Gastbeitrag aus
Streitkräfte und Strategien - NDR info
30. Juni 2007


Verschwundene Geheimdaten, aufgelöste Dienststelle ZNBw

Wie die Bundeswehr den Konflikt mit dem BND verloren hat

von Alexander Richter

Der Schaden soll klein geredet werden. Sofort nach dem Bericht über den Datenverlust erklärten SPD-Verteidigungspolitiker, der Vorfall sei nicht so schlimm. Computerpannen seien zwar ärgerlich, kämen jedoch leider vor. Der Berliner Militärexperte Otfried Nassauer schätzt den Gedächtnisverlust in der Datenbank "Jasmin" völlig anders ein:

O-Ton:
"Jasmin, das gemeinsame Auswertesystem militärisches Nachrichtenwesen der Bundeswehr, ist die vielleicht wichtigste Datenbank für Auslandseinsätze. In dieser Datenbank fließen die Informationen zusammen, die das Auswärtige Amt bekommt, die andere deutsche Behörden bekommen, die die Nachrichtendienste einspeisen, die die Bundeswehreinheiten vor Ort einspeisen. Also, es ist der größte Pool überhaupt."

Durch die Löschaktion in diesem Pool seien wichtige Dokumente verloren gegangen, auf deren Basis Berichte und Lagemeldungen erstellt wurden, so Nassauer weiter. Er glaubt, dass wertvolle Informationen vernichtet worden sein könnten, die die parlamentarische Kontrolle erleichtert hätten, für die Verfolgung von Kriegsverbrechen auf dem Balkan hilfreich wären oder Aufschlüsse über islamische Extremisten hätten geben können.

Mittlerweile beschäftigt der Datenverlust auch den Verteidigungsminister. Franz Josef Jung kündigte eine "offensive Aufklärung" an. Um sein Versprechen einzuhalten, muss der Minister lediglich im eigenen Haus nachfragen: Denn im Führungsstab der Streitkräfte sitzt der ehemalige Kommandeur des Zentrums für Nachrichtenwesen – eben jener Dienststelle, in der die Datenbank mit den sensiblen Informationen beheimatet ist: Der Name des ehemaligen Kommandeurs: Brigadegeneral Armin Hasenpusch.

Unter Hasenpuschs Federführung wurde das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr, kurz ZNBw genannt, zu einer Einrichtung ausgebaut, die unter kritischer Beobachtung stand. Der Aufgabenbereich des Zentrums ähnelte dem eines Nachrichtendienstes. Etwa 640 Mitarbeiter sammelten am Dienstsitz in Gelsdorf im Schichtbetrieb Informationen aus aller Welt. Adressaten der ebenfalls im ZNBw erstellten Lageberichte über fremde Staaten und Streitkräfte waren die militärische und politische Führung. Kurzum: Die Dienststelle bei Bonn sammelte und verteilte sicherheitspolitische Informationen aus dem Ausland – eine Aufgabe, die laut Gesetz eigentlich dem Bundesnachrichtendienst vorbehalten ist.

Dem Bundesnachrichtendienst war das Treiben in Gelsdorf ein Dorn im Auge – Einfluss und Geld standen auf dem Spiel. Zumal einigen BND-Mitarbeitern der Gedanke unangenehm gewesen sein dürfte, dass innerhalb Deutschlands eine Stelle entsteht, die anhand eigener Berichte in der Lage sein könnte, BND-Meldungen zu überprüfen. Folglich entbrannte ein Machtkampf zwischen Bundesnachrichtendienst einerseits und militärischem Nachrichtenwesen andererseits.

Letztendlich konnte der BND das Blatt zu seinen Gunsten wenden und die Militärs in die Schranken weisen: Die Regierung entschied, wesentliche Teile des Zentrums für Nachrichtenwesen der Bundeswehr im Bundesnachrichtendienst aufgehen zu lassen und das ZNBw aufzulösen.

Ob der nun aufgedeckte Datenverlust in der ZNBw-Datenbank "Jasmin" eine Rolle im Machtkampf mit dem BND gespielt hat, ist noch zu klären. Auffällig ist, dass die Löschung der Daten vom Hauptsystem und die spätere Vernichtung der Archivbänder einerseits sowie der Weggang Hasenpuschs ins Verteidigungsministerium und die Regierungsentscheidung für die Zusammenlegung von ZNBw und BND andererseits zeitlich nahe beieinander liegen.

Laut Verteidigungsministerium wurde irgendwann im Jahr 2004 im ZNBw entschieden, aus "Jasmin" eine wesentliche Datenmenge herauszunehmen und auf Bänder zu archivieren. Kurz gefasst: Das Netzwerk sollte demnach entmüllt werden, um die Leistung zu steigern. Es ist anzunehmen, dass Hasenpusch selber den Archivierungsversuch genehmigte, wenn nicht sogar anordnete. Laut Verteidigungsministerium stellte man irgendwann Ende 2004 dann fest, dass die Bänder nicht mehr lesbar waren. Im selben Zeitraum, nämlich im November 2004, gab Hasenpusch das ZNBw-Kommando ab und wechselte ins Bundesverteidigungsministerium. Es liegt nahe, dass der angebliche Schaden an den Archivbändern im Zuge der Kommandoübergabe in Geldsdorf entdeckt wurde.

Etwa ein halbes Jahr später, nämlich im Juni 2005, war der Machtkampf zwischen BND und ZNBw soweit entschieden, dass öffentlich verkündet wurde, eine Vereinbarung zur Übernahme des Zentrums für Nachrichtenwesen der Bundeswehr sei in wenigen Wochen unterschriftsreif. Am 27. Juli war es dann soweit: Bundeskanzleramt und Verteidigungsministerium unterzeichneten die so genannte Leistungsvereinbarung. Etwa drei Wochen zuvor, nämlich am 4. Juli 2005, wurden im ZNBw die Archivbänder vernichtet – angeblich aufgrund einer Vorschrift.

Angesichts der zeitlichen Abläufe und der möglichen Brisanz der verlorenen Daten will der Vizevorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Hans-Christian Ströbele, eine Manipulation nicht ausschließen:

O-Ton:
"Entweder ist hier ganz grob fahrlässig die Technik bedient worden. Oder man hat Daten verloren, weil man sie vielleicht gar nicht parat haben wollte. Weil man gar nicht so böse war, dass Daten verloren gehen."

Verteidigungspolitiker der SPD behaupten, dass der Verlust der Daten keine Lücke hinterlasse und das Ergebnis der parlamentarischen Kontrolle nicht beeinflusse. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, führt die derzeitige Untersuchung des ersten Einsatzes des Kommandos Spezial Kräfte in Afghanistan im Jahr 2002 ins Feld. Damit begrenzt er den Datenverlust nicht nur auf Meldungen aus Afghanistan. Er blendet auch den Verlust der Daten der Jahre 1999, 2001 und 2003 aus. Gegenüber NDR Info sagte er:

O-Ton:
"Was verschwunden ist, sind die Meldungen von einer ganz kleinen Zahl von Soldaten, die die KSK begleiten, die so genannte Zelle für militärisches Nachrichtenwesen. Die haben die Aufgabe, Informationen, durch persönliche Befragungen, durch Aufklärung von Satellitenbildern und so weiter, zu sammeln, damit KSK im Einsatz zu beraten und einsatzrelevante Daten auch an die militärische Leitung in Deutschland zu melden."

Arnold verschweigt, dass die militärische Nachrichtenzelle der Bundeswehr in Kandahar im Laufe des KSK-Einsatzes Informationen zugespielt bekam, auf die der Verteidigungsausschuss seit Monaten wartet.

Nach Informationen von NDR Info erhielt Anfang 2002 - kurz nach Beginn des KSK-Einsatzes in Afghanistan - ein deutscher Soldat von US-Soldaten eine CD-ROM. Auf dem Datenträger sollen die Namen von Gefangenen in der US-Basis Kandahar gespeichert gewesen sein. Über den weiteren Inhalt der CD gehen die Darstellungen auseinander. Einige besagen, es seien auch Verhörprotokolle enthalten, aus denen ersichtlich werde, dass die US-Kräfte die Gefangenen misshandelt hätten. Dass die CD mehr als nur eine Liste enthielt, ist wahrscheinlich: Denn in Akten deutscher Sicherheitsbehörden finden sich ein Foto und angeblich englischsprachige Dokumente, die offenbar von US-Kräften aus Kandahar stammen. Ob oder was noch auf der CD war, bleibt mutmaßlich im Dunkeln. Die Daten der gesuchten CD wurden nach Deutschland übermittelt und landeten offensichtlich auch im Computersystem "Jasmin" – eben jenem System, aus dem die Daten nun gelöscht wurden.

Damit bleibt die Frage offen, ob und wann die Bundeswehr davon erfuhr, dass US-Soldaten im Kampf gegen den Terrorismus grundlegende Menschenrechte verletzten. Auch bleibt zu klären, wen diese möglichen Informationen wann in Deutschland erreichten.


 

Alexander Richter ist freier Journalist und ehrenamtlich für BITS tätig..