Schleichender Abschied vom Parlamentsheer?
Der Streit um das Entsendegesetz
von Dr. Karl-Heinz Harenberg
Gelegentlich benehmen sich Politiker wie ganz normale Menschen: Wenn ihnen eine
Entscheidung unheimlich ist, verschieben sie sie - soweit möglich - auf den
Sanktnimmerleinstag. Ein Beispiel dafür ist das Verschleppen eines Gesetzes, das die
Mitbestimmung des Parlamentes bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr regeln soll.
Im Gespräch ist ein solches Gesetz seit 1994. Damals hatten SPD- und FDP-Fraktion vor
dem Bundesverfassungsgericht die Regierung Kohl verklagt, weil sie deutsche Soldaten im
Auftrag der UNO auf dem Balkan eingesetzt hatte. Unter anderem ging es dabei um
Luftwaffenoffiziere in NATO-AWACS-Maschinen, mit deren Hilfe das gegen Jugoslawien
verhängte Flugverbot über Bosnien kontrolliert werden sollte. Zwar hat das höchste
deutsche Gericht damals in diesem Einsatz keinen Verstoß gegen das Grundgesetz gesehen,
es ordnete aber an, dass der Bundestag vor zukünftigen Entscheidungen über einen Einsatz
deutscher Streitkräfte beteiligt werden müsse. In diesem Zusammenhang hat das Gericht
empfohlen, das Zusammenwirken von Regierung und Parlament in solchen Fällen durch ein
Gesetz zu regeln. Denn - so die Richter in Karlsruhe zur Begründung - die Bundeswehr sei
ein Parlamentsheer und nicht etwa die Armee der jeweiligen Regierung.
Die Anordnung des Gerichtes wird seitdem weitgehend befolgt. In über zwanzig Fällen
haben die Regierungen unter Bundeskanzler Helmut Kohl und seit 1999 unter Gerhard
Schröder die Zustimmung des Deutschen Bundestages eingeholt, bevor sie deutsche Truppen
in Auslandseinsätze schickten - ob nun in den Luftkrieg gegen Jugoslawien oder den
Antiterrorkrieg in Afghanistan. Wie dramatisch es in Berlin dabei zugehen konnte, zeigt
die Auseinandersetzung über die Frage, ob sich Deutschland militärisch am amerikanischen
Unternehmen "Enduring Freedom" beteiligen sollte oder nicht. Bundeskanzler
Schröder konnte dabei die Mehrheit bei den Abgeordneten der eigenen Koalition nur
erzwingen, indem er mit der Kriegsfrage zugleich die Vertrauensfrage stellte.
Ganz anders allerdings sind Regierung und Parlament mit der Empfehlung der
Verfassungsrichter umgegangen, das Entscheidungsverfahren über Bundes-wehreinsätze
gesetzlich zu regeln. Darauf warten Staatsbürger in und ohne Uniform bis heute. Die
Gründe dafür sind offensichtlich. Auf der einen Seite funktioniert das bislang geübte
Verfahren weitgehend zufriedenstellend; und auf der anderen Seite ist die Materie so
kompliziert, dass sich die Abgeordneten der im Bundestag vertretenen Parteien bis heute
nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten. Obwohl es dabei doch um ihre ureigene
Angelegenheit geht: das Parlamentsheer. Erst der Alleingang der Bundesregierung beim
Einsatz von NATO-AWACS-Maschinen mit deutscher Beteiligung in der Türkei während des
Irak-Krieges hat die Diskussion überhaupt wieder in Gang gebracht. Ausschlaggebend dafür
war wohl, dass sich die FDP-Fraktion jetzt erneut an das Bundesverfassungsgericht gewandt
hatte. Eine Arbeitsgruppe von Abgeordneten aller Fraktionen einigte sich daraufhin, dass
Thema nunmehr energisch zu verfolgen - mit Rücksicht auf die deutschen Soldaten in der
Türkei allerdings erst nach Ende des Krieges. Das hat US-Präsident George W. Bush am 1.
Mai verkündet. Und tatsächlich hat der Bundestag seitdem bereits zwei Anhörungen veranstaltet,
eine mit Verteidigungsminister Peter Struck, die andere mit Außenminister Joschka
Fischer; weitere sollen folgen. Zu einer gemeinsamen Arbeitsgruppe, die einen
Gesetzentwurf entwickelt, konnten sich die Abgeordneten jedoch nicht durchringen. So
beharren die Unionsparteien nach wie vor darauf, dass die Bundesregierung einen solchen
Gesetzentwurf erarbeiten und dem Bundestag vorlegen müsse. Eine zentrale Frage
dabei ist, in welchen Fällen der Bundestag überhaupt gefragt werden muss. Schon bei der
Entsendung eines Erkundungskommandos ins geplante Stationierungsgebiet oder bei so
genannten Kleinsteinsätzen wie der Überwachung des Waffenstillstandes in Abchasien? Oder
erst dann, wenn der Einsatz jederzeit mit dem Risiko verbunden ist, dass die Soldaten auch
tatsächlich kämpfen müssen? Ein Risiko, das nach Auffassung gerade der Opposition beim
Einsatz der NATO-AWACS-Flugzeuge in der Türkei während des Irak-Krieges gegeben war.
Schon diese wenigen Fragen zeigen, welche Probleme bei der Arbeit an dem
Parlamentsbeteiligungsgesetz gelöst werden müssen.
Bisher können die Abgeordneten Einsatzplänen der Bundesregierung nur zustimmen oder
sie ablehnen. Aber mit diesem Ja oder Nein kann es nicht getan sein. Denn haben die
Volksvertreter erst einmal zugestimmt, haben sie damit auch Verantwortung übernommen für
das Schicksal jedes einzelnen Soldaten. Und diese Verantwortung kann nicht enden, wenn der
Einsatz tatsächlich beginnt. Das heißt, der Bundestag muss regelmäßig und ausführlich
über den Fortgang eines Einsatzes unterrichtet werden und mithin auch in der Lage sein,
seine Zustimmung zu korrigieren bzw. ganz zurückzunehmen. In diesem Fall, darüber
herrscht unter den Abgeordneten offenbar weitgehend Übereinstimmung, soll dem Parlament
ein Rückholrecht zugestanden werden - eine Forderung, die von der Bundesregierung
entschieden abgelehnt wird.
Wie schnell eine Situation eskalieren kann, hat der Einsatz eines deutschen
ABC-Spürpanzerverbandes in Kuwait gezeigt. Als die sechzig Spezialisten mit ihren fünf
Fahrzeugen im Frühjahr 2002 an den Golf verlegt wurden, konnte niemand voraussehen, dass
sie sich ein Jahr später im Aufmarschgebiet der anglo-amerikanischen Angriffsarmee gegen
den Irak wiederfinden würden. Die Bundesregierung, die diesen Krieg ausdrücklich
abgelehnt hatte, sah aus politischen Gründen dennoch keine Möglichkeit, den Verband
zurückzuholen. Hätte es der Bundestag tun können und tun müssen, wenn er das Recht
dazu gehabt hätte? Das Bundesverteidigungsministerium hat sich jedenfalls vorsichtshalber
schon einmal gegen ein solches Rückholrecht des Parlamentes ausgesprochen.
Der Bundestag wird also nicht nur Wert darauf legen müssen, bei einer Änderung des
militärischen Auftrages einbezogen zu werden, sondern er muss auch bei einer unerwarteten
Änderung der Lage im Einsatzgebiet das Recht haben, seine ursprüngliche Entscheidung zu
überdenken. Selbst wenn das zu außenpolitischen Verwicklungen zwischen Deutschland und
seinen Verbündeten führen könnte. Solche Verwicklungen sind zwangsläufig auch dann zu
erwarten, wenn sich der Bundestag gegenüber multinationalen Einsätzen mit deutscher
Beteiligung sperrt, zum Beispiel in der NATO oder der Europäischen Union. Ein Nein der
Abgeordneten wäre zum Beispiel sinnvoll gewesen bei so unsinnigen Einsätzen den
Verbündeten zuliebe wie Ende 1999 in Ost-Timor oder in diesem Jahr im Kongo schon mit
Rücksicht auf die personelle und finanzielle Situation der Bundeswehr. Vorausgesetzt
natürlich, sie werden überhaupt gefragt. Denn in den Unionsparteien wollen eine noch
unbekannte Zahl von Abgeordneten - angeführt vom ehemaligen Verteidigungsminister Rupert
Scholz - auf eine Parlamentsbeteiligung ganz verzichten, wenn multinationale Einsätze mit
deutscher Beteiligung zur Entscheidung anstehen. Eine Forderung, die jeder Bundesregierung
gefallen dürfte, deren Folgen aber verheerend wären. Denn der Verzicht der
Volksvertreter darauf, auch bei multinationalen Einsätzen NEIN sagen zu dürfen, könnte
Deutschland schon bald in abenteuerliche Feldzüge nach Art des amerikanischen
Angriffskrieges gegen den Irak verstricken. Vor dem Hintergrund einer derartigen Gefahr
sollte der Bundestag dann doch lieber gleich auf das geplante Beteiligungsgesetz
verzichten und - trotz aller Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten - an der bisherigen
Praxis festhalten.
Dr. Karl-Heinz Harenberg ist Journalist. Über Jahrzehnte war er für die
Hörfunk-Sendung Streitkräfte und Strategien beim NDR zuständig, das einzige
sicherheitspolitische Hörfunkmagazin Deutschlands.
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