Pax-Christ-Zeitschrift
Nr. 1 / März 2011


Im Sturmschritt zur Interventionsarmee?

von Otfried Nassauer

Die Bundeswehr soll kleiner und effizienter werden, ihre Fähigkeit zu Auslandseinsät­zen deutlich steigen, auch zu Einsätzen, die – wie das Beispiel Afghanistan zeigt – einem Kriegseinsatz recht ähnlich sein kön­nen. Die »Ausrichtung am Einsatz« ist das erklärte Ziel der Bundeswehrreform. Mittlerweile wird über diese Reform seit mehr als einem Jahr diskutiert. Doch ist das Ziel noch realistisch? Zweifel sind angebracht.

Erste Entscheidungen sind gefallen. Sie ergeben ein höchst widersprüchliches Bild. Die Wehrpflicht wird ausgesetzt. Eine überfällige Entscheidung. Von Wehrgerechtigkeit konnte schon länger keine Rede mehr sein. Der verkürzte sechsmonatige Grundwehr­dienst war kaum mehr als ein Schnuppern am Bundeswehralltag. Für SoldatInnen, die an Einsätzen teilgenommen hatten und in Deutschland auf ihren nächsten Auslands­einsatz warteten, wurde die Betreuung von Wehrpflichtigen in der Heimat zur lästigen Pflicht. Vor allem die Gewinnung von Nachwuchs stand am Ende noch auf der Habenseite der Wehrpflicht. Aber auch dieser Vorteil relativierte sich. Zur Umsetzung der Wehrpflicht brauchte die Bundeswehr etwa 10.000 Soldaten, die für andere Aufgaben nicht zur Verfügung standen. Damit war das Schicksal der Wehrpflicht endgültig besie­gelt. Jahre, nachdem diese Entscheidung eigentlich nötig gewesen wäre.

Das aber hatte seinen Preis. CDU und CSU setzten durch, dass die Bundeswehr nicht so stark verkleinert werden soll wie zunächst geplant. Ausgerechnet der Generalinspekteur, Volker Wieker, hatte eine deutlich klei­nere Bundeswehr mit nur 163.500 Soldaten und Soldatinnen favorisiert. Zum Vergleich: Heute sind es noch über 250.000. Mehr Personal sei mit dem absehbar verfügbaren Geld und einer zusätzlichen Anschubfinanzierung für die Reformen nicht zu bezahlen. So klein müsse die Bundeswehr werden, wenn sie zugleich modernisiert und zu einer Armee im Einsatz gemacht werden solle. Den Christdemokraten war sie zu klein. Sie handelten im Gegenzug zum Verzicht auf die Wehrpflicht eine neue Obergrenze aus: Die Bundeswehr soll künftig noch 185.000 Soldaten und Soldatinnen haben. Das ließ zwar die Kommunal- und LandespolitikerInnen an den Bundeswehrstandorten etwas aufatmen, schreckte aber die HaushaltspolitikerInnen und den Finanzminister auf. Denn diese hatten der Bundeswehr während der Finanz- und Wirtschaftskrise mittlerweile auferlegt, bis 2014 insgesamt 8,3 Milliarden Euro einzusparen. Zwar soll dieser Zeitraum jetzt um ein weiteres Jahr gestreckt werden, der Umfang der geplanten Einsparungen bleibt aber wohl bestehen. Dieses Sparziel war noch nicht existent, als Generalinspekteur Wieker sein Modell für die kleinere Bundeswehr entwickelte. Als es bekannt wurde, schickte er eilends die Warnung hinterher, da­mit sei sein Vorschlag nicht mehr zu realisie­ren. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes befand sogar jüngst: Dann könne man gerade noch eine Bundeswehr mit 120.000 Soldatinnen und Soldaten bezahlen.

Die Katze und ihr Schwanz

Mehr Personal als geplant und bezahlbar, weniger Geld als erwartet – die Vorgaben für die Reform der Bundeswehr stehen schon jetzt in deutlichem Widerspruch zueinander. Werden aber die Personalkosten der Bundes­wehr nicht drastisch reduziert, so müssen die Einsparungen bei den Investitionen erfolgen, vor allem bei der Ausstattung der Bundeswehr mit neuen Waffen und neuem Gerät. Das wäre eigentlich zwingend nötig, wenn die Bundeswehr konsequent zu einer aus­landsverwendungsfähigen Armee umgebaut werden soll. Da aber liegt erneut ein Hund begraben. Der größte Teile der Investitions­mittel ist noch auf etliche Jahre gebunden. Sie fließen in große Beschaffungsvorhaben wie den Eurofighter, den Kampfhubschrauber Tiger oder den NATO-Hubschrauber 90. All diese Projekte haben gemeinsam, dass sie noch zu Zeiten des Kalten Krieges konzipiert wurden. Sie werden aber erst heute eingeführt – viel später, viel teurer, deutlich weniger leistungsfähig als ursprünglich geplant und vor allem: nur eingeschränkt verwendbar für die Auslandseinsätze der Bundes­wehr. Aus den Industrieverträgen aber kann der Bund in vielen Fällen nicht aussteigen, ohne weiter zahlen zu müssen. Gespart werden kann also vor allem bei neuen Vorhaben, bei Waffen und Ausrüstung, die die Bundeswehr erst für erforderlich hält, seit sie immer häufiger im Auslandseinsatz ist.

Eine Lösung könnte sich nur abzeichnen, wenn bei den Personalkosten massiv gespart würde. Damit aber beißt sich die Katze in den eigenen Schwanz. Denn dieser Weg ist durch die Beschlüsse zur künftigen Größe der Bundeswehr eigentlich versperrt worden. Hinzu kommt, dass er nicht problemlos umsetzbar ist. Es ist schwierig, das länger dienende Personal der Bundeswehr abzubauen. Goldene Handschläge sind teuer. Werden BerufssoldatInnen vorzeitig pensioniert, so steigen die Pensionsausgaben der Bundeswehr. Linke Tasche, rechte Tasche, aber erheblich billiger wird es dadurch nicht. Der bis heute nicht gelingende Versuch, das zivile Personal der Bundeswehr wie geplant abzubauen, ist ein Menetekel an der Wand.

Damit aber nicht genug. Der Arbeitsstab »Umbau der Bundeswehr« hat im Februar 2011 ein Konzept für den Umbau des Verteidigungsministeriums vorgelegt. Es soll von 3.200 auf 1.800 Mitarbeiter/-innen schrump­fen. Auch ganz oben auf der Treppe soll gespart werden. In diesem Konzept aber sind viele Konflikte angelegt. So zum Beispiel der Konflikt, wie viele Offiziere und wie viele zivile BeamtInnen künftig ihren Schreibtisch im Ministerium behalten können. Oder der Konflikt zwischen den beamteten Staatssekretären und dem Generalinspekteur der Bundeswehr, der die Zuständigkeit für Militärpolitik und Bundeswehrplanung an einen Staatssekretär abgeben soll. Deshalb ist kei­neswegs klar, ob das kleinere Ministerium künftig auch schneller und effizienter handeln und entscheiden kann. Möglich ist auch, dass es sich zunächst für längere Zeit und intensiv mit sich selbst und seinen internen Konflikten beschäftigt. Dann kann das Ziel, die Bundeswehr als Ganzes zu reformieren, schnell aus dem Auge verloren werden.


PazifistInnen wird es freuen

Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei der Bundeswehrreform derzeit noch weit auseinander. Das politisch vorgegebene Ziel einer kleineren, effizienteren und besser im Ausland einsetzbaren Bundeswehr wird vermutlich verfehlt. Die Kassenlage bestimmt wahrscheinlich zunächst den weiteren Abbau der Bundeswehr. Wie gehabt, homöopathisch dosiert in kleinen Schritten. AntimilitaristInnen und PazifistInnen dürfte das freuen. Denn eine effektive Interventionsarmee wird die Bundeswehr auf diesem Weg nicht ganz so schnell. Die entscheidende Fra­ge aber lautet: War das überhaupt ein richtig gewähltes Ziel? Wird es nach dem Ende des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr noch das vorrangige Ziel sein? Nach den Erfahrungen mit diesem ungeliebten Auslandseinsatz ist es eher unwahrscheinlich, dass afghanistan-artige Einsätze den künftigen militärischen Bedarf der Bundesrepublik bestimmen werden. Dieser dürfte wohl eher wieder stärker durch Europa und dessen unmittelbare Nachbarschaft determiniert werden. Die finanziellen Möglichkeiten fast aller europäi­schen Staaten lassen künftig kaum eine andere Wahl, als über eine Reduzierung der Militärausgaben nachzudenken und Wege zu finden, wie sie ihr Geld effizienter ausgeben. Damit aber schiebt sich eine andere Frage in den Vordergrund: Sollen und werden die Länder Europas ihre Außen- und Sicherheitspolitik stärker integrieren und ihre militärischen Fähigkeiten bündeln, um sparen zu können? Die Ereignisse in Nordafrika und deren Folgen können bei negativem Verlauf dazu beitragen, dass dieser Paradigmenwechsel schon sehr viel früher auf die aktuelle Tagesordnung kommt.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS