Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
05. April 2008


Hightech-Waffen oder mehr Manpower?
Streit zwischen Pentagon und Offizierskorps über den Kurs der US-Streitkräfte

Gastbeitrag von Jürgen Rose

Seit nunmehr fünf Jahren führen die US-Streitkräfte einen blutigen Krieg im Irak. Noch länger dauert der Kampf am Hindukusch, ohne dass ein Ende in Sicht wäre. Über 4.000 GIs verloren dabei bis jetzt ihr Leben, knapp 30.000 wurden verwundet, nicht berücksichtigt die psychisch Traumatisierten. Völlig aus dem Ruder laufen zudem die Kriegskosten, für die der amerikanische Steuerzahler aufkommen muss. Der ehemalige Vizechef der Weltbank und Nobelpreisträger für Wirtschaft, Joseph Stiglitz, hat errechnet, dass für die USA der Irak-Krieg der seit Vietnam zweitlängste und seit dem Zweiten Weltkrieg auch teuerste Krieg ihrer Geschichte ist. Dessen tatsächliche Kosten betragen nämlich mehr als drei Billionen, also über 3.000 Milliarden US-Dollar. Parallel dazu mehren sich die Stimmen, die vor einer Überbeanspruchung des US-Militärs warnen. So konstatierte der Stabschef der U.S. Army, General George Casey, während einer Anhörung vor dem Streitkräfte-Ausschuss des US-Senats Anfang März: "Die kumulativen Effekte von mehr als sechs Jahren Krieg haben unsere Armee aus dem Gleichgewicht gebracht."

Und als wäre diese Lage nicht an sich schon misslich genug, fördert das aktuelle Wettrennen um die US-Präsidentschaftskandidatur weitere Peinlichkeiten über die amerikanischen Streitkräfte zutage. So monierte Senator Barack Obama, dass eine Einheit der 10. Gebirgsjägerdivision der U.S. Army in Afghanistan nicht nur unter Personalknappheit litt, sondern überdies noch zu wenig Waffen, Munition und Fahrzeuge hatte. Daher seien die betreffenden Soldaten gezwungen gewesen, Waffen von den Taliban zu erbeuten. Laut Obama war es für sie einfacher, an Waffen der Taliban zu gelangen, als von ihrem verantwortlichen Befehlshaber angemessen ausgerüstet zu werden. Informiert hatte den Senator über diese Zustände ein Hauptmann, der die fragliche Gebirgsjäger-Einheit in den Jahren 2003 und 2004 selbst geführt hatte. Zunächst dementierte das Pentagon Obamas Rügen. Kurz darauf aber musste General Casey einräumen, dass an dessen Kritik nicht zu zweifeln sei. Tatsächlich sei es im Gefolge des Irak-Krieges zeitweilig schwierig gewesen, die in Afghanistan eingesetzten Truppen mit gepanzerten Fahrzeugen, Munition, Ersatzteilen und anderer Ausrüstung zu versorgen.

Indirekt unterstreicht auch das Ergebnis einer breit angelegten Befragung unter aktiven und ehemaligen Offizieren des US-Militärs derartige und andere Defizite in den Streitkräften der USA. So bewertete beispielsweise lediglich ein Drittel der Befragten die Ausrüstung und insbesondere die Schutzausstattung der Soldaten und Soldatinnen als "adäquat". Die Mehrheit, nämlich 45 Prozent, beurteilte dagegen die Ausrüstung als "inadäquat". Initiiert worden war die Offiziersbefragung unter dem Rubrum "U.S. Military Index" von der konservativen Fachzeitschrift FOREIGN POLICY in Kooperation mit dem CENTER FOR A NEW AMERICAN SECURITY, einem sicherheitspolitischen Think Tank. Von Dezember 2007 bis Januar 2008 haben 3.437 Offiziere vom Dienstgrad Major bis zum General an der Erhebung teilgenommen, verteilt über die Teilstreitkräfte Army, Navy, Air Force und Marine Corps.

Diese Umfrage erbrachte weitere aufschlussreiche, teils aber auch alarmierende Resultate. So ist nach Einschätzung einer Mehrheit von sechzig Prozent der Befragten die Schlagkraft des US-Militärs heutzutage schwächer als noch vor fünf Jahren. Gefragt nach den Gründen hierfür, nannten die Offiziere vor allem die Belastung durch die Kriege im Irak und in Afghanistan sowie die ständigen Truppenverlegungen, welche diese Konflikte erforderlich machten. Fast neunzig Prozent glauben, dass die Kriegsanforderungen im Irak das US-Militär ausgepowert – wörtlich: "gefährlich ausgedünnt" – hätten. Folgerichtig halten es vier Fünftel aller Offiziere in Anbetracht der umfangreichen Truppenstationierungen im Irak und in Afghanistan für falsch, irgendwo auf der Welt einen weiteren großangelegten Krieg zu beginnen. Zu dieser Diagnose einer überbeanspruchten Truppe passt die Antwort, welche die Militärs auf die Frage nach den Faktoren gaben, die sich besonders negativ auf die Lage im Irak ausgewirkt hätten. Zum einen führten sie die zu geringe Stärke der US-Truppen beim Einmarsch in das Zweistromland an, zum anderen die Auflösung der irakischen Armee. Dieser politische Kardinalfehler hatte bekanntlich nicht nur zur Folge, dass das irakische Militär als Ordnungsmacht ausfiel, sondern sich im Gegenteil sehr viele der arbeitslos gewordenen Soldaten dem irakischen Widerstand gegen die Besatzer anschlossen.

Konsequent fallen schließlich auch die Empfehlungen der befragten Offiziere aus, was aus ihrer Sicht erforderlich ist, um die US-Streitkräfte für zukünftige Bedrohungen zu wappnen. Überragende Bedeutung hat in ihren Augen die Erhöhung der Mannschaftsstärke bei den Bodentruppen, das heißt bei Army und Marine Corps. Besonders wichtig sei darüber hinaus der Ausbau der Spezialkräfte, der Special Operations Forces. Auch die Verbesserung von Aufklärung und Informationsgewinnung wird als äußerst wichtig angesehen.

An keiner Stelle dagegen bringen die befragten US-Militärs zum Ausdruck, dass sie es für notwendig halten, die waffentechnologische Überlegenheit der US-Streitkräfte zu bewahren oder weiter auszubauen. So empfehlen gerade einmal 21 Prozent, die Fähigkeiten zur Weltraumkriegführung und zum Krieg im Cyberspace zu verbessern. Nur 11 Prozent sprechen sich für den Aufbau eines Raketenabwehrschildes aus. Und lediglich 2 Prozent votieren für die Entwicklung neuer Nuklearwaffen, eines Lieblingsprojektes von US-Präsident Bush. Auf den ersten Blick mag dieser Befund überraschen, wird doch US-Militärs gemeinhin eine überbordende Verliebtheit in modernste Waffentechnik nachgesagt. Auf den zweiten Blick könnte sich darin allerdings der Umstand widerspiegeln, dass angesichts der Kampferfahrungen und Einsatzrealität der jüngsten Kriege die unreflektierte Technikbegeisterung einer gewissen Ernüchterung gewichen ist. So haben Experten darauf verwiesen, dass der Blitzsieg der US-Streitkräfte im Irak weniger der Überlegenheit amerikanischer Rüstungstechnologie als vielmehr der deutlichen Unterlegenheit der irakischen Armee zuzuschreiben war. In noch weitaus stärkerem Maße galt dies für den Feldzug in Afghanistan. Doch in beiden Fällen zeigten die sich dem Einmarsch anschließenden Guerillakriege sehr schnell und deutlich, welch eng begrenzten Nutzen die hypermoderne US-Militärtechnik für Stabilisierungsoperationen besaß. Asymmetrische Konflikte mittels überlegener Waffentechnologie gewinnen zu können, ist nach übereinstimmender Auffassung von Militärexperten eine gefährliche und irreführende Illusion. Diese Einsicht spiegelt sich auch darin wider, dass die US-Army inzwischen ein neues Handbuch, ein neues "Field Operations Manual", herausgegeben hat. In dieser Dienstvorschrift wird der Aufgabe der Konfliktstabilisierung in einem schwierigen zivilen Umfeld die gleiche Bedeutung zugemessen wie dem klassischen Auftrag, einen militärischen Feind auf dem Gefechtsfeld niederzukämpfen. Wörtlich heißt es in dem Handbuch: "Schlachten und Auseinandersetzungen zu gewinnen ist wichtig, aber für sich genommen unzureichend. Das zivile Umfeld zu meistern ist genauso wichtig für den Erfolg." Und um den zu erreichen, kommt es vor allem auf den Menschen in den Reihen des Militärs an und weniger auf die Waffentechnik, die der Soldat bedient. Nicht zuletzt deshalb sind in jüngster Zeit einige besonders ambitionierte Rüstungsprojekte ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Beispielsweise das Future Combat System des US-Heeres. Hinter diesem Begriff verbergen sich neue Waffensysteme, die sich u.a. auf modernste Computertechnologie stützen. Das Urteil der Kritiker lautet allerdings: zu teuer, unnötig und nicht auftragsgerecht für die auch zukünftig wahrscheinlichsten Konfliktszenarien. Das sieht die Rüstungslobby anders. Wohl auch, weil man mit teuren Waffensystemen mehr Geld verdienen kann als mit preisgünstigen.


 

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.