Mit gekreuzten Fingern
Internationale Gerichtsbarkeit à la carte Wieder einmal bricht die Bundes-regierung Völkerrecht und Verfassung
Gastbeitrag von Jürgen Rose
Wenn Kinder gegen ihren Willen den Eltern etwas versprechen müssen,
kreuzen sie üblicherweise einfach ihre Finger. Dem Kinderglauben zufolge
macht solche Magie das Gelübde unwirksam. Wenn ausgewachsene Regierungen
ebensolche Winkelzüge auf der internationalen Bühne vollführen, nennt
man dies: einen förmlichen Vorbehalt erklären. Letzteres tat die
Bundesregierung, als sie beschloss, dass Deutschland sich im Falle
zwischenstaatlicher Streitfragen zukünftig der Rechtsprechung des
Internationalen Gerichtshofes (IGH) in Den Haag unterwerfen würde. Dies
geschah mit zwei wesentlichen Einschränkungen: Zum einen sollen
sämtliche Streitigkeiten über "die Verwendung von Streitkräften im
Ausland" der Zuständigkeit des IGH entzogen sein, zum anderen soll
über Konfliktfälle, welche "die Nutzung des Hoheitsgebietes der
Bundesrepublik Deutschland einschließlich des dazugehörenden Luftraumes
sowie von deutschen souveränen Rechten und Hoheitsbefugnissen
unterliegenden Seegebieten für militärische Zwecke" betreffen,
keinesfalls Den Haag entscheiden.
Gewiss haben auch andere Staaten in ihren Unterwerfungserklärungen
Vorbehalte formuliert. Doch abgesehen davon, dass mit einem solchen
Vorgehen stets der eigentliche Sinn einer internationalen Gerichtsbarkeit
unterlaufen und ihre Wirksamkeit verwässert wird, entfaltet das
Grundgesetz ganz besondere völkerrechtliche Bindungswirkungen für die
Bundesrepublik. Just dies hatte in der Absicht des Parlamentarischen Rates
gelegen, der diese Verfassung nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges
erarbeitete. Carlo Schmidt, Vorsitzender des Hauptausschusses in jenem
Gremium, brachte dies während der abschließenden Beratungen unter
allgemeiner Zustimmung auf den Punkt, als er erklärte: "Unser
Grundgesetz verzichtet darauf, die Souveränität des Staates wie einen Rocher
de bronze zu stabilisieren, es macht im Gegenteil die Abtretung von
Hoheitsbefugnissen an internationale Organisationen leichter als
irgendeine andere Verfassung in der Welt."
So wurde in Artikel 24 Absatz 3 des Grundgesetzes verpflichtend
ausgeführt, dass der Bund, um zwischenstaatliche Streitigkeiten zu
regeln, "Vereinbarungen über eine allgemeine, umfassende,
obligatorische, internationale Schiedsgerichtsbarkeit beitreten"
wird. Genau diese strikten, geradezu rigiden Kautelen schließen es
schlechterdings aus, mittels windiger Vorbehalte gerade diejenigen
Kategorien völkerrechtlicher Streitigkeiten einer möglichen
Überprüfung durch den IGH zu entziehen, um deretwegen die internationale
Gerichtsbarkeit vor allem geschaffen wurde.
Das zitierte Attribut "umfassend" impliziert, dass ohne
Ausnahme sämtliche potentiellen Streitgegenstände zwischen Staaten unter
die Zuständigkeit des IGH fallen. Und dies schließt zweifellos alle
Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit von Auslandseinsätzen der
Bundeswehr und gleichfalls die militärische Nutzung des deutschen
Staatsgebiets durch eigene oder fremde Truppen ein.
Leider sendet das Kabinett Merkel mit seiner Verfahrensweise in einer
Zeit, die ohnehin durch eine rasante Erosion völkerrechtlicher Standards
geprägt ist, verheerende Signale aus. Statt vorbehaltlos das Völkerrecht
zu stärken, wie es in der UN-Charta kodifiziert ist, wird deutlich
gemacht, dass man die juristische Debatte um militärische Streitfragen
vor dem Internationalen Gerichtshof scheut wie der Teufel das Weihwasser.
Offenbar gedenkt, wer so handelt, auch weiterhin entgegen geltendem
Völker- und Verfassungsrecht die Bundeswehr militärisch einzusetzen oder
ausländischen Streitkräften deutsches Hoheitsgebiet inklusive Luft- und
Seeraum für völkerrechtswidrige Aktionen zur Verfügung zu stellen.
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt
in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
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