Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
29. Januar 2011


Meister der Selbstverteidigung oder schonungsloser Aufklärer?
Die Methode Guttenberg

Andreas Flocken

Die Bundeswehr erlebt zurzeit stürmische Zeiten. Für Negativschlagzeilen sorgen die Ablösung des Gorch Fock-Kommandanten, systematisch geöffnete Feldpostbriefe und Vertuschungsvorwürfe im Zusammenhang mit einem bei einem Unfall in Afghanistan erschossenen Soldaten. Verteidigungsminister zu Guttenberg bläst der Wind gewaltig ins Gesicht. Der bei Meinungsumfragen populärste deutsche Politiker ist mächtig unter Druck geraten.

Doch der nach außen so souveräne CSU-Politiker lässt sich das Heft des Handelns nicht aus der Hand nehmen. In der Gorch Fock-Affäre hat er einmal mehr gezeigt, dass er schnell entscheiden kann. Die Absetzung des Kommandanten: ein Befreiungsschlag, nachdem die Kritik an dem Verteidigungsminister immer lauter geworden ist?

Die Entscheidung kam jedenfalls überraschend. Denn unmittelbar zuvor hatte zu Guttenberg Ende vergangener Woche noch vor einer Vorverurteilung des Offiziers gewarnt - im Bundestag, aber auch in Interviews:

O-Ton zu Guttenberg
„Personelle Konsequenzen oder Konsequenzen werden immer dann gezogen, wenn man Ergebnisse von Aufklärung hat. Diese Aufklärung nehmen wir derzeit vor. Diese Aufklärung wird auch rückhaltlos vorgenommen. Das gilt für die Gorch Fock, das gilt für den Soldaten. Das gilt für jeden Fall und für jeden Vorwurf, der mich erreicht.“

Doch keine 24 Stunden später hatte es zu Guttenberg auf einmal besonders eilig. Der Kapitän wurde abgesetzt – ohne ihn vorher anzuhören. Die entsandte Untersuchungskommission hatte noch keinen Fuß auf die Gorch Fock gesetzt. Eben noch vertretene Grundsätze wurden über Bord geworfen. In der Öffentlichkeit demonstrierte der CSU-Politiker aber Handlungsstärke:

O-Ton zu Guttenberg
„Der Kommandant ist von seinen Führungsaufgaben entbunden, ich habe das angewiesen. Zum Zweiten wird die Gorch Fock unverzüglich in den Heimathafen zurückkehren. Und bis zur Klärung der Vorwürfe und entsprechend der notwendigen Klärung wird die Gorch Fock an die Kette gelegt werden bis entschieden ist, ob und wie man die Ausbildung fortführen wird.“

Warum der schnelle Sinneswandel? Es hätten neue Informationen vorgelegen, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Welche genau, das war allerdings nicht zu erfahren.

Vielleicht war es kein Zufall, dass die BILD-Zeitung den Verteidigungsminister mit Berichten über Missstände an Bord der Gorch Fock konfrontiert hatte. Mit dabei: ein Foto, wie die Besatzung wenige Tage nach dem Tod der Offiziersanwärterin fröhlich Karneval feierte.

Die Opposition wirft dem Verteidigungsminister Aktionismus vor und ist empört. Hatte er doch unmittelbar zuvor noch vor einer Vorverurteilung gewarnt. SPD-Fraktionschef Steinmeier:

O-Ton Steinmeier
„Am Tag danach - nachdem eine große Boulevardzeitung ihn aufgefordert hat, den Kapitän der Gorch Fock zu entlassen – folgt er dann diesem Schritt, ohne dass Aufklärung getan worden ist. Wir als Parlament empfinden das als Frechheit."

Das Vorgehen des Verteidigungsministers erinnert an seinen Umgang mit dem Luftangriff auf die bei Kundus entführten Tanklaster vor knapp eineinhalb Jahren. Der damalige Generalinspekteur Schneiderhan hatte wenig später den umstrittenen Luftschlag als „militärisch angemessen“ bezeichnet - wissend, dass bei dem von Oberst Klein angeforderten Bombardement gegen ISAF-Einsatzregeln verstoßen worden war. Schneiderhahns Stellungnahme – eine Gratwanderung:

O-Ton Schneiderhan
„Je instabiler sich die Situation vor Ort entwickelt, je mehr gegnerische Kräfte zu militärischen Formen der Kampfführung übergehen, desto weiter wird das Spektrum erforderlicher Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit im Einsatzgebiet sein. Daraus folgt zwangsläufig, dass sich militärische Lagen ergeben können, in denen auch der Einsatz tödlich wirkender Waffen unumgänglich ist. ........ Vor diesem Hintergrund und in Kenntnis des jetzt vorliegenden Untersuchungsergebnisses habe ich keinen Grund daran zu zweifeln, dass deutsche Soldaten auf der Grundlage des Mandates der Vereinten Nationen angesichts der schwierigen Lage in operativer Hinsicht militärisch angemessen gehandelt haben.“

Obwohl zu Guttenberg den geheimen NATO-Untersuchungsbericht kannte, ging der CSU-Politiker damals über die Bewertung seines Generalinspekteurs erheblich hinaus:

O-Ton zu Guttenberg
„Ich darf allerdings auch sagen, dass ich nach meiner Einschätzung zu dem Schluss komme: Selbst wenn es keine Verfahrensfehler gegeben hätte, hätte es zum Luftschlag kommen
müssen.

Wie der CSU-Politiker zu dieser Schlussfolgerung kommen konnte, ist bis heute rätselhaft. Wenig später dann der Rückzieher. Der Verteidigungsminister musste einräumen, dass der Luftschlag ein Fehler war, also militärisch nicht angemessen war.

O-Ton zu Guttenberg.
„Nachdem ich – ohne juristische Wertung, das ist mir wichtig – meine Beurteilung diesbezüglich, rückblickend mit Bedauern korrigiere, korrigiere ich meine Beurteilung allerdings nicht betreffend meines Verständnisses bezüglich Oberst Klein. Das ist der Grund - das sage ich auch an dieser Stelle, - weshalb ich Oberst Klein nicht fallen lassen werde. Das würde sich nicht gehören.“

Fallengelassen hat zu Guttenberg dafür Generalinspekteur Schneiderhan und Staatssekretär Wichert. Sie hätten ihm Dokumente über den Luftschlag vorenthalten, so der Vorwurf. Für Kritiker ein Bauernopfer. Der Verteidigungsminister wolle nur von der eigenen Fehleinschätzung des Luftangriffs bei Kundus ablenken, hieß es von Oppositionspolitikern.

Nicht ganz frei von Widersprüchen ist auch die Art, wie der Verteidigungsminister die Reform der Bundeswehr anpackt. Angesichts der Sparzwänge verkündete zu Guttenberg im vergangenen Jahr in der Hamburger Führungsakademie einen Paradigmenwechsel, unterstrich die zentrale Rolle der Schuldenbremse für die weitere Entwicklung der Bundeswehr:

O-Ton zu Guttenberg
„Der Anspruch ‚Cost to Design‘, also den strukturellen Rahmen seitens der Exekutive vorzugeben und anschließend zu finanzieren, wird völlig illusionsfrei durch die Realität des ‚Design to Cost‘ bestimmt werden, also der Finanzrah-men wird den strukturellen Rahmen und damit auch das eigene Anspruchsni-veau, den ‚level of ambition‘, vorzugeben drohen.“

Inzwischen betont der Verteidigungsminister aber regelmäßig, es werde keine Sicherheitspolitik nach Kassenlage geben.

Auf der Kabinettsklausur im Sommer vergangenen Jahres hatte zu Guttenberg allerdings zugestimmt, dass die Bundeswehr bis 2014 8,3 Milliarden Euro einsparen soll. Mittlerweile hält der CSU-Politiker dieses Sparziel für unrealistisch, fordert auf einmal für die Reform eine Anschubfinanzierung.

Und noch eine Wende. Angesichts des Umbaus der Bundeswehr machte zu Guttenberg Landes- und Lokalpolitikern zunächst wenig Hoffnung, kleinere Standorte könnten im Zuge der Umstrukturierung der Bundeswehr erhalten werden. Der Verteidigungsminister im Mai in der Führungsakademie:

O-Ton zu Guttenberg
„Regionalpolitische Gesichtspunkte, die mit voller Wucht einschlagen werden, mit voller Wucht, werden dabei leider kaum prioritär sein können. Die Belegungsdichte pro Standort wird weiter zu heben sein, Standorte unter einer gewissen Zahl von Dienstposten müssten per se als minder wirtschaftlich einzuordnen sein und nur bei zwingender militärischer Funktionalität zu begründen sein“

Mittlerweile gibt sich der Verteidigungsminister kompromissbereit. Es könnte durchaus sein, dass es künftig weiterhin kleinere Standorte geben werde:

O-Ton zu Guttenberg (in Rostock)
„Ich hab auch noch einmal darauf hingewiesen, dass es mit mir keine Ober-grenze geben wird nach dem Rasenmäher-Prinzip, alles was beispielsweise unter einer gewissen Zahl x fällt, würde dann wegfallen. Davon halte ich über-haupt nichts. Es wurde ja auch schon mal kolportiert. Es kann durchaus sein, dass es künftig auch weiterhin kleinere aber auch größere Standorte gibt. Das ist natürlich dann von sehr unterschiedlichen Maßgaben abhängig.“

Entschieden und lautstark war zu Guttenberg im Streit um die Kostensteigerungen für das Transportflugzeug A400M aufgetreten. Verträge seien einzuhalten. Doch dann knickte der Verteidigungsminister ein. Die Bundeswehr bekommt nun für dasselbe Geld weniger Flugzeuge, muss also pro Maschine erheblich mehr bezahlen als vereinbart.

Mit seinem Zick-Zack-Kurs konnte der Verteidigungsminister bisher noch jeder Klippe ausweichen. Bisher hat er mit seinen überraschenden Kurswechseln nicht Schiffbruch erlitten. Vor diesem Hintergrund kann der abgesetzte Kommandant der Gorch Fock sogar noch hoffen. Anfang der Woche erklärte zu Guttenberg: Wenn sich die Anschuldigungen als nicht stichhaltig erweisen sollten, werde Norbert Schatz seine Karriere wie geplant fortsetzen können.


 

Andreas Flocken ist Redakteur für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und Strategien" bei NDRinfo.