Von der Parlaments- zur Regierungsarmee?
Nach der Kabinettsentscheidung über die Tornado-Aufklärer
von Otfried Nassauer
In dieser Woche hat das Bundeskabinett beschlossen, deutsche Aufklärungsflugzeuge vom
Typ Tornado nach Afghanistan zu entsenden. Ende Februar oder Anfang März wird darüber
der Bundestag entscheiden. So mancher in Bundesregierung und Regierungsfraktionen hätte
den Beschluss am liebsten bereits Ende Dezember gefasst, und zwar ohne Beteiligung des
Bundestages. Doch das klappte nicht.
Auf den ersten Blick scheint es, als habe der massive politische Protest gegen solche
Überlegungen Wirkung gezeigt. Das Vorhaben der Bundesregierung, während der
Weihnachtspause einen Tornado-Einsatz in Afghanistan ohne neuen Parlamentsbeschluss
durchzusetzen, ist gescheitert. Der Bundestag wird über die Mission entscheiden. Es wird
ein zusätzliches Mandat für den Tornado-Einsatz geben. Einsatzbeschränkungen sind
vorgesehen. Der Auftrag der Bundeswehr in Afghanistan wird nicht still und heimlich durch
die Exekutive erweitert, sondern durch einen Bundestagsbeschluss. Deutschland beteiligt
sich nicht direkt und nicht dauerhaft an den Kampfhandlungen im Süden und Osten
Afghanistans. Es signalisiert trotzdem seine Bereitschaft zur Unterstützung der
NATO-Partner. Ist damit die Kuh auf Dauer vom Eis? - Kaum.
Die Bundesregierung will ab April sechs bis acht Tornado-Aufklärer und bis zu 500
Soldaten in Mazar-i-Sharif im Norden Afghanistans stationieren. Zusätzlich zu den bereits
entsandten rund 2.700 Bundeswehr-Soldaten. Das Einsatzgebiet der Tornados wird ganz
Afghanistan sein, auch der umkämpfte Süden und Osten. Das Mandat gilt bis zum Oktober.
Dann läuft auch das bisherige deutsche ISAF-Mandat aus. Eine Verlängerung ist möglich.
Die Erläuterungen zum Mandat halten fest, dass Einsätze zur Luftnahunterstützung, also
Luft-Boden-Einsätze mit der Bordkanone, nicht Gegenstand des Mandates sind. Einsätze zum
Selbstschutz sind nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Die Aufklärungsergebnisse sollen
der Unterstützung der ISAF-Mission dienen. Wörtlich heißt es: "Der
ISAF-Operationsplan sieht eine restriktive Übermittlung von Aufklärungsergebnissen an
OEF [ - die US-geführte Anti-Terrormission - ] vor. Die Übermittlung erfolgt nur, wenn
dies zur erfolgreichen Durchführung der ISAF-Operation oder für die Sicherheit von
ISAF-Kräften erforderlich ist." Das klingt restriktiv. Es beinhaltet aber für die
Praxis Flexibilität. Der ISAF-Operationsplan verbietet zwar ausdrücklich Einsätze zur
Terrorbekämpfung und gemeinsame Einsätze mit der OEF. Er erlaubt aber, dass ISAF-Kräfte
Einsätze durchführen, "durch die Tod, Verwundung oder Gefangennahme von Soldaten
der Koalition oder sie unterstützenden Angehörigen der Afghanischen Nationalen Armee
oder Polizei verhindert oder diese Soldaten aus Gefahrensituationen gerettet werden"
können. Das kann bei fast jeder Kampfhandlung der Fall sein. Die konkrete Praxis bleibt
also abzuwarten.
Solch wichtige taktische Details des Tornadoeinsatzes stehen derzeit im Vordergrund der
Diskussion. Sie verdecken, dass einige notwendige, politisch und strategisch bedeutsamere
Diskussionen derzeit nicht geführt werden. Diskussionen, die die Bundesregierung
scheinbar nicht führen will zumindest nicht öffentlich.
Da ist erstens die Debatte über die richtige Strategie für Afghanistan. Die
Bundesregierung wird nicht müde, der deutschen Öffentlichkeit zu erklären, dass
Deutschland in Afghanistan nur eine Stabilisierungs- und Wiederaufbaumission durchführt.
Diese unterscheide sich deutlich vom amerikanischen Vorgehen, die Taliban und Al Qaida
massiv mit militärischer Gewalt zu bekämpfen. Die deutschen Soldaten in Afghanistan
seien Gäste, nicht Besatzer. Die Bundesregierung sagt, sie wolle den deutschen Ansatz zur
Befriedung Afghanistans mithilfe anderer NATO-Partner schrittweise in ganz Afghanistan zur
Geltung bringen.
Wäre es der Bundesregierung damit wirklich ernst, so müsste sie eigentlich jetzt den
offenen Streit mit Washington suchen, welche Strategie zur Stabilisierung Afghanistans die
Richtige ist. Denn Washington marschiert mit Unterstützung der ISAF-Kräfte im Süden und
Osten Afghanistans in eine ganz andere Richtung: Die USA wollen in den kommenden Monaten
die Taliban und Al Qaida mit einer großen Offensive ein zweites Mal niederkämpfen und
zugleich die afghanischen Sicherheitskräfte erheblich ausbauen und aufrüsten. Viel
frisches Geld 10 Milliarden US-Dollar - und zeitweilig mehr Soldaten sollen dafür
zur Verfügung gestellt werden. Das so Washington schaffe die
Voraussetzungen für eine spätere, stabilere Entwicklung des Landes.
Die Bundesregierung dagegen glaubt, dass im umkämpften Süden schon jetzt vor allem
der Wiederaufbau schneller vorangetrieben werden müsse. Nur das werde die Menschen
überzeugen. Konkrete Vorschläge hat Berlin bislang nicht vorgelegt. Im Gegenteil: Die
Bundesregierung meidet eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den USA und will die
Aufklärungstornados entsenden, damit ihr weder mangelnde Solidarität noch Feigheit vor
dem Feind vorgeworfen wird. Berlin schießt die Bilder, und Washington schießt mit
Kugeln?
Wie ernst ist es der Bundesregierung eigentlich mit ihrer besseren Strategie zur
Stabilisierung Afghanistans? Ist dies deutsches Wunschdenken, Selbstbetrug oder schlicht
Rhetorik für den innenpolitischen Gebrauch? Manchmal muss man diesen Eindruck haben.
Es ist durchaus möglich, dass die Bundesregierung längst weiß, dass sie sich mit
ihren Vorstellungen weder in der NATO noch in Washington durchsetzen kann; dass sie weiß,
dass in Afghanistan 2007 ein neuer, harter Waffengang ansteht. Möglicherweise ist ihr
klar, dass die Tornado-Anforderung der NATO nur der Einstieg in eine Diskussion ist, in
der es um die Frage geht, in welchem Umfang sich Deutschland an eskalierenden
Kampfhandlungen künftig beteiligen soll. Wäre dem so, dann werden zwei Punkte deutlich.
Erstens: Die Bundesregierung versucht, den Prozess der deutschen Einbeziehung zu
verlangsamen. Und zweitens: Sie wird ihr eigenes Bild vom friedfertigen deutschen
Engagement in Afghanistan nur noch für begrenzte Zeit aufrechterhalten können. Dann aber
steht sie vor der Notwendigkeit, die Zukunft des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan
öffentlich neu zu begründen. Oder sie müsste dessen Ende herbeiführen, weil es in der
deutschen Gesellschaft für einen Kampfeinsatz keine Mehrheiten gäbe.
Vor diesem Hintergrund ist die große Debatte über die Zukunft und den Charakter des
deutschen Engagements in Afghanistan jetzt noch einmal vertagt worden. Die Bundesregierung
hat erneut eine Kompromissformel gefunden, mit der sie sowohl dem Streit mit Washington
als auch dem Streit mit den eigenen Bürgern aus dem Weg gehen kann. Diese Formel erlaubt
ihr, vorerst bei ihrer bisherigen Linie zu bleiben. Doch die Zeit läuft gegen eine solche
Politik. Dafür gibt es ein wichtiges Indiz: Etliche Spitzenpolitiker wollten den
Tornado-Einsatz ursprünglich ohne Beteiligung des Bundestages ermöglichen. So Peter
Struck, der SPD-Fraktionschef, und Frank-Walter Steinmeier, der Außenminister. Andere,
wie z.B. Norbert Röttgen, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion,
haben vorgeschlagen, das erst seit 2005 geltende Parlamentsbeteiligungsgesetz zu ändern.
Regierungen, die wissen, dass sie Entscheidungen treffen müssen, für die sie kaum
Mehrheiten bekommen werden, erweisen sich immer wieder einmal als gute Erfinder neuer
Spielregeln. Sie beschränken die Mitbestimmungsrechte anderer - rechtzeitig vor der
anstehenden Entscheidung.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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