Neues Deutschland
17. Oktober 2008


Im Fadenkreuz der Geopolitik Washingtons
Anatomie einer Konfrontation

von Otfried Nassauer

Leichtes Spiel hatte Washington mit Teheran selten. Bedeutsam war der Iran wegen seiner großen Öl- und Gasvorkommen, aber auch aufgrund seiner Rolle als Regionalmacht für die USA jedoch immer. Grund genug um einige unterbelichtete Faktoren zu untersuchen, die die US-amerikanische Iranpolitik unter George W. Bush beeinflusst haben. Die These: Washingtons Iran-Politik steht im Kontext geopolitischer Zielsetzungen, bei denen es nicht nur um den Iran, sondern auch um den Einfluss und die Handlungsmöglichkeiten der USA ganz Asien geht.

George W. Bush war gerade ein Jahr Präsident. Die Terroranschläge auf New York und Washington lagen vier Monate zurück. Bush hielt seine erste Rede an die Nation. Darin bezeichnete er den Iran, den Irak und Nordkorea als „Achse des Bösen“. Allen drei Ländern unterstellte er, sie unterstützten den internationalen Terrorismus und seien eine Gefahr für den Weltfrieden, weil sie nach Massenvernichtungswaffen strebten. Der Begriff „Achse des Bösen“ konnte programmatisch gedeutet werden. Er kombinierte Winston Churchills Bild der Achsenmächte mit der Ronald Reagans Beschreibung der Sowjetunion als „Reich des Bösen“. Damit benannte Bush zugleich ein Spektrum von Handlungsoptionen, das er für den Umgang mit diesen Ländern sah: Es reichte von der Eindämmung, Einkreisung, Isolation und Sanktionierung bis hin zum Mittel des Krieges mit dem Ziel, gewaltsam einen Regimewechsel zu erzwingen.

Schon zwei Monate später zeigte sich, dass bei der Wahl zwischen diesen Mitteln durchaus mit zweierlei Maß gemessen und nach Opportunität entschieden werden konnte. George W. Bush befahl wegen des vorgeblichen Besitzes von Massenvernichtungswaffen Krieg gegen den Irak. Nordkorea, das viel wahrscheinlicher über Nuklearwaffen verfügte, wurde dagegen nicht ernsthaft mit einem Waffengang gedroht. Viele vermuten, letztlich gehe es Bush und seinem Stellvertreter Dick Cheney nur darum, die Kontrolle über die Öl- und Gasvorräte des Mittleren Ostens zu gewinnen. Doch eine monokausale Interpretation greift zu kurz. Das gilt auch im Blick auf die oft geäußerte Vermutung, George W. Bush werde während seiner Amtszeit einen weiteren Krieg gegen den Iran führen, der als ungewollte Nebenwirkung des Irakkrieges zur wichtigsten Regionalmacht wurde. Dieser Krieg sei bislang nur deshalb nicht geführt worden, weil das US-Militär noch immer im Irak und in Afghanistan gebunden sei. Die Wirklichkeit scheint diffiziler. Es lohnt, auf die größeren Zusammenhänge zu schauen, wenn man verstehen will, warum George Bush bislang auch mit der Isolation Teherans gut leben kann.


Frühe spieltheoretische Ideengeber

Andrew Marshall gilt als einflussreicher Vordenker der US-Sicherheitspolitik – vor allem in Zeiten republikanischer Präsidenten. 1999 ließ er Asiens Zukunft bis 2025 untersuchen. Seine Grundannahme: In Asien werde in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts unweigerlich eine umfassende Neuverteilung globaler Macht stattfinden – ähnlich wie in Europa während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das gelte für Ostasien, Südasien, Zentralasien und natürlich vor allem für Südwestasien. In weiten Teilen Asiens seien die USA für eine solche Entwicklung schlecht gerüstet. Politisch und militärisch. Effiziente Bündnisstrukturen oder umfassende Stationierungsrechte gebe es nicht. Verlässliche handlungsfähige Partner seien selten. Die Waffen des Kalten Krieges seien für die großen Entfernungen in Asien kaum geeignet. Der Schwerpunkt der US-Präsenz liege einseitig in Ost- und Nordostasien. Washington könne bei krisenhaften Entwicklungen in Asien auf dem falschen Fuß erwischt werde. Marshalls Studie legte der Politik in Washington nahe, Strategien zu entwickeln, mit denen die USA die bevorstehende Umgestaltung in Asien aktiv betreiben könnten, statt lediglich auf Veränderungen zu reagieren. Dann seien die Erfolgsaussichten größer, weil man Agenda und Kräfteansatz selbst bestimme. Bei reaktivem Verhalten dagegen drohe eine Überdehnung der Kräfte der USA. Marshalls Studie macht zugleich deutlich, dass eine machtpolitische Umgestaltung Asiens wahrscheinlich mehrere Jahrezehnte in Anspruch nehmen würde und es erfordere, das Verhältnis zu großen Regionalmächten wie China oder Indien genau im Blick zu behalten.


Neokonservativ-idealistische Adepten

Zwei einflussreiche Machtgruppen in der Administration George W. Bushs griffen diese Anregungen nur zu gerne auf. Sie zogen den naheliegenden Schluss, die Umgestaltung Asiens im energiereichen Südwestasien zu beginnen. Dessen Ressourcen seien auch für alle anderen asiatischen Staaten und deren künftige Entwicklung von größter Bedeutung und deshalb ein einflussreiches Instrument bei der Neuordnung des Kontinents. Die Terroranschläge am 9. November boten den willkommenen Anlass, der Krieg gegen den Irak versprach einen ersten wichtigen Brückenkopf in der Region.

Die neokonservative Machtgruppe präsentierte diesen Krieg als Teil ihres Projektes einer Neuordnung des gesamten Nahen und Mittleren Ostens. Es gelte die islamische Welt umfassend zu modernisieren, zu demokratisieren und zu liberalisieren. Dazu bedürfe es des politischen Willens, auf eine Strategie des dauerhaften Drucks und der permanenten Offensive zu setzen. Ultrakonservative Machtpolitiker um Vizepräsident Cheney bildeten die zweite Gruppe. Aus ihrer Sicht versprach der Krieg einen ersten Zugriff auf die Verwertung der Energiereserven der Golfregion und damit auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Länder Asiens. Zudem erlaubte er hohe Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben und bediente damit traditionelle Klientel der Republikaner.

Beide Gruppen gerieten innenpolitisch unter Druck, als sich weder im Irak noch in Afghanistan schnelle, nachhaltige Erfolge einstellten. Es gelang ihnen aber dennoch immer wieder, Mehrheiten dafür zu organisieren, an der begonnenen Umgestaltung festzuhalten. Die Neokonservativen scheiterten dagegen bislang mit Vorschlägen, die Konflikte rasch geographisch auszuweiten und militärisch gegen den Iran und Syrien.


Der Israelfaktor

Erkennbaren Einfluss auf die Politik der USA im Nahen und Mittleren Osten hat Israel. Es ist der wichtigste Bündnispartner Washingtons in der Region und sieht sich seit seiner Gründung in seiner Existenz bedroht. Eine Nuklearwaffe sei genug, um die Existenz Israels zu gefährden, so ein gängiges Argument. Zugleich ist das Gefühl existentieller äußerer Bedrohung eines der wichtigsten Elemente, die unter der heterogenen Bevölkerung Israels identitätsbildend wirken. Israel hilft Washington bei der Durchsetzung seiner Interessen, fordert aber auch oft bedingungslose Unterstützung von Washington, wenn es um die eigenen Interessen geht.

In Israel fanden die Neokonservativen einen bis heute aktiven Verbündeten für den Vorschlag, militärisch gegen den Iran vorzugehen. Israel sieht den Iran als wichtigste Existenzgefährdung. Es geht davon aus, dass der Iran in Kürze über Nuklearwaffen verfügen oder Nuklearmaterial für den Nuklearwaffenbau herstellen könnte. Beides ist aus israelischer Sicht nicht tolerierbar. Deshalb warnt Israel regelmäßig, dass sich das Zeitfenster für eine präventive Militäraktion gegen die iranischen Atomanlagen in Kürze schließen könnte. Wiederholt drohte es mit einer nationalen Militäraktion gegen Teherans Atomanlagen. Die USA geraten dadurch unter erheblichen Zugzwang. Für einen israelischen Präventivangriff würde Washington in der islamischen Welt in politische Mithaftung genommen. Zugleich würde ein solcher Angriff aber Washington das Heft des Handelns in der Region aus der Hand nehmen. Soll das verhindert werden, muss Washington dem Iran selbst mit einer militärischen Option drohen und Israel überzeugend die Bereitschaft demonstrieren, das es einen solchen Angriff nicht nur durchzuführen könnte, sondern auch würde. Dies gilt unabhängig davon, ob Washington einen solchen Angriff wirklich beabsichtigt oder gerade für opportun hält. Nur so können die USA an dem Vorhaben festhalten, die geopolitische Entwicklung in Asien aktiv, kontrolliert und auf Basis der eigenen Agenda zu gestalten.


Kontinuität und Brüche

Diese Faktoren erklären, warum sich die USA unter George W. Bush bislang darauf beschränkten, den Iran einzudämmen, zu isolieren und mit Sanktionen zu belegen ohne die Drohung mit einem Krieg wahr zu machen. Die Konfrontation mit dem Iran muss auf hohem Niveau aufrecht erhalten werden, damit Israel keinen Alleingang unternimmt. Solange Israel keinen Alleingang unternimmt, kann Washington die Agenda bestimmen. Zugleich hält dieses Vorgehen den USA für die Zukunft alle Optionen offen. Washington kann selbst entscheiden, ob und wann es ein militärisches Vorgehen gegen den Iran für möglich und sinnvoll hält. Auch der Irak wurde zwischen den Golfkriegen mit einer kontinuierlichen Strategie der Spannung konfrontiert, aus der er nicht ausbrechen konnte.

Ist es das übergeordnete Ziel der USA, die künftige Machtordnung Asiens gestaltend zu beeinflussen, dann kann eine verfrühte militärische Konfrontation mit dem Iran nicht nur zu einer Überdehnung der eigenen militärischen Kräfte führen, sondern auch dazu, dass das übergeordnete Ziel aufgegeben werden muss. Da der Irak bislang weder zur Ruhe gekommen, noch für die USA zu einem bereits gesicherten Brückenkopf geworden ist und die Auseinandersetzungen um Afghanistan zunehmend auch zu einem Konflikt um die Zukunft Pakistans werden, käme eine militärische Eskalation des Konfliktes mit dem Iran einem Vabanquespiel gleich. Weder der Iran noch ein künftiger US-Präsident können dieser Konstellation kurzfristig durch politische Kompromisse entkommen.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS