Gastbeitrag aus
Streitkräfte und Strategien - NDR info
16. Juli 2005


Kehrtwende für die Bundeswehr?

Die Wahlaussagen der beiden großen Parteien

von Dr. Karl-Heinz Harenberg

Es war nicht nur auffällig, es war auch beunruhigend. Als die Kanzlerkandidatin der CDU/CSU, Angela Merkel, gemeinsam mit ihrem Partner und Konkurrenten Edmund Stoiber von der kleinen Schwesterpartei das Wahlprogramm der Union vorstellte, hatten die Mitglieder der Bundespressekonferenz zwar viele Fragen, aber keine - keine einzige zum Thema Außen- und Sicherheitspolitik. Dieses Desinteresse ist darum so unverständlich, weil die zukünftige Gestaltung unserer Sicherheit das Schicksal Deutschlands vielleicht nachdrücklicher prägen wird als die Anhebung der Mehrwertsteuer oder die mögliche Rolle Edmund Stoibers in Berlin.

Als Erklärung für diese Ignoranz wird häufig angeführt, die sicherheitspolitischen Vorstellungen der beiden großen Bundestagsparteien, CDU und SPD, hätten sich schon in den vergangenen Jahren kaum unterschieden. So seien alle wichtigen Entscheidungen über die Auslandseinsätze der Bundeswehr in weitgehender Übereinstimmung getroffen worden. Auch bei der Wehrform - der Frage Wehrpflicht- oder Berufsarmee - seien sich zumindest die führenden Politiker von SPD und CDU/CSU einig: trotz aller Widersprüche wollen sie an der Wehrpflicht festhalten. Und selbst beim möglichen Einsatz der Bundeswehr in Deutschland gäbe es mehr Übereinstimmung als auf den ersten Blick erkennbar. Denn die rot-grüne Koalition habe durch die Änderung des Luftsicherheitsgesetzes den ersten Schritt zum militärischen Antiterrorkampf in Deutschland bereits vollzogen. Und dass diesem Schritt weitere folgen sollen, steht zwar nicht im Wahlmanifest der SPD, dafür aber umso deutlicher in den Verteidigungspolitischen Richtlinien der amtierenden Bundesregierung; dort heißt es unter anderem: die gewachsene Bedrohung durch terroristische Angriffe stelle "zusätzliche Anforderungen an die Bundeswehr bei der Aufgabenwahrnehmung im Inland". CDU/CSU müssen vergleichbare Pläne darum in ihrem Wahlprogramm gar nicht erst ausführen. Im übrigen hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion schon Anfang vergangenen Jahres eine Grundgesetzänderung beantragt, um einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren über die Grenzen der Notstandsgesetze hinaus zu legitimieren.

Zwar lehnt die FDP, der mögliche Koalitionspartner in einer unionsgeführten Bundesregierung, die Militarisierung der inneren Sicherheit zur Zeit noch strikt ab; aber wie es um die Standfestigkeit kleinerer Parteien in einem Regierungsbündnis bestellt ist, haben die Grünen in den zurückliegenden sieben Jahren ja auf das Peinlichste vorgeführt.

Ist also nach einem Wahlsieg von CDU/CSU damit zu rechnen, dass zum Beispiel die Stadien bei der Fußballweltmeisterschaft im nächsten Jahr von LEOPARD-Panzern der Bundeswehr bewacht werden? Der Widersinn einer solchen Entwicklung wird gleich durch drei Umstände deutlich: Erstens, dass weder die Anschläge 2001 in New York, im vergangenen Jahr in Madrid oder jetzt in London durch einen Einsatz von Militär hätten verhindert werden können. Zweitens, dass alle Experten in Deutschland immer wieder darauf verweisen, dass deutsche Soldaten bei ihren Auslandseinsätzen schon jetzt Polizeiaufgaben wahrnehmen müssten, für die sie weder ausgebildet noch ausgerüstet seien. Und drittens, dass die deutschen Polizeien von den drastischen Sparmaßnahmen in Bund und Ländern nicht ausgenommen werden, obwohl sie in jedem Falle die Hauptlast bei der Verhinderung und Bekämpfung auch der neuen Bedrohungen zu tragen haben.

Doch allen Widersprüchen zum Trotz: Die Außen- und Sicherheitspolitik spielt in der öffentlichen Debatte eine untergeordnete Rolle. Das gilt auch bei der Frage, was die großen Parteien, wenn sie denn an die Macht kommen, mit der Bundeswehr sonst noch vorhaben. Die SPD nimmt dazu in ihrem Wahlmanifest kein Blatt vor den Mund. Warum auch, demonstriert sie doch schon seit Jahren, dass für sie kein Einsatzgebiet zu weit - keine Aufgabe zu abstrus ist, um sie deutschen Soldaten zuzumuten. Dabei macht sie in ihrem Manifest kein Hehl daraus, dass für sie nicht das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen über den Einsatz deutscher Soldaten entscheidet, sondern allein das Gutdünken deutscher Politiker: "Wir sagen dort Nein, wo wir nicht vom Einsatz militärischer Mittel überzeugt sind," heißt es im SPD-Wahlprogramm wörtlich, "auch das ist Ausdruck und Folge außenpolitischen Selbstbewusstseins." Eine Selbstüberschätzung, die noch fatale Konsequenzen haben kann.

CDU/CSU halten sich auch bei dem Thema "Bundeswehr-Einsätze" auffallend zurück, so wie sie bei konkreten Angaben über ihre sicherheitspolitischen Vorstellungen und ihre Bundeswehrpläne ohnehin geizen. Trotz der "knappen finanziellen Mittel" wollen sie `die Effizienz der Bundeswehr´ steigern; wie sie das anstellen werden, zumal der Umfang der Armee wieder auf 300.000 Soldaten aufgestockt werden soll, wird im Wahlprogramm nicht verraten. Weiterhin wollen sie ´unsere Sicherheit nicht nur in entfernten Regionen und am Hindukusch verteidigen, sondern die Balance zu den nach wie vor elementaren Aufgaben der Landesverteidigung wieder herstellen´. Dass diese Aufgaben auch Feinde voraussetzen, bleibt natürlich unerwähnt. Sodann wollen CDU/CSU ´die transatlantische Zusammenarbeit mit den USA neu beleben´, andererseits einen Herzenswunsch in Washington - nämlich die Aufnahme der Türkei in die EU - aber schnöde zurückweisen. Ein Widerspruch, der ebenfalls nicht geklärt wird.

Nur in Sachen Wehrpflicht bekennen CDU/CSU Farbe: "Die Wehrpflicht," heißt es in ihrem Wahlprogramm, "stärkt den Rückhalt der Bundeswehr bei den Bürgern, erleichtert die Gewinnung qualifizierten Nachwuchses und stellt Aufwuchsfähigkeit in Krisenzeiten sicher." Diese ungewohnt wortreiche Erklärung hat nur einen entscheidenden Nachteil: Sie nennt genau die Aspekte, aufgrund derer die Wehrpflicht durch das Grundgesetz nicht gedeckt wird. Darüber sind sich die zahlreichen Wehrexperten in den Unionsparteien natürlich im klaren. Und ein über die Parteigrenzen hinaus respektiertes prominentes Mitglied der Union, der ehemalige Bundesverfassungsrichter Roman Herzog, hat den Politikern schon vor Jahren ins Stammbuch geschrieben, dass der Erhalt der Wehrpflicht, ohne aus Gründen der Landesverteidigung zwingend nötig zu sein, ein missbräuchlicher Eingriff in die Lebensplanung junger Männer ist. Politische Konsequenzen hatte das weder bei der amtierenden, noch wird es sie bei einer möglichen CDU-geführten Bundesregierung haben. Und die angeblichen Korrektive, die Koalitionspartner? Ob sie nun grün sind oder demnächst vielleicht gelb: Wenn es um die Beteiligung an der Macht geht verzichten sie schnell auf ihre guten Vorsätze und werden zu farblosen Mitläufern.


 

Dr. Karl-Heinz Harenberg ist Journalist. Über Jahrzehnte war er für die Hörfunk-Sendung “Streitkräfte und Strategien” beim NDR zuständig, das einzige sicherheitspolitische Hörfunkmagazin Deutschlands.