Kleinwaffen Newsletter
Februar 2008


Deutsche Kleinwaffen: Die Nigeria-Connection

von Roman Deckert

Am Neujahrstag 2008 starben bei einer Schießerei in der nigerianischen Ölhafenstadt Port Harcourt 18 Menschen, darunter unbeteiligte Zivilisten. Deutschen Medien war dies nur eine Meldung im Wirtschaftsteil wert, denn die Tragödie trieb den Preis für einen Barrel Öl erstmals auf über 100 US$. Wie bei den zugleich in Kenia wütenden Massakern stand indes eine deutsche Waffe im Mittelpunkt des Geschehens: nach nigerianischen Presseberichten stellte die Polizei bei den Angreifern auch ein G3-Sturmgewehr von Heckler & Koch (H&K) sicher.

Schon kurz nach Nigerias Unabhängigkeit von 1960 halfen deutsche Unternehmen bei der Aufrüstung von Afrikas bevölkerungsreichstem Land. Die bundeseigene Firma Fritz-Werner erhielt 1963 von der Defence Industries Corporation (DICON) den Auftrag, in der nördlichen Stadt Kaduna eine Waffen- und Munitionsfabrik aufzubauen. Sie lieferte die Maschinen für die Lizenzproduktion von BM59-Gewehren der italienischen Marke Beretta sowie für Munition der Kaliber 7,62 und 9mm. Die britische Botschaft in Lagos berichtete nach London, dass die Geisenheimer mit massiven Schmiergeldern die Korruption in neue Dimensionen trieben.

Von 1967 bis 1970 wurden in Ost-Nigeria während des Biafra-Krieges Hunderttausende Menschen getötet, nach manchen Schätzungen bis zu zwei Millionen. Fritz-Werner spielte eine entscheidende Rolle beim Sieg der Zentralregierung über die Sezessionisten, weil ein Team aus dem Rheingau die Produktion in Kaduna gewährleistete. Britische Dokumente belegen, dass der deutsche Generaldirektor der Fabrik u.a. über die Firma Interarms des berüchtigten Waffenhändlers Sam Cummins G3-Bausätze bezog. Darüber hinaus übernahm Fritz-Werner auf Wunsch der Bonner Regierung die Betreuung von deutschen Dornier-Flugzeugen der Air Force. Ende 1967 genehmigte das Auswärtige Amt (AA) Fritz-Werner und der Flick-Tochterfirma Dynamit-Nobel zudem den Export von je 3 Millionen Schuss Munition (7,62mm). Als es 1968 die Ausfuhr von weiteren 3 Millionen versagte, wickelte Fritz-Werner das Geschäft einfach über ein Drittland ab.

1976 erhielt Fritz-Werner von der DICON den Auftrag, die Anlagen rundum zu modernisieren und die Produktion des Nigerian Rifle (NR) aufzubauen. Zwar warnte H&K das AA vor einer nicht-lizensierten Produktion des G3. Fritz-Werner konnte jedoch die Diplomaten überzeugen, dass es um ein anderes Modell ging, offensichtlich das FAL des belgischen Herstellers FN Herstal, das dem G3 im Design stark ähnelt. Nach Erkenntnissen des renommierten Experten Dr. Edward Ezell erwarb DICON 1977 die Lizenzrechte. Fritz-Werner-Techniker seien bis weit in die Achtzigerjahre in Kaduna tätig gewesen. Laut CIA-Factbook erreichte die Produktion 1987 die volle Kapazität von 15.000 FAL pro Jahr, wobei auch die Herstellung von BM59 weiterlief.

Ezell zufolge kaufte die nigerianische Armee überdies große Mengen an G3, ca. 6.000 HK21-Maschinengewehre sowie MP5-Maschinenpistolen. H&K ließ diese vom englischen Partner Royal Ordnance in Enfield bzw. Nottingham montieren, um die deutschen Ausfuhrbegrenzungen zu umgehen (s. Newsletter 1/2008). Der Genfer Think-Tank Small Arms Survey hat berichtet, dass Nigeria G3-Kontingente an Sierra Leone weiterreichte. Dies erklärt, warum nach dem dortigen Bürgerkrieg (1991-2000) das G3 bei Entwaffnungsaktionen der UN die zweithäufigste Waffe war. Ein realistisches Bild vom G3 in Sierra Leone liefert der Film "Blood Diamond".

Die DICON-Fabrik in Kaduna kam zwar in den Neunzigerjahren weitgehend zum Erliegen, doch laut dem Informationsdienst Jane´s gehören G3, FAL, BM59, MP5 und HK21 noch immer zu den Standardwaffen der Streitkräfte. Zugleich sind viele dieser Gewehre in die Hände von Kriminellen und Aufständischen gelangt. Der Oberste Rechnungsprüfer Dr. Vincent Azie stellte 2001 bei einer Untersuchung der Polizei fest, dass aus deren Beständen zahlreiche G3 verschwunden waren, die im nigerianischen Volksmund "Shettima" (nach dem G3-Ursprungsmodell "CETME") oder "Shaka-bola" heißen. Eine Studie der University of Bradford dokumentiert, dass die Verbreitung von Kleinwaffen endemische Ausmaße entwickelt hat.

Seit einer dramatischen Eskalation der Krise im Jahr 2004 häufen sich die Berichte in der nigerianischen Presse über Schießereien mit G3 in allen Landesteilen, vor allem im Niger-Delta, dem ehemaligen Biafra. Die International Crisis Group berichtete 2006, die Rebellen der Niger Delta People´s Voluntary Force seien u.a. mit G3 bewaffnet. Im August des selben Jahres forderten in der südöstlichen Stadt Umuahia Gefechte zwischen Polizei und Angreifern, die teilweise mit G3 bewaffnet waren, mehrere Tote. 2007 gab es Berichte über G3-Lieferungen an die Aufständischen der Niger Delta Strike Force. Und wenige Wochen vor dem Neujahrs-Blutbad von Port Harcourt stellte die Polizei bei Militanten mehrere G3 sicher. Den deutschen Leitmedien war bei aller Beunruhigung über den steigenden Ölpreis kein einziges dieser G3 eine Meldung wert. Dabei ist zu befürchten, dass selbst die nigerianischen Presseberichte nur die Spitze des Eisbergs darstellen, was die Rolle deutscher Waffen in den dortigen Konflikten angeht.


 

arbeitet als Kleinwaffen-Analyst im Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) und ist Vorstandsmitglied des RüstungsInformationsBüros Freiburg i.Br. (RIB).