Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
31. Juli 2010


Gezielte Tötungen durch bewaffnete Drohnen – ein Verstoß gegen das Völkerrecht?

Gastbeitrag von Thomas Horlohe


In jedem Krieg ist das erste Opfer die Wahrheit. Das zweite Opfer ist meist das Recht. Der sogenannte „weltweite Krieg gegen den Terror“, den die Regierung Bush als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 ausrief, bestätigt diese traurige Regel. Seither wurden Verdächtige entführt, in geheimen Gefängnissen verbündeter Staaten misshandelt und gefoltert. Die USA haben nicht nur ihren Ruf als Rechtsstaat schwer beschädigt. Sie haben den fundamentalistischen Terroristen leider auch Argumente geliefert, die diese benutzen, um neue Attentäter zu rekrutieren.

Zwischenzeitlich hat sich die Regierung Obama vom Begriff „Krieg“ verabschiedet. Er ist kontraproduktiv, weil er die Terroristen und ihre Sache aufwertet. Die Methoden ihrer Vorgänger hat die Regierung Obama jedoch weitgehend übernommen und weiterentwickelt. Zum Mittel der Wahl im weltweiten Konflikt mit den islamistischen Terroristen sind gezielte Tötungen geworden, vorzugsweise mit ferngelenkten, unbemannten Flugkörpern, sogenannten „Drohnen“. Einsatzschwerpunkt ist das pakistanische Grenzgebiet zu Afghanistan. Seit ihrem Amtsantritt hat die Regierung Obama das Drohnenprogramm des Geheimdienstes CIA deutlich ausgeweitet. Im letzten Jahr wurden nach Auswertung öffentlich zugänglicher Quellen 53 Einsätze geflogen. Dieser Rekord wurde in diesem Jahr schon nach den ersten sieben Monaten übertroffen.

Zunehmend werden die Rechtsgrundlagen für die Einsätze kritisch hinterfragt: Mit welchem Recht tötet der US-Auslandsgeheimdienst in Pakistan, Somalia und dem Jemen gezielt Personen, die Al Qaida, den Taliban oder verbündeten Gruppen angehören sollen, in Staaten, mit denen sich die USA nicht im Krieg befinden?

Der renommierteste Kritiker gezielter Tötungen ist Professor Philip Alston, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen. Ende Mai legte er der Generalversammlung seinen Bericht vor. Alston zufolge sind gezielte Tötungen nicht schlechthin völkerrechtswidrig.

O-Ton Alston (overvoice):
„Es gibt Umstände unter denen gezielte Tötungen rechtmäßig sein können. Wenn man sich definitiv in einem bewaffneten Konflikt befindet. Wenn man festgestellt hat, dass es keine andere Möglichkeit gibt, den Kombattanten, auf den man es abgesehen hat, gefangen zu nehmen und wenn man alle einschlägigen Vorkehrungen getroffen hat, um sicher zu stellen, dass keine Zivilpersonen zu Tode kommen … dann können sie gerechtfertigt sein.“

Ob diese strengen Voraussetzungen für rechtmäßige gezielte Tötungen aber gegeben sind, könne niemand überprüfen, kritisiert Alston, weil das Drohnen-Programm geheim ist. An die Stelle klarer rechtlicher Maßstäbe trete eine unbestimmte Lizenz zum Töten.

O-Ton Alston (overvoice):
„Es ist doch außergewöhnlich, dass es die Central Intelligence Agency ist, die das Drohnen-Programm durchführt. Der Geheimdienst entscheidet, wer, wann, wo getötet wird. Es gibt keinerlei Rechenschaft darüber. Es gibt keinerlei Hinweise auf die Regeln, die die CIA anwendet. … Ich fordere die US-Regierung auf, die Einzelheiten des Programms offen zu legen, die Rechtsgrundlagen im nationalen amerikanischen Recht zu benennen, auf denen es beruht, die Regeln, die für das Programm festgelegt wurden und nach denen die CIA handelt und welche Verantwortlichkeiten festgelegt wurden.“

Am 25. März gab die Regierung Obama dem öffentlichen Druck nach. Der Justitiar des US-Außenministeriums, Harold Koh, nutzte seinen Gastvortrag auf der Jahresversammlung der Amerikanischen Gesellschaft für Internationales Recht, um die Rechtmäßigkeit gezielter Tötungen mit Drohnen zu verteidigen. Koh begründete die Drohnen-Einsätze mit dem Recht der Vereinigten Staaten von Amerika auf Selbstverteidigung nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Seit dem 11. September 2001 befänden sich die USA in einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt mit „Al Qaida, den Taliban und Kräften, die mit ihnen in Verbindung stehen“. Und tatsächlich hatte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 28. September 2001 in seiner Resolution 1373 die Notwendigkeit bekräftigt, den Bedrohungen von Frieden und Sicherheit durch terroristische Handlungen „mit allen Mitteln“ zu begegnen. Nach nationalem Recht, so der Justitiar des US-Außenamtes, habe der Kongress mit seiner Ermächtigung vom 18. September 2001 den Gebrauch aller „notwendigen und angemessenen Gewalt“ erlaubt. Beide Rechtsgrundlagen, die nach internationalem Recht, wie die nach nationalem Recht, seien bis heute gültig und anwendbar. US-Außenamts-Justitiar Harold Koh am 25. März vor der Gesellschaft für Internationales Recht:

O-Ton Koh (overvoice):
„Ob eine bestimmte Person an einem bestimmten Ort zum Ziel wird, hängt selbstverständlich von Abwägungen ab, die sich auf den Einzelfall beziehen, wie die Unmittelbarkeit der Bedrohung, die Souveränität des jeweils betroffenen Staates und die Fähigkeit und Bereitschaft dieser Staaten, der Bedrohung mit eigenen Mitteln zu begegnen. Die Regierung Obama hat insbesondere die Grundsätze für die Zielauswahl sorgfältig überprüft, um sicher zu stellen, dass die Einsätze in Übereinstimmung mit den Prinzipien des Kriegsvölkerrechts erfolgen.“

Also kein Grund zur Sorge? Kein Anlass für Zweifel oder Misstrauen? UN-Sonderbotschafter Alston sieht das anders:

O-Ton Philip Alston (overvoice):
„Wenn Harold Koh, ein Mann für den ich im Übrigen größten Respekt empfinde, ein Mann mit festen Prinzipien, auftritt und einfach sagt: ‚Ich hab’ das geprüft. Vertraut mir‘, dann ist das nicht ausreichend. Wir benötigen mehr Offenlegung. Wir müssen endlich handfeste Informationen darüber erhalten, wie dieses Programm für gezielte Tötungen tatsächlich umgesetzt wird, was die Regeln sind …“

Misstrauen erweckt zum Beispiel die Wortwahl des US-Außenministeriums: „Al Qaida, Taliban und Kräfte, die mit ihnen in Verbindung stehen“. Eine sehr dehnbare Begriffsbestimmung in die sich Zielpersonen nahezu beliebig hineindefinieren lassen. Im August 2009 legte ein Bericht des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Senats offen, dass die Liste genehmigter Drohnen-Ziele zu diesem Zeitpunkt 367 Namen enthielt. Kurz danach wurde sie um die Namen von fünfzig Drogenbaronen erweitert. Bruce Riedel, Hauptautor von Obamas Strategie für Afghanistan und Pakistan, bekennt:

Zitat Riedel:
„Eine ganze Reihe der Ziele werden von den Pakistanis benannt. Das ist Teil des Interessenausgleichs, um ihre Zustimmung zu den Drohnen-Angriffen zu erhalten.“

Sehr nachdenklich stimmt auch einer der jüngeren Zugänge zur Todesliste der CIA. Anwar al-Awlaki ist US-Staatsbürger. Derzeit soll er sich im Jemen aufhalten. Al-Awlaki wird vorgeworfen, im Internet zum Heiligen Krieg gegen die USA aufgerufen zu haben, und zwar sehr erfolgreich. Attentate oder deren Vorbereitung werden ihm nicht zu Last gelegt. Dass die USA sich im Jemen in einem fortgesetzten bewaffneten Konflikt befänden, kann man schwerlich behaupten. Hielte sich Awlaki in den USA auf, hätte er Anspruch auf einen rechtsstaatlichen Prozess. Es entsteht der Eindruck, dass die USA im mittlerweile neunten Jahr des Antiterrorkampfes dessen Rechtgrundlagen immer stärker strapazieren und sich in einer völkerrechtlichen Grauzone bewegen.