Vereinbarung ohne Zukunft?
Atomteststopp-Vertrag 10 Jahre nach Unterzeichnung noch immer nicht in Kraft
Gastbeitrag von Dr. Oliver Meier
Der Teststopp-Vertrag gilt als Höhepunkt der nuklearen Rüstungskontrolle, denn er
kennt keine Ausnahmen vom Atomtestverbot. Die Vertragsstaaten werden verpflichtet, "keine
Versuchsexplosionen von Kernwaffen und keine andere nukleare Explosion
durchzuführen".
US-Präsident Clinton nannte den Teststopp-Vertrag dann auch voller Stolz den am
längsten angestrebten und am schwersten erkämpften Sieg der Rüstungskontrolle. Der
Vertrag, so Clinton damals bei der Zeichnungszeremonie, "wird dazu beitragen, zu
verhindern, dass die Atomwaffenstaaten modernere und gefährlichere Waffen entwickeln. Er
wird die Möglichkeiten anderer Staaten, Atomwaffen zu erwerben, begrenzen".
Obwohl sich mittlerweile bereits 176 Staaten das sind mehr als 90 Prozent der
internationalen Gemeinschaft durch ihre Unterschrift verpflichtet haben, keine
Kernwaffen zu testen, ist von der damaligen Euphorie heute wenig zu spüren. Der Grund:
Die Vereinbarung kann nicht in Kraft treten, weil sich 10 Staaten weigern, das Abkommen zu
ratifizieren. Sie gehören zu den 44 Ländern, die auf einer UN-Liste stehen, weil sie
über nukleare Technologie verfügen. Erst wenn die Parlamente all dieser Staaten
zugestimmt haben, ist der Teststopp-Vertrag völkerrechtlich bindend. Besonders schwer
wiegt, dass sechs dieser zehn Länder Atomwaffen besitzen: die USA, China, Indien, Israel,
Pakistan und Nordkorea.
Sie alle fürchten, dass ein dauerhafter Verzicht auf Atomtests ihre Möglichkeiten zur
Entwicklung neuer und leistungsfähigerer Atomwaffen einschränkt. Selbst Washington lehnt
inzwischen den Vertrag ab, weil es sich alle Optionen zur nuklearen Aufrüstung offen
halten will. Bisher ist die Supermacht aber durch Clintons zehn Jahre alte Unterschrift
gebunden, und hält sich an das Atomtestverbot.
Wie lange noch - das ist offen. Denn trotz des Widerstands von Kongress und
Öffentlichkeit hält die Bush-Administration an Plänen zur Entwicklung neuer Kernwaffen
fest. Hintergrund sind die Anschläge vom 11. September. Washington hat aus diesen
Ereignissen die Konsequenz gezogen, dass es künftig gegen mögliche Bedrohungen notfalls
auch präventiv vorgehen will. Der Einsatz von Nuklearwaffen wird dabei nicht
ausdrücklich ausgeschlossen.
Pläne zum Bau von so genannten Mini-Nukes, also kleinen Atombomben, und
bunkerbrechenden Nuklearwaffen sind zwar vorerst im Kongress gescheitert. Gefördert wird
aber die Entwicklung eines neuen robusten und zuverlässigeren Sprengkopfes, dem
"Reliable Replacement Warhead". Befürworter des Projekts betonen, dieser
Sprengkopf stelle sicher, dass die USA Atomwaffen weiterentwickeln können, ohne auf dem
immer noch gut gepflegten Atomtestgelände in der Wüste von Nevada Versuche durchführen
zu müssen. Denn die neue Kernwaffe, die bereits ab 2012 auf U-Booten stationiert werden
soll, wird weitgehend unter Rückgriff auf bereits erprobte und überprüfte Bestandteile
gebaut.
Ob die US-Marine aber letztlich bereit sein wird, mit einer neuen Atomwaffe durch die
Weltmeere zu fahren, die nie einem echten Test unterzogen wurde, darf bezweifelt werden.
Zwar wollen die USA auch im nächsten Jahr mehr als sechs Milliarden Dollar in die
Instandhaltung ihres Atomwaffenarsenals investieren. Aus Sicht der Atomwaffenlobby und
vieler Militärs ist ein Atomtest aber immer noch die beste Möglichkeit, um die
Einsatzfähigkeit und Sicherheit neu entwickelter Kernwaffen zu überprüfen. Das
Atomtestverbot ist insofern ein wichtiges Instrument, um die Entwicklung neuartiger
Atomwaffen zu erschweren.
Ebenso wichtig ist die Bedeutung des Teststopp-Vertrages für den Kampf gegen die
Verbreitung von Kernwaffen. Denn ohne einen Test kann kein nuklearer Newcomer sicher sein,
dass neu entwickelte Atomwaffen auch tatsächlich funktionieren. Kernwaffenversuche
bleiben zudem sichtbare Demonstrationen des neuen Atomstatus. Erst kürzlich warnten
amerikanische Geheimdienste wieder, Nordkorea stehe kurz davor, einen Atomtest
durchzuführen, um so alle internationalen Zweifel am Kernwaffenbesitz zu beseitigen.
Der Teststopp-Vertrag erhöht die Schwelle für die Zündung einer Kernwaffe zu
Testzwecken gleich zweifach. Die Vereinbarung stellt zum einen sicher, dass kein Atomtest
unentdeckt bleibt. Denn nach Inkrafttreten des Abkommens werden 321 Messstationen weltweit
die Einhaltung des Verbots überwachen. Zwei Drittel dieses Internationalen Monitoring
Systems sind bereits fertiggestellt worden. Zuständig für die Errichtung ist die Wiener
Teststopp-Behörde. Das Netz der Stationen ist schon jetzt so dicht, dass es praktisch
alle Atomtests aufspüren und lokalisieren kann.
Zudem stärkt der Vertrag schon jetzt die internationale Ächtung von Atomtests. Auf
der Grundlage des im Abkommen verankerten Verbotes kann die internationale Gemeinschaft
diejenigen bestrafen, die sich über den Vertrag hinwegsetzen.
Diese Mechanismen greifen aber erst dann voll, wenn der Vertrag rechtskräftig ist.
Außerdem können die Vertragsstaaten wichtige Komponenten des Überwachungssystems erst
nach Inkrafttreten nutzen - etwa die Möglichkeit, verdächtige Vorkommnisse durch
internationale Inspektoren vor Ort untersuchen zu lassen.
Wie geht es nun weiter mit dem Teststopp-Vertrag? Angesichts der politischen
Hängepartie ist ein langer Atem notwendig. Zwei Gefahren drohen: Sollte eine der großen
Atommächte erneut Kernwaffen testen, droht ein spektakuläres Scheitern des Verbots. Dann
könnte der atomare Rüstungswettlauf, etwa zwischen den USA und Russland oder aber
zwischen Indien und China, neu belebt werden.
Weniger Aufsehen erregend aber ebenso gefährlich wäre ein langsamer Niedergang des
Abkommens. Das politische Engagement der internationalen Gemeinschaft für den Vertrag
über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen lässt sich an der Unterstützung für
die Wiener Teststopp-Behörde messen. Noch erhält die Organisation die zur Durchführung
ihrer Arbeit notwendige finanzielle und technische Unterstützung. Aber es gibt einige
beunruhigende Warnsignale. So kürzen die USA seit Jahren eigenmächtig ihren finanziellen
Beitrag und verletzen damit ihre Pflichten als Unterzeichnerstaat. Im Windschatten
Washingtons sinkt auch die Zahlungsmoral anderer, vor allem lateinamerikanischer Staaten.
Die Befürworter des Vertrages, zu denen auch Deutschland gehört, sollten daher stetig
und energisch darauf drängen, dass auch die noch verbliebenen Staaten die Vereinbarung
unterzeichnen. Denn je kleiner der Club der Blockierer, desto größer wird der politische
Druck auf diese Länder, den Vertrag zu ratifizieren. Gleichzeitig ist diese Strategie ein
wirksamer Beitrag zur Ächtung von Atomtests. Konkret sollte die Bundesregierung gerade
gegenüber den USA bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihre Sorgen über eine mögliche
Wiederaufnahme amerikanischer Atomtests ansprechen und sich für eine Ratifizierung der
Vereinbarung einsetzen. In dieser Frage spricht die EU mit einer Stimme, da die beiden
europäischen Atommächte Frankreich und Großbritannien durch ihre Ratifikation bereits
frühzeitig auf Kernwaffentests verzichtet haben.
Europas Einsatz ist nötig, denn auf dem Spiel steht nicht nur ein dauerhaftes Verbot
von Atomtests, sondern das internationale System zur Verhinderung der Verbreitung von
Kernwaffen insgesamt. Der nukleare Nichtverbreitungsvertrag bleibt die Basis aller
Anstrengungen zur Abschaffung von Atomwaffen. Viele Nichtkernwaffenstaaten stimmten aber
1995 einer unbegrenzten Verlängerung der Laufzeit dieses Vertrages nur unter der
Voraussetzung zu, dass die Kernwaffenbesitzer dauerhaft, verbindlich und überprüfbar auf
Atomtests verzichten. Dieses Tauschgeschäft steht zehn Jahre nach Verabschiedung und
Auslegung des Teststopp-Vertrages wieder auf dem Spiel.
Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO und Friedensnobelpreisträger
Mohamed El Baradei bekräftigte daher anlässlich des Geburtstages der Vereinbarung, dass
der Vertrag der Schlüssel zu einer Welt ohne Atomwaffen ist. El Baradei warnte: "Wir
haben heute neun Atomwaffenstaaten. Wir haben 27.000 Atomsprengköpfe. Ich glaube, der
Moment der Wahrheit ist gekommen."
Dr Oliver Meier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für
Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg und Berliner Repräsentant der Arms
Control Asssociation (www.armscontrol.org)
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