Kehrtwende für die Bundeswehr?
Die Wahlaussagen der beiden großen Parteien
von Dr. Karl-Heinz Harenberg
Es war nicht nur auffällig, es war auch beunruhigend. Als die Kanzlerkandidatin der
CDU/CSU, Angela Merkel, gemeinsam mit ihrem Partner und Konkurrenten Edmund Stoiber von
der kleinen Schwesterpartei das Wahlprogramm der Union vorstellte, hatten die Mitglieder
der Bundespressekonferenz zwar viele Fragen, aber keine - keine einzige zum Thema Außen-
und Sicherheitspolitik. Dieses Desinteresse ist darum so unverständlich, weil die
zukünftige Gestaltung unserer Sicherheit das Schicksal Deutschlands vielleicht
nachdrücklicher prägen wird als die Anhebung der Mehrwertsteuer oder die mögliche Rolle
Edmund Stoibers in Berlin.
Als Erklärung für diese Ignoranz wird häufig angeführt, die sicherheitspolitischen
Vorstellungen der beiden großen Bundestagsparteien, CDU und SPD, hätten sich schon in
den vergangenen Jahren kaum unterschieden. So seien alle wichtigen Entscheidungen über
die Auslandseinsätze der Bundeswehr in weitgehender Übereinstimmung getroffen worden.
Auch bei der Wehrform - der Frage Wehrpflicht- oder Berufsarmee - seien sich zumindest die
führenden Politiker von SPD und CDU/CSU einig: trotz aller Widersprüche wollen sie an
der Wehrpflicht festhalten. Und selbst beim möglichen Einsatz der Bundeswehr in
Deutschland gäbe es mehr Übereinstimmung als auf den ersten Blick erkennbar. Denn die
rot-grüne Koalition habe durch die Änderung des Luftsicherheitsgesetzes den ersten
Schritt zum militärischen Antiterrorkampf in Deutschland bereits vollzogen. Und dass
diesem Schritt weitere folgen sollen, steht zwar nicht im Wahlmanifest der SPD, dafür
aber umso deutlicher in den Verteidigungspolitischen Richtlinien der amtierenden
Bundesregierung; dort heißt es unter anderem: die gewachsene Bedrohung durch
terroristische Angriffe stelle "zusätzliche Anforderungen an die Bundeswehr bei der
Aufgabenwahrnehmung im Inland". CDU/CSU müssen vergleichbare Pläne darum in ihrem
Wahlprogramm gar nicht erst ausführen. Im übrigen hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
schon Anfang vergangenen Jahres eine Grundgesetzänderung beantragt, um einen Einsatz der
Bundeswehr im Inneren über die Grenzen der Notstandsgesetze hinaus zu legitimieren.
Zwar lehnt die FDP, der mögliche Koalitionspartner in einer unionsgeführten
Bundesregierung, die Militarisierung der inneren Sicherheit zur Zeit noch strikt ab; aber
wie es um die Standfestigkeit kleinerer Parteien in einem Regierungsbündnis bestellt ist,
haben die Grünen in den zurückliegenden sieben Jahren ja auf das Peinlichste
vorgeführt.
Ist also nach einem Wahlsieg von CDU/CSU damit zu rechnen, dass zum Beispiel die
Stadien bei der Fußballweltmeisterschaft im nächsten Jahr von LEOPARD-Panzern der
Bundeswehr bewacht werden? Der Widersinn einer solchen Entwicklung wird gleich durch drei
Umstände deutlich: Erstens, dass weder die Anschläge 2001 in New York, im vergangenen
Jahr in Madrid oder jetzt in London durch einen Einsatz von Militär hätten verhindert
werden können. Zweitens, dass alle Experten in Deutschland immer wieder darauf verweisen,
dass deutsche Soldaten bei ihren Auslandseinsätzen schon jetzt Polizeiaufgaben wahrnehmen
müssten, für die sie weder ausgebildet noch ausgerüstet seien. Und drittens, dass die
deutschen Polizeien von den drastischen Sparmaßnahmen in Bund und Ländern nicht
ausgenommen werden, obwohl sie in jedem Falle die Hauptlast bei der Verhinderung und
Bekämpfung auch der neuen Bedrohungen zu tragen haben.
Doch allen Widersprüchen zum Trotz: Die Außen- und Sicherheitspolitik spielt in der
öffentlichen Debatte eine untergeordnete Rolle. Das gilt auch bei der Frage, was die
großen Parteien, wenn sie denn an die Macht kommen, mit der Bundeswehr sonst noch
vorhaben. Die SPD nimmt dazu in ihrem Wahlmanifest kein Blatt vor den Mund. Warum auch,
demonstriert sie doch schon seit Jahren, dass für sie kein Einsatzgebiet zu weit - keine
Aufgabe zu abstrus ist, um sie deutschen Soldaten zuzumuten. Dabei macht sie in ihrem
Manifest kein Hehl daraus, dass für sie nicht das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen
über den Einsatz deutscher Soldaten entscheidet, sondern allein das Gutdünken deutscher
Politiker: "Wir sagen dort Nein, wo wir nicht vom Einsatz militärischer Mittel
überzeugt sind," heißt es im SPD-Wahlprogramm wörtlich, "auch das ist
Ausdruck und Folge außenpolitischen Selbstbewusstseins." Eine Selbstüberschätzung,
die noch fatale Konsequenzen haben kann.
CDU/CSU halten sich auch bei dem Thema "Bundeswehr-Einsätze" auffallend
zurück, so wie sie bei konkreten Angaben über ihre sicherheitspolitischen Vorstellungen
und ihre Bundeswehrpläne ohnehin geizen. Trotz der "knappen finanziellen
Mittel" wollen sie `die Effizienz der Bundeswehr´ steigern; wie sie das anstellen
werden, zumal der Umfang der Armee wieder auf 300.000 Soldaten aufgestockt werden soll,
wird im Wahlprogramm nicht verraten. Weiterhin wollen sie ´unsere Sicherheit nicht nur in
entfernten Regionen und am Hindukusch verteidigen, sondern die Balance zu den nach wie vor
elementaren Aufgaben der Landesverteidigung wieder herstellen´. Dass diese Aufgaben auch
Feinde voraussetzen, bleibt natürlich unerwähnt. Sodann wollen CDU/CSU ´die
transatlantische Zusammenarbeit mit den USA neu beleben´, andererseits einen
Herzenswunsch in Washington - nämlich die Aufnahme der Türkei in die EU - aber schnöde
zurückweisen. Ein Widerspruch, der ebenfalls nicht geklärt wird.
Nur in Sachen Wehrpflicht bekennen CDU/CSU Farbe: "Die Wehrpflicht," heißt
es in ihrem Wahlprogramm, "stärkt den Rückhalt der Bundeswehr bei den Bürgern,
erleichtert die Gewinnung qualifizierten Nachwuchses und stellt Aufwuchsfähigkeit in
Krisenzeiten sicher." Diese ungewohnt wortreiche Erklärung hat nur einen
entscheidenden Nachteil: Sie nennt genau die Aspekte, aufgrund derer die Wehrpflicht durch
das Grundgesetz nicht gedeckt wird. Darüber sind sich die zahlreichen Wehrexperten in den
Unionsparteien natürlich im klaren. Und ein über die Parteigrenzen hinaus respektiertes
prominentes Mitglied der Union, der ehemalige Bundesverfassungsrichter Roman Herzog, hat
den Politikern schon vor Jahren ins Stammbuch geschrieben, dass der Erhalt der
Wehrpflicht, ohne aus Gründen der Landesverteidigung zwingend nötig zu sein, ein
missbräuchlicher Eingriff in die Lebensplanung junger Männer ist. Politische
Konsequenzen hatte das weder bei der amtierenden, noch wird es sie bei einer möglichen
CDU-geführten Bundesregierung haben. Und die angeblichen Korrektive, die
Koalitionspartner? Ob sie nun grün sind oder demnächst vielleicht gelb: Wenn es um die
Beteiligung an der Macht geht verzichten sie schnell auf ihre guten Vorsätze und werden
zu farblosen Mitläufern.
Dr. Karl-Heinz Harenberg ist Journalist. Über Jahrzehnte war er für die
Hörfunk-Sendung Streitkräfte und Strategien beim NDR zuständig, das einzige
sicherheitspolitische Hörfunkmagazin Deutschlands.
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