Neue Luzerner Zeitung - Interview
06. April 2009


Rüstungskontrolle wird wieder ein politisches Instrument

Interview mit Otfried Nassauer

Neue Luzerner Zeitung: Barack Obama hat gestern in Prag seine Abrüstungspläne angekündigt. Wie wichtig ist diese Ankündigung?
Nassauer: Sehr. Obama hat klar gemacht, dass er Rüstungskontrolle und Abrüstung wieder als Gestaltungsmittel internationaler Beziehungen nutzen will. Damit ist die Politik der Regierung Bush zu Ende. Im Kern greift Obama die Agenda von Bill Clinton wieder auf – hoffentlich mit mehr Konsequenz und Erfolg.

Also nichts Neues?
Nassauer: Doch, etwas Neues: Die Einschnitte bei den atomaren Waffen dürften tiefer ausfallen, als unter Clinton offiziell diskutiert.

Was heisst das konkret?
Nassauer: Der Vorschlag, der in Amerika kursiert, lautet: Je 1.000 aktive Atomwaffen bei den Streitkräften der USA und Russlands. Damit würden die strategischen Atomwaffen ( auf see- und landgestützten Langstreckenraketen sowie Bombern) gegenüber der derzeitigen Planung etwa halbiert. Einschnitte dürfte es auch bei den Reservesprengköpfen geben. Obama will kein riesiges, zweites Potenzial. Er selbst hat noch keine konkreten Zahlen genannt, weil er sich für die konkreten Verhandlungen Flexibilität erhalten will. Russland muss sparen und je weniger Geld für neue Raketen und Sprengköpfe nötig ist, desto besser. Moskau wird sicher Entgegenkommen bei technischen Details verlangen. Auf jeden Fall wird bald über einen neuen Vertrag verhandelt, der den Weg zu weiteren Abrüstungsschritten ebnen kann.

Wie realistisch schätzen Sie die Umsetzung dieser Pläne ein?
Nassauer: Für realistisch. Sowohl die USA als auch Russland haben ein klares Interesse an Abrüstung. Und sie haben ein weiteres gemeinsames Ziel.

Welches?
Nassauer: Beide Länder sind in Eile. Im April 2010 wird der Atomwaffensperrvertrag überprüft. Beide wollen verschärfte Regeln gegen die Verbreitung nuklearer Materialen und Waffentechnik. Soll das auch den Nicht-Nuklearnationen schmackhaft gemacht werden, so müssen die Atommächte Abrüstungswillen demonstrieren und konkrete Ergebnisse vorlegen. In diesem Kontext ist die Vision einer atomfreien Welt auch psychologisch wichtig.

Die Vision scheint sehr vage.
Nassauer: Wichtig ist, dass das Ziel Null wieder genannt worden ist. Dieses Ziel ist in den vergangenen Jahren von der politischen Agenda der USA verschwunden. Nun ist es wieder da. Barack Obama ist Realist genug, zu sagen, dass dieses Ziel zu seinen Lebzeiten möglicherweise nicht mehr erreicht wird.

Für wie möglich halten Sie dieses Ziel?
Nassauer: Es wäre durchaus möglich, wenn Obama konsequent tut, was er sagt. Die Frage lautet, wie der Mittlere Osten, wie China, Indien, Pakistan und die anderen Atommächte für dieses Ziel gewonnen werden können. Dabei scheint mir, dass Obama eine Doppelstrategie wählt.

Wie sieht diese aus?
Nassauer: Obama ist bereit, selbst erste Schritte zu machen. Er setzt auf Kooperation hofft, dass sich wie beim Atomwaffensperrvertrag eine Dynamik entwickelt, der sich letztlich kein Land entziehen kann. Nach und nach müssen sie nolens volens mitmachen – beim Verbot atomarer Waffentests oder beim Verbot der Produktion waffenfähigen Nuklearmaterials. Wer nicht mitmacht, macht sich selbst zum Außenseiter.

Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Begeisterung auf Israel überschwappt, ist wohl sehr gering?
Nassauer: Derzeit ja. Vielleicht entwickelt die Regierung Obama aber auch dafür neue Ansätze. Um Israel und die islamische Welt zu gewinnen, wäre ein neuer Umgang mit ihren Ängsten wichtig. Israel könnte beispielsweise eine Art Existenzgarantie erhalten; die islamische Welt dafür eine Nicht-Angriffsgarantie. Beides könnten starke Garantieren sein. Mit der Zeit könnte sich Israel fragen, ob es wirklich Atomwaffen braucht.

Wie geht es konkret weiter?
Nassauer: Zuerst stehen die Verhandlungen mit Russland auf der Agenda. Parallel stellt sich die Frage, ob Obama das Testverbot im amerikanischen Senat durchbringt: Die Zeichen dafür stehen wegen der demokratischen Mehrheit gut. Barack Obama bemüht sich jedenfalls um klare Signale, dass es ihm ernst ist: Die Gelder für die Entwicklung neuer Atomwaffen sind gestrichen worden.

Das Interview führte Iwona Meyer


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS