Der Ruf nach Energiesicherheit
Herausforderung für eine neue Sicherheitspolitik?
von Otfried Nassauer
Bis heute sind die Debatten über Sicherheits- und Energiepolitik meist durch die
gleichen Stichworte geprägt: Energieabhängigkeit, Energiesicherheit,
Versorgungssicherheit um nur einige zu nennen. Schon diese Schlagwörter lassen die
Perspektive erahnen: Ein Land wie Deutschland, das stark von Energieeinfuhren abhängig
ist, muss dafür sorgen, dass ihm der Energiehahn nicht zugedreht werden kann. Ob bei
Krisen am Golf oder bei winterlichen Pipelinestreitigkeiten Russlands mit der Ukraine und
Weißrussland die Argumente ähneln sich. Politische und wirtschaftliche Vorsorge
sind möglich: Ein breiter Mix verschiedener Energieträger aus unterschiedlichen Ländern
das muss das Ziel der Verantwortlichen sein. Hundertprozentige Sicherheit aber ist
nicht möglich. Oft dienen solche Debatten auch als Anlass, geopolitische Grundsatzfragen
und Schwerpunkte zu diskutieren: Das deutsche Verhältnis zu Russland zum Beispiel. Oder
den deutschen Beitrag zur globalen amerikanischen Ordnungspolitik. Die Rolle der EU in der
Energiepolitik "Soll sie eine strategische Energiepolitik betreiben?"
Oder die Rolle der NATO: "Tritt der Verteidigungsfall ein, wenn einem NATO-Mitglied
von Russland der Energiehahn zugedreht wird?"
Letzteres forderte kürzlich der amerikanische Senator Richard Lugar. Er tat es
bezeichnenderweise in Riga - anlässlich des jüngsten NATO-Gipfels. Für Lugar lautet die
Antwort selbstverständlich "Ja". Sonst mache die NATO künftig kaum Sinn. Wenn
sicherheitspolitische Gesichtspunkte in die Diskussion über die Energiepolitik
einfließen und die Risiken für die Energieversorgung als Bedrohung debattiert werden,
dann wird unweigerlich auch über die Rolle von Streitkräften bei der Sicherung der
Energieversorgung geredet.
In den USA geschieht das mitunter ganz offen. Zitat: "Jeder Versuch einer
auswärtigen Macht, die Kontrolle über den Persischen Golf zu erlangen, wird als Angriff
auf die vitalen Interessen der USA betrachtet und ... mit allen erforderlichen Mitteln,
einschließlich militärischer zurückgeschlagen werden." [Zitat Ende]. Nein, Autor
dieser klaren Worte war nicht George W. Bush. Es war der liberale Demokrat Jimmy Carter,
der 1980 die nach ihm benannte Carter-Doktrin formulierte und begründete, warum
Washington eine Schnelle Eingreiftruppe für die Golfregion aufstellen müsse. Der Logik
einer militärischen Absicherung vor allem der leicht und kostengünstig zugänglichen
Energieressourcen folgt Washington bis heute. Seit die Regierung Bush im Amt ist, sogar
wieder verstärkt. Viele Amtsinhaber haben ihren Hintergrund in der Energie- und
Rüstungsindustrie. Das Vorhaben dieser Regierung, den Nahen und Mittleren Osten mit
notfalls militärischen Mitteln zu demokratisieren, hat sicher nicht nur - aber auch -
energiepolitische Gründe. Wer über die Verteilung der größten Erdöl-Reserven der Welt
mitbestimmt, kann besser beeinflussen, wie die wirtschaftliche Entwicklung potentieller
Konkurrenten zum Beispiel Chinas verläuft. Dafür ist manch amerikanischer
Stratege bereit, sehr weit zu gehen: Für einige ist es eine Option, die Ölfelder
Saudi-Arabiens einfach zu besetzen, sollte das autoritäre, aber amerikafreundliche
Königshaus einmal von fundamentalistischeren Kräften gestürzt werden. Die Ölreserven
im Sudan und im Golf von Guinea gehören sicher zu den Gründen dafür, dass die USA
künftig mit einem eigenen militärischen Oberkommando für Afrika, AFRICOM, mehr Präsenz
zeigen wollen.
Doch die Kosten einer solchen Politik der militärischen Absicherung sind enorm. Schon
zu Friedenszeiten, so amerikanische Wissenschaftler, dient seit vielen Jahren mindestens
ein Drittel der US-Militärausgaben diesem Zweck. Spätestens mit dem jüngsten Golfkrieg
übersteigen allein die Ausgaben für die Kriegführung die jährlichen Kosten für alle
Ölimporte Amerikas um ein Vielfaches.
Die Risiken werden weiter steigen. Der allergrößte Teil der bekannten, leicht
förderbaren Ölreserven kommt aus der Golfregion und ist aufgrund der zentralisierten
Infrastruktur sehr verwundbar auch durch Terroranschläge. Die wichtigsten
Transportrouten führen durch Meerengen und Kanäle, wie die Straßen von Hormuz und die
von Malakka oder durch den Suez-Kanal, wo sie ebenfalls sehr verwundbar sind. Die
Konkurrenz um die verfügbare Ölförderung wächst rasch. Denn der Bedarf der USA an
Ölimporten steigt. Noch deutlicher steigt der Energiebedarf Chinas, Indiens und
Südostasiens. Ganz gleich, wann die Ölreserven der Erde wirklich zur Neige gehen
entscheidender ist der Zeitpunkt, zu dem die Nachfrage vom Angebot nicht mehr gedeckt
werden kann und damit die Gefahr von Konflikten wächst. Ähnliches gilt wenn auch
später - für den zweiten wichtigen Energieträger, Erdgas.
Auch in deutschen Debatten spiegelt sich bislang vor allem diese traditionelle
Sichtweise des Zusammenhangs von Sicherheits- und Energiepolitik. Schon in den
Verteidigungspolitischen Richtlinien des Jahres 1993 wurde die Sicherung der Transportwege
für Öl und Gas als mögliche Aufgabe der Bundeswehr betrachtet. Auch das Weißbuch 2006
greift das Thema in dieser Form auf. Die aktuellen Debatten über die Verlässlichkeit
Russlands als Energielieferant oder eine gemeinsame Energiepolitik der Europäischen Union
spiegeln es wider.
Doch man kann das Verhältnis von Energie- und Sicherheitspolitik auch aus einer ganz
anderen Perspektive betrachten. Was wäre, wenn die Energiepolitik als wesentlicher
Bestandteil einer erweiterten Sicherheitspolitik betrachtet würde? Wenn sie als
Gestaltungsmittel der Sicherheitspolitik eingesetzt würde? Wenn Investitionen in
Energiespartechnologien und erneuerbare Energien als Investitionen in die Sicherheit und
Souveränität eines Staates betrachtet würden?
Der Paradigmenwechsel könnte kaum größer sein. Investitionen in die Entwicklung und
Einführung energiesparender Technologien und die Nutzung erneuerbarer Energien wären
dann sicherheitspolitische Investitionen. Staatliche Förderung könnte mit den gleichen
Argumenten begründet werden wie die Entwicklung oder der Erhalt wehrtechnischer
Kernfähigkeiten. Innovationen würden beschleunigt. Die Wettbewerbsfähigkeit dieser
Technologien würde rascher steigen. Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf
erfolgsträchtigen Exportmärkten würde signifikant gestärkt. Positive Auswirkungen auf
den Arbeitsmarkt sind schon heute bemerkbar. Über 200.000 Arbeitsplätze sind bereits
entstanden. Mit diesen Technologien wird nicht nur die Abhängigkeit vom Import fossiler
Energieträger geringer, auch die leicht verwundbaren Knotenpunkte der Infrastruktur
können reduziert werden. Jedes Megawatt Strom, das entweder eingespart oder mittels
erneuerbarer Energien erzeugt wird, senkt nicht nur den CO2-Aussstoß
Deutschlands. Es trägt auch zu einer Verringerung der globalen Konkurrenz um die fossilen
Energieträger und damit von Konfliktpotentialen bei. Es hilft bei der
Konfliktprävention. Die breite Einführung der einzelnen Technologien macht diese
billiger und damit schneller für ärmere Länder bezahlbar. Das fördert deren
Entwicklung, und Entwicklung kann eine Voraussetzung für Stabilität sein.
Die Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit eines solchen Wandels sind mit großer
Wahrscheinlichkeit gegeben. Das verdeutlichen auch amerikanische Studien wie jene mit dem
Titel "Das Öl-Endspiel gewinnen". Sie wurde vom Pentagon gefördert.
Allerdings: Es kommt darauf an, den Perspektivenwechsel auch zu vollziehen: Aus der
Energiepolitik folgen nicht primär sicherheitspolitische Risiken. Sie ist vor allem ein
sicherheitspolitisches Gestaltungsmittel.
Für eine oft als Alternative zu Öl und Gas ins Spiel gebrachte Technologie gilt all
dies allerdings nicht für die Kernenergie. Uran ist endlich. Nur die
Wiederaufbereitung und geschlossene Brennstoffkreisläufe könnten eine langfristige
Nutzung garantieren. Doch dann steigen die Risiken der Weiterverbreitung atomarer Waffen
erheblich. Denn die Wiederaufbereitung eröffnet den technologisch leichteren Weg zur
Bombe. Ganz abgesehen davon, dass Anlagen der kerntechnischen Industrie eine Risikoklasse
für sich darstellen.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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