Münchener Merkur
19. März 2010


„Die Entlassungen waren taktisch unklug“

Interview mit Otfried Nassauer

Sicherheitsexperte Otfried Nassauer über Minister Guttenberg und die Aufarbeitung des Nato-Luftangriffs bei Kundus


Münchner Merkur: Verteidigungsminister zu Guttenberg hat kurz nach seinem Amtsantritt Generalinspekteur Schneiderhan und Verteidigungs- Staatssekretär Wichert entlassen, weil er sich über das Umfeld des Luftangriffs bei Kundus ungenügend informiert fühlte. Hat er voreilig gehandelt?

Otfried Nassauer: Im Fall Schneiderhan ja und zudem taktisch sehr unklug, denn er hat sich eines der besten Berater entledigt, die man als neuer Minister haben kann. Guttenberg wollte sich als durchgreifender Minister präsentieren – dann aber muss er auch richtige Entscheidungen treffen und nicht solche, die hinterher so aussehen, als wolle man die eigene Mitverantwortung für eine Fehlbewertung des Luftschlags abwälzen.


Guttenberg hatte zunächst gesagt, ihm seien Dokumente vorenthalten worden. Später hat er dies relativiert. Will er sich so aus der Affäre ziehen – wie die Opposition behauptet?

Man kann das so sehen. Eine andere Möglichkeit ist, dass ihm die Berichte unter dem Aspekt „Wichtig“ und „Weniger wichtig“ präsentiert wurden und der Minister sich später fehlinformiert fühlte, weil ihm Informationen aus den „weniger wichtigen“ auf die Füße fielen, die seiner Erstbeurteilung widersprachen. Staatssekretär Wichert und Guttenberg hatten ja auch das Interesse, Minister Jung nicht zu schädigen.


Es wird gesagt, dass der Minister durch einen Isaf-Bericht ausreichend über den Angriff informiert war. Wenn es so war: Wirft das ein spezielles Licht auf die Entlassungen?

Ja, denn es zeigt, dass der Minister schon früh auch um seinen Selbstschutz bemüht war. Im Fall Schneiderhan er einen Fehler gemacht hat.


Und im Fall Wichert ...

... ist es meiner Meinung nach anders. Wichert war von Anfang detailliert informiert und aktiv in fast alles involviert, was von deutscher Seite unternommen wurde, um die Ereignisse bei Kundus in einem möglichst positiven Licht erscheinen zu lassen.


Das lässt die Entlassung Wicherts in einem anderen Licht erscheinen.

Wichert war zu Jungs Zeiten der starke Mann im Ministerium – auch politisch. Er und Jung tragen wohl die Hauptverantwortung für die Leugnung ziviler Opfer vor der Bundestagswahl. Ihn trifft mit hoher Sicherheit Verantwortung für die Fehlbehandlung des Falls und die Vertuschungen – ebenso wie die Generäle, die Berichte bereinigt haben. Schneiderhan dürfte von diesem Vorgehen abgeraten haben, sich aber loyal verhalten haben, als er überstimmt wurde. Das Verteidigungsministerium ist nicht unerheblich von einem Korps-Geist geprägt, der Offiziers-Korps und hohe Beamte erfasst.


Kann der Kundus-Ausschuss dieses Geflecht durchdringen?

Nur in Teilen. Der Ausschuss ist nur für Teile der notwendigen Fragen zuständig. Der Kommandostand, von dem aus diese Operation geführt wurde (die Task Force 47) ist zusammengesetzt aus Soldaten, die für den Bundesnachrichtendienst arbeiten, und aus Leuten des Kommandos Spezialkräfte. Für den KSKBereich ist der Ausschuss voll zuständig, für den BND aber das Parlamentarische Kontrollgremium.


Und das bedeutet ...

... dass es für die Exekutive notfalls immer Möglichkeiten gibt, den Parlamentariern im Untersuchungsausschuss Grenzen aufzuzeigen, ihnen Informationen und Auskünfte vorzuenthalten.


Ex-Generalinspekteur Kujat hat Mängel bei der Informationsstruktur der Armee kritisiert. Zu Recht?

Ja, aber reicht das? Die Folgen des Korps-Geists müssen unterbunden und schlechte Nachrichten dürfen nicht verdrängt werden – nur weil ein Minister nur gute will. Dieses System existierte unter Jung und hat sich richtig eingeschliffen. Das Mandat des Ausschusses ist aber zu eng, um alle nötigen Strukturveränderungen zu eruieren, damit das System aufgebrochen wird und nicht wieder entstehen kann.


Wird man die Wahrheit über die Vorgeschichte, den Luftangriff und das Danach jemals erfahren?

Ich habe meine Zweifel. Auch, weil die Geheimhaltung den Ausschuss einengt und die Selbstschutzmöglichkeiten der Verantwortlichen erweitert.


Ist zu Guttenberg als Verteidigungsminister noch am richtigen Platz?

Das kommt darauf an, welche Konsequenzen er aus den Erfahrungen zieht. Ein Minister, der vollumfänglich lernt und es in Zukunft besser macht, ist mit lieber als einer, der zurücktritt, weil er nicht lernfähig war.

Das Interview führte Werner Menner


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS