Leipziger Volkszeitung
22. Februar 2007


NMD-Projekt der Bush-Regierung könnte eine neue Runde im Wettrüsten auslösen

Interview mit Otfried Nassauer

Das NMD-Projekt der Bush-Regierung könnte eine neue Runde im Wettrüsten auslösen. Das sagt Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrum für transatlantische Sicherheit.

Frage: Gegen wen richtet sich das Raketenabwehrsystem?

Nach amerikanischen Aussagen ausschließlich gegen Raketen aus dem Nahen und Mittleren Osten, dem Iran. Dass man möglicherweise mit diesem Schirm auch einige russische Interkontinentalraketen abfangen könnte, spielt in der Begründung keine Rolle. Nordkoreanische Raketen würden von Basen in Kalifornien und Alaska aus bekämpft werden. Allerdings geht es bei Nordkorea und dem Iran um eine Bedrohung, die es noch gar nicht gibt.

Warum hat sich die Bush-Regierung für Polen und Tschechien als Stationierungsstaaten entschieden?

Technisch kann dieses Raketenabwehrsystem nur funktionieren, wenn die Abwehrraketen relativ nahe an der wahrscheinlichen Flugbahn anfliegender Raketen platziert werden. Unter den Nato-Staaten liegen Polen und Tschechien relativ weit östlich und sind auf dem Kontinent für dieses Projekt günstig gelegen. Andere mögliche Stationierungsländer wie Bulgarien oder Rumänien liegen fast zu nahe am Abschussort. Eine Rolle spielt auch, dass Großbritannien nur die Modernisierung eines Radars zulassen wollte

Welche Beweggründe haben Tschechien und Polen, diese Waffensysteme installieren zu lassen?

Beide Staaten bemühen sich um eine besonders enge bilaterale Beziehung zu den USA. Die Neumitglieder der NATO wollen - auch in Abgrenzung zu den alten – zeigen, dass sie wichtig sind. Für den Fall erneut wachsender Spannungen in Europa wollen diese Regierungen sich der amerikanischen Sicherheitsgarantie ganz sicher sein. Das zeigt sich übrigens auch an der demonstrativen Beteiligung an Operationen wie im Irak, wo es ja keine Nato-Verpflichtung zur Teilnahme gibt. Warschau erhoffte sich im Gegenzug sogar ein bilaterales Verteidigungsabkommen mit Washington, das über die Verteidigungszusagen in der Nato hinausgeht. Man hofft zudem auf modernste amerikanische Waffen zur Ausstattung der eigenen Armee – als Gegenleistung der USA.

Wie bedrohlich ist der Abwehrschirm für Russland?

Vorweg: Die russische Reaktion hat mehrere Motive. Zum einen wird das Verhältnis zu den USA als nicht mehr so kooperativ wahrgenommen wie früher. Deshalb artikuliert Russland eigene Interessen und wiedergewonnene Handlungsspielräume deutlicher. Zum anderen beeinträchtigt das Abwehrsystem, das ja nur zehn Abfangraketen umfasst, das russische Abschreckungspotenzial oder die Zweitschlagsfähigkeit nicht in Gänze, sondern nur zu einem kleinen Teil. Aber darum geht es Moskau auch gar nicht. Wichtiger ist, dass die Nato-Zusage, auf dem Territorium der neuen Mitglieder weder dauerhaft Truppen noch Waffen mit strategischen Fähigkeiten zu stationieren, mit diesem System unilateral gebrochen wird.

Stehen wir vor einer neuen Runde des Wettrüstens?

Aus der Stationierung könnte sich eine erneute Eskalation ergeben - zum Beispiel wenn Russland den INF-Vertrag kündigt und damit drohen würde, die Abfangraketenstellungen mit Mittelstreckenraketen anzugreifen. Dann ergäbe sich ein Wettlauf um verkürzte Vorwarnund politische Entscheidungszeiten in Krisen. Die USA dürfen dann ja auch wieder Mittelstreckenraketen bauen.

Auch in Deutschland fällt die Reaktion auf die Bush-Pläne distanziert aus. Ist das Verständnis für die russische Kritik berechtigt, oder ein Einknicken vor Präsident Putin?

Ich halte die russische Kritik und die Sorgen deutscher Politiker für nachvollziehbar. Wer meint, es liege im Interesse Deutschlands, mit unter diesen amerikanischen Schutzschild zu kommen, hat dieses System technisch nicht verstanden. Es dient nicht dem Schutz Europas, sondern ausschließlich dem der USA vor nuklearen Raketen. Für Europa plant die NATO eigene Systeme.

Das Interview führte Kostas Kipuros


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS