NMD-Projekt der Bush-Regierung könnte eine neue Runde im Wettrüsten auslösen
Interview mit Otfried Nassauer
Das NMD-Projekt der Bush-Regierung könnte eine neue Runde im Wettrüsten
auslösen. Das sagt Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrum für
transatlantische Sicherheit.
Frage: Gegen wen richtet sich das Raketenabwehrsystem?
Nach amerikanischen Aussagen ausschließlich gegen Raketen aus dem Nahen und Mittleren
Osten, dem Iran. Dass man möglicherweise mit diesem Schirm auch einige russische
Interkontinentalraketen abfangen könnte, spielt in der Begründung keine Rolle.
Nordkoreanische Raketen würden von Basen in Kalifornien und Alaska aus bekämpft werden.
Allerdings geht es bei Nordkorea und dem Iran um eine Bedrohung, die es noch gar nicht
gibt.
Warum hat sich die Bush-Regierung für Polen und Tschechien als
Stationierungsstaaten entschieden?
Technisch kann dieses Raketenabwehrsystem nur funktionieren, wenn die Abwehrraketen
relativ nahe an der wahrscheinlichen Flugbahn anfliegender Raketen platziert werden. Unter
den Nato-Staaten liegen Polen und Tschechien relativ weit östlich und sind auf dem
Kontinent für dieses Projekt günstig gelegen. Andere mögliche Stationierungsländer wie
Bulgarien oder Rumänien liegen fast zu nahe am Abschussort. Eine Rolle spielt auch, dass
Großbritannien nur die Modernisierung eines Radars zulassen wollte
Welche Beweggründe haben Tschechien und Polen, diese Waffensysteme installieren zu
lassen?
Beide Staaten bemühen sich um eine besonders enge bilaterale Beziehung zu den USA. Die
Neumitglieder der NATO wollen - auch in Abgrenzung zu den alten zeigen, dass sie
wichtig sind. Für den Fall erneut wachsender Spannungen in Europa wollen diese
Regierungen sich der amerikanischen Sicherheitsgarantie ganz sicher sein. Das zeigt sich
übrigens auch an der demonstrativen Beteiligung an Operationen wie im Irak, wo es ja
keine Nato-Verpflichtung zur Teilnahme gibt. Warschau erhoffte sich im Gegenzug sogar ein
bilaterales Verteidigungsabkommen mit Washington, das über die Verteidigungszusagen in
der Nato hinausgeht. Man hofft zudem auf modernste amerikanische Waffen zur Ausstattung
der eigenen Armee als Gegenleistung der USA.
Wie bedrohlich ist der Abwehrschirm für Russland?
Vorweg: Die russische Reaktion hat mehrere Motive. Zum einen wird das Verhältnis zu
den USA als nicht mehr so kooperativ wahrgenommen wie früher. Deshalb artikuliert
Russland eigene Interessen und wiedergewonnene Handlungsspielräume deutlicher. Zum
anderen beeinträchtigt das Abwehrsystem, das ja nur zehn Abfangraketen umfasst, das
russische Abschreckungspotenzial oder die Zweitschlagsfähigkeit nicht in Gänze, sondern
nur zu einem kleinen Teil. Aber darum geht es Moskau auch gar nicht. Wichtiger ist, dass
die Nato-Zusage, auf dem Territorium der neuen Mitglieder weder dauerhaft Truppen noch
Waffen mit strategischen Fähigkeiten zu stationieren, mit diesem System unilateral
gebrochen wird.
Stehen wir vor einer neuen Runde des Wettrüstens?
Aus der Stationierung könnte sich eine erneute Eskalation ergeben - zum Beispiel wenn
Russland den INF-Vertrag kündigt und damit drohen würde, die Abfangraketenstellungen mit
Mittelstreckenraketen anzugreifen. Dann ergäbe sich ein Wettlauf um verkürzte Vorwarnund
politische Entscheidungszeiten in Krisen. Die USA dürfen dann ja auch wieder
Mittelstreckenraketen bauen.
Auch in Deutschland fällt die Reaktion auf die Bush-Pläne distanziert aus. Ist
das Verständnis für die russische Kritik berechtigt, oder ein Einknicken vor Präsident
Putin?
Ich halte die russische Kritik und die Sorgen deutscher Politiker für nachvollziehbar.
Wer meint, es liege im Interesse Deutschlands, mit unter diesen amerikanischen
Schutzschild zu kommen, hat dieses System technisch nicht verstanden. Es dient nicht dem
Schutz Europas, sondern ausschließlich dem der USA vor nuklearen Raketen. Für Europa
plant die NATO eigene Systeme.
Das Interview führte Kostas Kipuros |
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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