„Die Entlassungen waren taktisch unklug“
Interview mit Otfried Nassauer
Sicherheitsexperte Otfried Nassauer über Minister Guttenberg
und die Aufarbeitung des Nato-Luftangriffs bei Kundus
Münchner Merkur: Verteidigungsminister zu Guttenberg hat kurz nach
seinem Amtsantritt Generalinspekteur Schneiderhan und Verteidigungs- Staatssekretär
Wichert entlassen, weil er sich über das Umfeld des Luftangriffs
bei Kundus ungenügend informiert fühlte. Hat er voreilig gehandelt?
Otfried Nassauer: Im Fall Schneiderhan ja und zudem taktisch sehr unklug,
denn er hat sich eines der besten Berater entledigt, die man als neuer
Minister haben kann. Guttenberg wollte sich als durchgreifender Minister
präsentieren – dann aber muss er auch richtige Entscheidungen treffen
und nicht solche, die hinterher so aussehen, als wolle man die eigene
Mitverantwortung für eine Fehlbewertung des Luftschlags abwälzen.
Guttenberg hatte zunächst gesagt, ihm seien Dokumente vorenthalten
worden. Später hat er dies relativiert. Will er sich so aus der Affäre
ziehen – wie die Opposition behauptet?
Man kann das so sehen. Eine andere Möglichkeit ist, dass ihm die
Berichte unter dem Aspekt „Wichtig“ und „Weniger wichtig“ präsentiert
wurden und der Minister sich später fehlinformiert fühlte, weil
ihm Informationen aus den „weniger wichtigen“ auf die Füße
fielen, die seiner Erstbeurteilung widersprachen. Staatssekretär
Wichert und Guttenberg hatten ja auch das Interesse, Minister Jung nicht
zu schädigen.
Es wird gesagt, dass der Minister durch einen Isaf-Bericht ausreichend
über den Angriff informiert war. Wenn es so war: Wirft das ein spezielles
Licht auf die Entlassungen?
Ja, denn es zeigt, dass der Minister schon früh auch um seinen Selbstschutz
bemüht war. Im Fall Schneiderhan er einen Fehler gemacht hat.
Und im Fall Wichert ...
... ist es meiner Meinung nach anders. Wichert war von Anfang detailliert
informiert und aktiv in fast alles involviert, was von deutscher Seite
unternommen wurde, um die Ereignisse bei Kundus in einem möglichst
positiven Licht erscheinen zu lassen.
Das lässt die Entlassung Wicherts in einem anderen Licht erscheinen.
Wichert war zu Jungs Zeiten der starke Mann im Ministerium – auch politisch.
Er und Jung tragen wohl die Hauptverantwortung für die Leugnung ziviler
Opfer vor der Bundestagswahl. Ihn trifft mit hoher Sicherheit Verantwortung
für die Fehlbehandlung des Falls und die Vertuschungen – ebenso wie
die Generäle, die Berichte bereinigt haben. Schneiderhan dürfte
von diesem Vorgehen abgeraten haben, sich aber loyal verhalten haben,
als er überstimmt wurde. Das Verteidigungsministerium ist nicht unerheblich
von einem Korps-Geist geprägt, der Offiziers-Korps und hohe Beamte
erfasst.
Kann der Kundus-Ausschuss dieses Geflecht durchdringen?
Nur in Teilen. Der Ausschuss ist nur für Teile der notwendigen Fragen
zuständig. Der Kommandostand, von dem aus diese Operation geführt
wurde (die Task Force 47) ist zusammengesetzt aus Soldaten, die für
den Bundesnachrichtendienst arbeiten, und aus Leuten des Kommandos Spezialkräfte.
Für den KSKBereich ist der Ausschuss voll zuständig, für
den BND aber das Parlamentarische Kontrollgremium.
Und das bedeutet ...
... dass es für die Exekutive notfalls immer Möglichkeiten
gibt, den Parlamentariern im Untersuchungsausschuss Grenzen aufzuzeigen,
ihnen Informationen und Auskünfte vorzuenthalten.
Ex-Generalinspekteur Kujat hat Mängel bei der Informationsstruktur
der Armee kritisiert. Zu Recht?
Ja, aber reicht das? Die Folgen des Korps-Geists müssen unterbunden
und schlechte Nachrichten dürfen nicht verdrängt werden – nur
weil ein Minister nur gute will. Dieses System existierte unter Jung und
hat sich richtig eingeschliffen. Das Mandat des Ausschusses ist aber zu
eng, um alle nötigen Strukturveränderungen zu eruieren, damit
das System aufgebrochen wird und nicht wieder entstehen kann.
Wird man die Wahrheit über die Vorgeschichte, den Luftangriff und
das Danach jemals erfahren?
Ich habe meine Zweifel. Auch, weil die Geheimhaltung den Ausschuss einengt
und die Selbstschutzmöglichkeiten der Verantwortlichen erweitert.
Ist zu Guttenberg als Verteidigungsminister noch am richtigen Platz?
Das kommt darauf an, welche Konsequenzen er aus den Erfahrungen zieht.
Ein Minister, der vollumfänglich lernt und es in Zukunft besser macht,
ist mit lieber als einer, der zurücktritt, weil er nicht lernfähig
war.
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Das Interview führte Werner Menner |
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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