paxzeit
Nr. 3 / September 2007


Das Ende der Abrüstung?

von Otfried Nassauer

Wladimir Putin hat die NATO aufgeschreckt. Der russische Präsident hat die Umsetzung des Vertrages über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) ausgesetzt und mit Russlands Ausstieg aus dem KSE-Regime gedroht. Er fordert, dass alle NATO-Staaten diesem Regime endlich beitreten, es umsetzen und will letztlich ein runderneuertes drittes KSE-Abkommen aushandeln.

Der KSE-Vertrag stammt aus dem Jahre 1990. Er legte für die Hauptwaffensysteme von NATO und Warschauer Pakt – also z.B. Kampfpanzer oder Kampfflugzeuge – je gleiche Obergrenzen für beide Militärblöcke fest. Der Vertrag wurde umgesetzt. Rund 60.000 Großwaffensysteme wurden verschrottet.

Als die NATO 1997 erweitert werden sollte, galt es, den Vertrag an die neue Wirklichkeit anzupassen. Die Blockstruktur des Vertrages – hier Warschauer Pakt und da NATO - gab es nicht mehr. Der Warschauer Pakt hatte sich aufgelöst. Drei seiner Mitglieder wollten der NATO beitreten. Um des Problems Herr zu werden und zugleich Russlands Bedenken gegen die Osterweiterung der NATO abzufedern, wurden mehrere Schritte unternommen: Mit dem NATO-Russland-Rat wurde ein Gremium geschaffen, in dem Fragen der europäischen Sicherheit gemeinsam mit Russland konsultiert werden konnten. Ein Mandat für Verhandlungen über einen Angepassten KSE-Vertrag (AKSE) wurde erteilt. Zudem gaben die USA Russland politisch, aber nicht rechtlich verbindliche Zusagen, dass in den neuen Mitgliedstaaten keine amerikanischen Nuklearwaffen stationiert werden würden.

Anlässlich des OSZE-Gipfels in Istanbul 1999 war das neue Vertragswerk unterschriftsreif. Es senkte die Obergrenzen für die Hauptwaffensysteme noch einmal ab. Sie wurden jetzt für die einzelnen Nationen festgeschrieben. Der Beitritt neuer Mitglieder aus dem Kreis der OSZE-Staaten wurde ermöglicht. Russland wurden mit der sogenannten "Flankenregel" enge Beschränkungen für die Stationierung konventioneller Streitkräfte an seinen nord- und südwestlichen Grenzen auferlegt. Im Gegenzug verpflichtete sich die NATO zu Obergrenzen und zeitlichen Begrenzungen für Verlegungen von Truppen in die neuen Mitgliedstaaten. Alle KSE-Mitglieder unterzeichneten den neuen Vertrag. Doch heute ist er nicht in Kraft, da kein NATO-Staat ihn ratifiziert hat.

Sechs Monate nach Istanbul NATO schuf die NATO aus Protest gegen den 2. Tschetschenienkrieg einseitig eine Bedingung, die manche NATO-Staaten bis heute nicht erfüllt sehen: Die NATO werde den AKSE-Vertrag erst ratifizieren, wenn Russland aus Georgien und Moldawien abgezogen sei. Zu einem solchen Abzug hatte sich Russland in den Istanbuler Verpflichtungen tatsächlich bereit erklärt, ohne dafür aber eine Frist oder ein Junktim zu akzeptieren.

In der NATO gibt es unterschiedliche Auffassungen, ob Russland genug getan hat, um mit der Ratifizierung des AKSE-Vertrages zu beginnen. Deutschland wäre zum Beispiel dazu bereit. Washington oder London sehen das anders. In Washington hegt die Regierung Bush eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber vertraglich vereinbarter Rüstungskontrolle. In den baltischen Hauptstädten ist man froh, dem KSE-Regime noch nicht beitreten und damit Beschränkungen bei Verstärkungen aus anderen NATO-Staaten eingehen zu müssen. Mancher fürchtet zudem vor allem die Diskussion darüber, wie denn ein Vertrag aussehen müßte, wenn das KSE-Regime auch an die 2. NATO-Osterweiterung angepasst würde.

Mit der Ankündigung Putins, das KSE-Regime notfalls ganz in Frage zu stellen, liegen diese Fragen offen auf dem Tisch. Sie verweisen zudem auf ein Problem, das Wladimir Putin auch in den Debatten über die amerikanischen Raketenabwehrpläne für Europa oder die Zukunft des Kosovos aufwirft: Will der Westen europäische Sicherheit künftig mit oder gegen Russland gestalten? Ist Russland nur solange willkommener Partner wie es dem Westen nicht in die Quere kommt oder auch dann, wenn es eigene Interessen formuliert? Was ist der NATO das KSE-Regime, der "Eckpfeiler europäischer Sicherheit", letztlich wert?

Aus europäischer Sicht gibt es gute Gründe an diesem Regime festzuhalten. Es beschränkt die russischen Militärpotentiale im Westen effektiv. Es ist Basis für den Vertrag über den "Offenen Himmel", der gegenseitige Inspektionsflüge erlaubt. Und es ist die Grundlage für die Wiener Vereinbarungen zum jährlichen Austausch militärischer Daten unter den OSZE-Staaten. Es gibt also gute Gründe, über einen weitere Anpassung des KSE-Regimes nachzudenken, statt das bereits Vereinbarte wieder aufzugeben.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS