Tagesspiegel.de
12. Oktober 2009


Bundeswehr-Pistolen auf dem Schwarzmarkt

von Otfried Nassauer

In Afghanistan werden Waffen für mehr als 1000 Dollar auf dem Schwarzmarkt gehandelt – den Behörden fehlt offenbar der Überblick.

Kabul, 24. Januar 2006: Im Beisein von Botschafter Rainald Steck übergibt die Bundeswehr in Kabul eine Spende zum Wiederaufbau der afghanischen Sicherheitskräfte. Zehntausend überschüssige 9mm-Pistolen des Typs Walther P1 sollen dazu beitragen, dass Armee, Polizei und Kräfte des Innenministeriums ihre Aufgabe wirksam erfüllen können. Die Ende 2005 gelieferten Waffen werden in einem von US-Truppen geführten Depot in Kabul eingelagert und zu gleichen Teilen an Armee und Innenministerium verteilt. Drei Jahre später – so ergaben Recherchen des Hörfunksenders NDR-Info – können die Bundeswehr-Pistolen auf dem Schwarzmarkt erworben werden.

Der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung blieb vage. Man habe 2005 Einzelgenehmigungen zum Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Afghanistan im Wert von 5,6 Millionen Euro erteilt, 27,8 Prozent davon seien für Handfeuerwaffen gewesen. Dass sich hinter diesen Zahlen auch 10 000 Bundeswehr-Pistolen des Typs Walther P1 verbergen, konnte man nur aus amerikanischen Quellen erfahren. Am 13. Februar 2006 berichtete „Freedom Watch“, ein Blatt der US-Streitkräfte in Afghanistan, über eine kleine Feier in Kabul anlässlich der Übergabe dieser Waffen in die zwischenzeitliche Obhut der amerikanischen Truppen.

Dreieinhalb Jahre später haben die deutschen Pistolen den Schwarzmarkt erreicht. Hunderte – so fanden Redakteure von NDR-Info heraus – sollen zu Preisen von teilweise mehr als 1000 Dollar gehandelt werden. Sie seien ein Prestigeobjekt. Eine neuwertige Waffe aus ehemaligen Bundeswehr-Beständen sei in Kabul für 1600 Dollar angeboten worden, dokumentierten sie. Als Verkäufer seien Händler und ehemalige Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte aufgetreten, unter anderem ein Ex-Polizist, der seine Dienstwaffe angeboten habe.

Nach UN-Angaben desertieren oder scheiden jedes Jahr zwischen 20 und 25 Prozent des Personals aus den afghanischen Sicherheitskräften aus, oft unter Mitnahme ihrer Waffen. Motiv ist nicht zuletzt die schlechte und unzuverlässige Bezahlung. Bereits zu Beginn des Jahres veröffentlichte der amerikanische Bundesrechnungshof eine umfängliche Studie, die aufzeigte, dass US-Militärs den Verbleib von vielen Waffen für die afghanischen Sicherheitskräfte nicht mehr nachvollziehen konnten. Erwähnt wurde, dass 10 000 Pistolen der Bundeswehr eingegangen waren. Aber auf Nachfrage des NDR räumten die zuständigen US-Militärs ein, dass es über den Verbleib der Bundeswehr-Waffen nur bei knapp der Hälfte Aufzeichnungen gebe. Bei 4568 Pistolen wisse man, wer sie habe, beim Rest wisse man es nicht.

Die Bundeswehr erklärte sich für unzuständig: Mit der afghanischen Seite sei ein Abkommen geschlossen worden, in dem diese sich „zur ausschließlichen Endverwendung der Pistolen durch die afghanischen Sicherheitskräfte verpflichtet. Eine Weitergabe an Dritte darf demnach nur mit schriftlicher Zustimmung der Bundesregierung erfolgen“, erklärte ein Ministeriumssprecher.

Winfried Nachtwei, bisheriger verteidigungspolitischer Sprecher der Grünen, kritisiert die Bundesregierung. Sie hätte sich nicht auf die afghanische Endverbleibserklärung verlassen dürfen. „Es ist eine grob fahrlässige Vorgehensweise“, sagt er.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS