaft zu einer Mitwirkung, die über die selbstverständliche humanitäre Hilfe hinausgeht. Gemeint ist damit hoffentlich, daß New York die politische und wirtschaftliche Entscheidungsmacht erhalten müsse und ein UNO-Mandat erforderlich sei. Denn nur dies – die Wiedereinsetzung der Vereinten Nationen in ihre durch die Charta gegebenen und von Washington zeitweilig enteigneten Rechte – könnte eine hinreichende Legitimationsbasis sein. Mit dieser Frage kann und darf nicht gespielt werden, ganz ähnlich wie mit der Frage, wer über die Rechtmäßigkeit eines Krieges entscheiden soll.

Mit dieser Frage befaßt sich der polnische Vorschlag nicht. Er würde aber in erheblichem Umfang dazu beitragen, daß die Entscheidung erneut zu Ungunsten der Vereinten Nationen ausfallen könnte: Er bände zusätzliche Staaten aktiv in den Wiederaufbau des Iraks ein, darunter den Kriegsgegner Deutschland und – indirekt – die NATO als multilaterale Institution. Mithin, die Legitimität eines Wiederaufbaus außerhalb der politischen Autorisierung und Kontrolle der Vereinten Nationen würde steigen; die Zahl der Nationen, die diese Legitimität behaupten müßten, ebenso. Dies würde es den USA wesentlich erleichtern, die Vereinten Nationen aus politischer und wirtschaftlicher Verantwortung herauszudrängen und sie auf eine humanitäre Rolle zu beschränken. Auf dieses Ziel ist die Politik vieler neokonservativer Hardliner in Washington schon seit einiger Zeit ausgerichtet: Sie versuchen den Vereinten Nationen die verbliebenen Machtinstrumente zu nehmen und den Handlungsspielraum der USA im Irak zu vergrößern: Washington will, daß die wegen des potentiellen Besitzes von Massenvernichtungswaffen gegen den Irak verhängten Sanktionen aufgehoben werden und das Programm "Lebensmittel für Öl" ausläuft. Dann hätte der Irak – gemeint sind die von den Siegermächten eingesetzte Übergangsregierung und – verwaltung – deutlich mehr Ressourcen für den Wiederaufbau verfügbar und könnte weitreichendere Entscheidungen treffen.

Auf dieser Ebene wäre ein "Nein" Berlins verständlich und öffentlich vertretbar. Dazu müßte die Bundesregierung den Mut finden, aufzuzeigen, daß es um prinzipielle Fragen wie die künftige Rolle der UNO geht. Ob sie diesen Mut erneut findet, wird sich zeigen.

 

Es "pleugert" und "ischingert" wieder – Ein Nachtrag vom 7.5.2003

"Niemand sollte die Nato als Geisel nehmen", sagte die amerikanische Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice heute in einem Interview für mehrere spanischer Tageszeitungen. "Es war sehr beunruhigend, daß Deutschland und Frankreich versuchten, die Nato daran zu hindern, die Sicherheit der Türkei zu verstärken." Und in Berlin verlautete, auf den polnischen Vorschlag, gemeinsam in den Irak zu gehen, werde man nicht eingehen.

Noch nicht! Denn die Bundesregierung baut eine Position auf, aus der sie kaum ohne deutsche Truppen im Irak oder eine erneute Schädigung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses herauskommen wird. Der deutsche Botschafter in Washington, Wolfgang Ischinger und andere deutsche Spitzendiplomaten haben nach Gesprächen in Washington verlauten lassen, man wolle gemeinsam mit Washington an einer UNO-Resolution arbeiten, die den Wiederaufbau des Irak ermögliche. Deutschland werde einer Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak nicht im Weg stehen und nicht – wie Frankreich oder Rußland – auf einer engen Verbindung zwischen einer neuen Resolution und dem Nachweis, daß es im Irak keine Massenvernichtungswaffen mehr gibt bestehen: "Unsere Botschaft lautet: Lassen sie uns Ihren Plan wissen und wir werden einer pragmatischen Lösung nicht im Weg stehen.", sagte Ischinger der Zeitschrift USA Today. An dieser Resolution wird bereits gearbeitet. Sie soll den Wiederaufbau des Iraks ermöglichen und die US-gestützte Interimsregierung des Iraks unterstützen. Dem Vernehmen nach, soll sie so weit gefaßt sein, daß auch die NATO sie zum Anlaß nehmen könne, sofort auch offiziell mit Planungen für einen NATO-Beitrag zum Wiederaufbau des Irak zu beginnen. Der UNO würde eine humanitäre Rolle im Irak zukommen, nicht die Entscheidungsgewalt über die politische und wirtschaftliche Zukunft des Landes.

Wie schon vor dem Irak-Krieg, als der deutsche Botschafter bei den Vereinten Nationen, Pleuger, per Interview eine mögliche Zustimmung Deutschlands zu einer Interpretation der UNO-Resolution 1441 als Kriegslegitimation verkündete und hernach von Bundeskanzler Schröder nur mit einer Notbremse – auf die die rot-gelbe Karte folgte - gestoppt werden konnte, so deutet jetzt Botschafter Ischinger wieder an, daß Deutschland seine wichtigste Grundposition – die Vereinten Nationen zu stärken und nicht weiter zu schwächen – bereits vor der eigentlichen Diskussion aufgeben könnte. Deutsche Außenpolitik im Dienste der Bush Administration.

Setzt Ischinger sich aber durch, so dürfte es der Bundesregierung schon in Kürze äußerst schwer fallen, einen guten Grund zu finden, warum keine deutschen Soldaten im Irak stationiert werden sollten. Wahrscheinlich bleibt dann nur ein kindlich-trotziges "Ich will aber nicht!"

 

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS)