Vernachlässigte Aufstandsbekämpfung
US-Streitkräfte versuchen umzudenken
Internationale Gerichtsbarkeit à la carte
Wieder einmal bricht die Bundes-regierung Völkerrecht und Verfassung
Gastbeitrag von Jürgen Rose
Sechs Jahre sind nunmehr vergangen seit die US-Streitkräfte im Irak
das Regime des Saddam Hussein auf brachiale Weise mit Hilfe ihrer gewaltigen
waffentechnischen Überlegenheit beseitigt haben. Grundlage war die
„Shock and Awe“-Kriegführung, die den Gegner mit massiven Luftschlägen
schocken und verunsichern soll. Länger noch dauert der Krieg am fernen
Hindukusch, wo die U.S. Air Force bereits im Jahr 2001 das Taliban-Regime
unter Bombenteppichen begraben und hierdurch den Verbündeten der
sogenannten Nordallianz ihren Weg an die Macht in Kabul geebnet hat. Zweimal
hat das amerikanische Militär der Welt auf eindrückliche Weise
seine Fähigkeit demonstriert, einen militärischen Gegner binnen
kürzester Frist niederzuwerfen, ohne ihm auch nur den Hauch einer
Chance zu wirksamer Gegenwehr zu lassen.
Sehr viel weniger überzeugend indes stellt sich die Bilanz der Besatzungszeit
dar, die auf die jeweiligen Feldzüge folgte. Denn sowohl im Zweistromland
als auch in Afghanistan schaffte es der blitzartig niedergeworfene Feind,
sich binnen kurzer Zeit zu reorganisieren und die Besatzungstruppen in
verlustreiche Guerillakriege zu verwickeln. Den Koalitionstruppen gelang
es nicht, eine wirklich durchschlagende Verbesserung der teilweise chaotischen
Gewaltverhältnisse zu erreichen – trotz des enormen technischen Aufwandes,
umfangreicher Personalverstärkungen sowie mehrmals veränderten
Strategien und Taktiken. US-Verteidigungsminister Robert Gates fasste
denn auch die missliche Lage in einem jüngst in der Zeitschrift Foreign
Affairs veröffentlichten Grundsatzartikel in folgende Worte:
Zitat
„Die jüngere Vergangenheit hat eindringlich die Konsequenzen demonstriert,
die aus dem Unvermögen resultieren, den mit Aufständen und
scheiternden Staaten verbundenen Gefahren angemessen zu begegnen.“
Dabei lehrt nach Ansicht des Pentagonchefs die Geschichte, dass selbst
der größtangelegte militärische Konflikt stets auch die
Befähigung zum sogenannten „Kleinen Krieg“, dem Guerillakrieg eben,
erfordert. Denn seit General Winfield Scott im Jahre 1840 seine Truppen
nach Mexiko führte, hat, so Gates, jeder größere amerikanische
Streitkräfteeinsatz eine längere militärische Präsenz
zur Aufrechterhaltung der Stabilität nach sich gezogen. Das US-Militär
könne sich daher nicht der Notwendigkeit entziehen, die Sicherheit
im Lande aufrecht zu erhalten, Hilfe und Unterstützung zu leisten,
mit dem Wiederaufbau zu beginnen, sowie lokale Regierungsstellen und öffentliche
Dienstleistungen abzusichern. Dies gelte sowohl für den Höhepunkt
eines militärischen Konflikts als auch für die Nachkriegszeit.
Anlass genug für den amerikanischen Verteidigungsminister, eine
neue Nationale Verteidigungsstrategie bekanntzugeben. „Reprogramming the
Pentagon for a New Age“, so lautet deren ambitionierter Titel. Das wirft
die Frage auf, inwiefern mit einer solchen „Reprogrammierung“ des Verteidigungsministeriums
zugleich auch ein grundsätzlicher Strategiewandel beabsichtigt wird.
Die Einlassungen des Pentagonchefs hierzu deuten allerdings eher auf
eine bloße Akzentverschiebung in der Nationalen Sicherheitsstrategie
hin, als auf eine völlige Neukonzeption. Gates spricht zunächst
nämlich lediglich davon, dass in Zukunft „balance“, also Ausgewogenheit,
das neue Leitprinzip werden soll. Ausgewogenheit soll gleich in dreifacher
Hinsicht gelten. Nämlich erstens für den Versuch, einerseits
in den gegenwärtigen Konflikten zu obsiegen und sich andererseits
für weitere Eventualfälle zu rüsten. Zweitens gilt es,
zum einen Kapazitäten zur Aufstandsbekämpfung oder für
die auswärtige Militärhilfe zu institutionalisieren. Dabei müsse
aber zugleich der bestehende rüstungstechnologische Vorsprung der
US-Streitkräfte sowohl auf dem konventionellen Sektor als auch auf
strategischem Gebiet aufrechterhalten werden. Und drittens hält es
der US-Verteidigungsminister für wichtig, auf ausgewogene Weise die
Eigenschaften der Streitkräftekultur zu bewahren, auf denen der Erfolg
des amerikanischen Militärs beruht. Gleichzeitig aber müssten
jene Faktoren eliminiert werden, die die Fähigkeiten der US-Streitkräfte
beeinträchtigten.
Solche Überlegungen aus dem Munde von Robert Gates wirken zunächst
einmal reichlich abstrakt. Sein Verteidigungsstaatssekretär Michael
Vickers wird da schon konkreter, wenn er auf einen zentralen Untersuchungsbericht
verweist, der bereits seit Jahren vorliegt. Der „Quadrennial Defense Report
2006“ nämlich stuft die irreguläre Kriegführung als ebenso
wichtig ein wie den traditionellen militärischen Konflikt. Demgemäß
umfasst „Irregular Warfare“ verschiedene Einsatzformen, nämlich:
- den Kampf gegen den Terrorismus [counterterrorism/CT];
- unkonventionelle Kriegführung [unconventional warfare/UW];
- Verteidigung der Inneren Sicherheit fremder Staaten [foreign internal
defense/FID];
- Aufstandsbekämpfung [counterinsurgency/COIN] sowie
- Stabilisierungsoperationen zur Herstellung oder Wiederherstellung
der Ordnung in fragilen Staaten.
Dieser Ansatz wurde im vergangenen Monat noch einmal bekräftigt
– in einem Pentagon-Report über die künftige Rolle von Militärmissionen.
Von gegenwärtigen und künftigen Gegnern der USA gehe vor allem
eine irreguläre und asymmetrische Bedrohung aus, heißt es in
dem „Quadrennial Roles and Missions Review Report 2009“.
Damit die US-Streitkräfte diese immer wichtigeren Missionen im Rahmen
der irregulären Kriegführung zukünftig ebenso effektiv
erfüllen können wie traditionelle Kampfeinsätze, hält
die Pentagon-Führung es für erforderlich, die gegenwärtige
Militärstruktur zu verändern. Eine praktische Folge ist erstens
die Verstärkung der sogenannten „Special Operations Forces“. Die
Qualitätsstandards dieser Spezialkräfte sollen allerdings gewahrt
bleiben. Zweitens gilt es, die Tauglichkeit der regulären Streitkräfte
zum irregulären Kampf zu verbessern. Ihre Fähigkeit zur traditionellen
Kriegführung darf darunter jedoch nicht leiden. Und drittens schließlich
sind die Spezialkampftruppen und die reguläre Armee weitestmöglich
zu integrieren.
Das Aufgabenfeld des solchermaßen restrukturierten US-Militärs
ist breit gefächert. Definiert wird es in einer am 1. Dezember vergangenen
Jahres erlassenen einschlägigen Direktive des US-Verteidigungsministeriums.
Danach soll beispielsweise mittels enger Zusammenarbeit mit einheimischen
Kräften der Einflussbereich der Vereinigten Staaten in bisher unzugängliche
und unsichere Gebiete ausgeweitet werden. Auch sollen die amerikanischen
Streitkräfte Regierungen und Bevölkerungen fremder Staaten gegen
die Bedrohung durch irreguläre Gegner unterstützen, und zwar
mit allen direkten und indirekten Mitteln und, falls erforderlich, in
großem Maßstab.
Insgesamt stellt die vom US-Verteidigungsminister angekündigte Neuausrichtung
der Nationalen Sicherheitsstrategie tatsächlich eine gewisse Erweiterung
des bisherigen sehr engen Verständnisses über den Gebrauch militärischer
Macht dar. Robert Gates selbst merkt hierzu an.
Zitat
„Um wirklich einen Sieg zu erringen wie Clausewitz ihn definiert hat
– nämlich das politische Ziel zu erreichen – benötigen die
USA ein Militär, das die Fähigkeit hat, die Tür einzutreten,
aber auch in der Lage ist, hinterher die Bescherung aufzuräumen
oder gar das Haus wieder aufzubauen.“
Gleichwohl bleibt zu monieren, dass die Militärlastigkeit im strategischen
Denken der USA fortdauert. Der angekündigte Wandel geht also nicht
weit genug. Demnach ist es auch nicht wirklich überraschend, dass
die wesentliche Voraussetzung jeder nachhaltigen Sicherheitspolitik in
der neuen US-Strategie unerwähnt bleibt. Jene hatten die deutschen
Bischöfe bereits vor Jahren ganz einfach, präzise und unmissverständlich
auf den Punkt gebracht, als sie formulierten: Gerechtigkeit schafft Frieden.
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr.
Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
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