Deutschlandfunk
22. Mai 2003


Der vierte Entwurf der Irak-Resolution

Otfried Nassauer im Gespräch mit Herrn Meurer

Meurer: Am Telefon begrüße ich Otfried Nassauer. Er ist der Direktor des Informationszentrums für transatlantische Sicherheit in Berlin. Guten Tag, Herr Nassauer.

Nassauer: Guten Tag, Herr Meurer!


Meurer: Wie sehr, glauben Sie, haben die Amerikaner wirklich nachgegeben in dieser Resolution?

Nassauer: In den beiden Kernfragen haben sie auf keinen Fall nachgegeben. Die politische und wirtschaftliche Zukunft des Iraks wird im Wesentlichen von den Koalitionsmächten, die diesen Krieg gewonnen haben, bestimmt. Und zum zweiten: Die Vereinten Nationen bekommen zwar eine als vital beschriebene Rolle, aber vital heißt nicht, dass sie die wirtschaftliche und politische Zukunft des Iraks bestimmen können. Und damit ist eine Situation gegeben, in der es zwar nicht mehr so ist wie im ersten Entwurf, dass Washington und London relativ frei hätten über das Vermögen des Iraks entscheiden können zusammen mit der Interimsregierung, sondern da jetzt beratend die UNO mit zulassen müssen. Das aber bedeutet immer noch nicht, dass die Vereinten Nationen tatsächlich wirklich die politische und wirtschaftliche Zukunft des Iraks bestimmen werden.


Meurer: Also, die Amerikaner haben das Sagen, und die Uno wird bestenfalls beratend zur Seite stehen.

Nassauer: Das ist in der Tat der Fall, und es wird wahrscheinlich auch für den Spezialkoordinator der Vereinten Nationen kein einfaches Spiel.


Meurer: Darf man einer solchen Resolution zustimmen, wenn man die Rolle der UNO stärken und nicht schwächen will?

Nassauer: Das ist die entscheidende Frage. Ich denke, dass man aus prinzipiellen Gründen hätte eigentlich nicht zustimmen können, dass man sich aber aus politischen Gründen entschlossen hat, das trotzdem zu tun. Und zwar die auch von Ihrem Korrespondenten aus Paris erwähnte Frage der Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens, die als Gefahr im Hintergrund lauert, die dürfte die mitentscheidende Rolle in dieser Frage gespielt haben.


Meurer: Also, die Einsicht, dass die UNO es gar nicht schaffen würde, für Stabilität im Irak zu sorgen?

Nassauer: Nein, weniger diese Frage als die Frage, dass, wenn der jetzige Zustand unbegrenzt weiter geht, es zu immer mehr Destabilisierung im Nahen und mittleren Osten kommen kann, und damit natürlich eine Gefahr entsteht, die insbesondere auch Europa und Russland durchaus sehr direkt betreffen kann. Die Tatsache, dass die Amerikaner die Situation im Irak nicht in der Geschwindigkeit unter Kontrolle bekommen haben, die wir vielleicht erhofft haben, und die Tatsache, dass die humanitäre Situation im Irak immer katastrophaler wird, immer noch. Das sind die beiden Gründe, die möglicherweise dafür gesorgt haben, dass hier entschieden wurde: O.k., wir verzichten auf die Einhaltung des Prinzips und hoffen, dass wir uns im Prozess - und das ist ja eine indirekte Hoffnung, die ausgedrückt worden ist - im Prozess dann doch letztendlich durchsetzen und die UNO Schritt für Schritt immer mehr Verantwortung übernimmt.


Meurer: Wie sehr, glauben Sie, haben sich vor allen Dingen Frankreich und Russland, aber auch Deutschland von dem Gedanken leiten lassen: Wir müssen ja schauen, dass wir wieder ein gutes Verhältnis zu den USA bekommen? Und machtpolitisch ist es für uns besser zu kooperieren als erneut gegen Washington zu arbeiten?

Nassauer: Das dürfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Rolle gespielt haben. Es wird aber meiner Einschätzung nach nicht die überwiegende Rolle gespielt haben. Ich glaube schon, dass die Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens die größere Frage war, und dass man hofft, dass man trotzdem jetzt über die Zusammenarbeit in der Irak-Frage Washington jetzt auch in der UNO wieder stärker einbinden kann. Nur, Prinzip Hoffnung an der Stelle, da habe ich meine Zweifel, dass das funktioniert.


Meurer: Wie sehr wird es Washington, dass ja zuletzt sehr scharfe Töne, gerade gegen Paris gerichtet hat, besänftigen, was gestern Abend in Paris beschlossen wurde?

Nassauer: Ich denke, dass Washington möglicherweise einfach sagt: Danke. Und das heißt: Ihr habt jetzt das gemacht, was wir eigentlich von euch immer schon wollten, nämlich uns zu unterstützen in einer Frage, die für uns politisch wichtig ist. Aber das ist eine Selbstverständlichkeit, und dafür habt ihr nicht mehr als ein verbales Danke verdient.


Meurer: So richtig aus vollem Herzen kommt das Dankeschön dann nicht?


Nassauer: Nein, überhaupt nicht. Das wird auch nicht mit größeren Gegenleistungen verbunden sein mit Ausnahme vielleicht der Beachtung einiger wirtschaftlicher Interessen die Frankreich und Russland haben.


Meurer: Das war Otfried Nassauer, Direktor des Informationszentrums für transatlantische Sicherheit zur neuen Irak-Resolution, über die heute Abend abgestimmt werden soll in New York. Ich bedanke mich, Herr Nassauer. Wiederhören!


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS