Die geplante Struktur-Kommission
Chance für eine zukunftsorientierte Bundeswehr?
von Otfried Nassauer
Erste Vorschläge zu einer grundsätzlichen Neuausrichtung der
Bundeswehr ent-wickelte vor zehn Jahren die Weizsäcker-Kommission.
Die Kommission ließ sich von der Frage leiten, welche sicherheitspolitischen
Ziele und Vorstellungen die Bundesrepublik künftig gemeinsam mit
ihren europäischen Nachbarn verfolgen sollte. Daraus abgeleitet fragte
sie, welche Instrumente dazu erforderlich seien. Die Kommission entwickelte
Vorschläge für die Zukunft der Bundeswehr, deren Aufgabenstellung,
den Personalumfang, die Ausrüstung und deren Einordnung in multinationale
Zusammenarbeit. Ein Bespiel: Die Personalstärke der Bundeswehr sollte
auf etwa 240.000 Soldaten sinken, um die Bundeswehrplanung auf längere
Sicht auf eine auch finanziell tragfähige Grundlage zu stellen. Der
damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping nahm die Vorschläge
entgegen, setzte sie aber nicht um. Er griff stattdessen auf ein Konzept
zurück, das sein Chef des Planungsstabes, Harald Kujat, ausgearbeitet
hatte. Es sah nur kleinere Veränderungen vor und versprach damit
geringeren Widerstand in der Bundeswehr.
Erst Scharpings Nachfolger, Peter Struck, griff die Vorschläge der
Weizsäcker-Kommission auf. Mit Hilfe eines neuen Generalinspekteurs,
Wolfgang Schneiderhan, wurden viele der Grundüberlegungen, Ideen
und Anregungen der Kommission weiterentwickelt und in Planungsdokumente
der Bundeswehr eingearbeitet. So in die Verteidigungspolitischen Richtlinien
und in die Konzeption der Bundeswehr 2004. Wichtigstes Beispiel war die
Vorstellung von der Bundeswehr als „Armee im Einsatz“. Um jeden Verdacht
eines neuen deutschen Militarismus auszuräumen, griffen Struck und
Schneiderhan zum Mittel der freiwilligen Selbstbeschränkung. Sie
dimensionierten die Einsatzkräfte der Bundeswehr so, dass diese erkennbar
nicht zu großen nationalen Militäroperationen in der Lage waren.
Größere militärische Missionen sollten ausschließlich
in multinationaler Kooperation möglich sein. Hilmar Linnenkamp, damals
Leiter des Sekretariats der Weizsäcker-Kommission, über die
Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche externe Politikberatung:
O-Ton Linnenkamp
„Gelungene Beratung geht nur, wenn die richtigen Fragen gestellt werden.
... Die Kommission hat das Thema Reform der Bundeswehr in den größeren
politischen Zusammenhang eingeordnet, der dadurch geprägt ist, dass
die Bundeswehr eine Armee im Einsatz geworden ist. Ende der neunziger
Jahre war das Thema Kalter Krieg vorbei und die Bundeswehr musste sich
umstellen und reformieren zu einer Armee im Einsatz. Die entscheidenden
Themen, die die Kommission behandelt hat, waren die Struktur, das Personal,
die Rüstung und die Organisation der Bundeswehr. Und alles wäre
nichts wert gewesen, ohne die Unabhängigkeit der Teilnehmer an dieser
Kommission und das Ansehen und die Unabhängigkeit des Vorsitzenden,
Richard von Weizsäcker.“
Die Transformation der Bundeswehr könnte wie Bruckners 9. Symphonie
den Titel „Die Unvollendete“ tragen. Für Struck und Schneiderhan
war der Umbau der Streitkräfte ein Prozess kontinuierlicher Reformen
unter permanenter Fortschreibung der Ziele. Doch bereits unter Strucks
Nachfolger, Franz Josef Jung, wurde auf eine Weiterentwicklung der konzeptionellen
Vorstellungen und deren kontinuierliche Anpassung an die finanzielle
Realität weitgehend verzichtet. Mittlerweile stößt die
Bundeswehrplanung deshalb wieder an finanzielle und konzeptionelle Grenzen.
Etliche Fragen, die bereits die Weizsäcker-Kommission aufgeworfen
hatte oder die bei der Erarbeitung der Konzeption der Bundeswehr aufgetaucht
waren, wurden nicht weiter bearbeitet und beantwortet. Noch einmal Hilmar
Linnenkamp:
O-Ton Linnenkamp
„Alle die Fragen, die in der Kommission von besonderer Bedeutung gewesen
sind, also Einsatzorientierung, die Wehrpflicht und der europäische
Impuls, oder der europäische Imperativ, sind nach wie vor bedeutende
Themen. Sie sind alle nicht konsequent zu Ende geführt worden. Sie
sind in Ansätzen realisiert, in Ansätzen wahrgenommen und umgesetzt
worden, aber nicht konsequent.“
Die heute rund 250.000-Soldaten starke Bundeswehr kann mit dem vorhersehbar
verfügbaren Geld nicht erhalten und zugleich modernisiert werden.
Sie hat noch immer mehr Personal als die Weizsäcker-Kommission vorsah.
Und: Es ist oft das „falsche“ Personal. Es gibt zu viele Offiziere und
zu wenig Soldaten. Um den Offizieren angemessene Planstellen anbieten
zu können, hält die Bundeswehr an Stäben und Strukturen
fest, die oft überdimensioniert oder gar überflüssig sind.
Rationalisierung wäre möglich. Doch reicht das, um die Bundeswehrreformen
wieder aufs Gleis zu setzen?
Kaum. Denn was vor zehn Jahren der Bundeswehr eine tragfähige Reformperspektive
für das kommende Jahrzehnt geben konnte, ist heute dafür nicht
mehr ausreichend. Um erneut eine Reformperspektive mit ausreichender Lebenserwartung
zu entwickeln, müsste nachgeholt werden, was in den vergangenen Jahren
versäumt wurde: Einmal mehr müsste die Frage gestellt werden,
welchen Ansprüchen, welchem „level of ambition“ deutsche Sicherheitspolitik
im Kontext europäischer Sicherheitspolitik künftig genügen
soll. Erneut müsste gefragt werden, welche Ressourcen und Rahmenbedingungen
dafür realistisch verfügbar sein werden. Aus diesen Faktoren
wären Vorschläge für Umfang, Ausrüstung und Struktur
der Bundeswehr abzuleiten. Dabei gilt es, auch mit europäischen Ländern
stärker zusammenzuarbeiten. Denn große Rationalisierungspotenziale
entstehen vor allem dann, wenn die nationale Streitkräfte- und Rüstungsplanung
sich von der Vorstellung löst, dass jede europäische Nation
über alle militärischen Fähigkeiten verfügen muss.
Wird die künftige Bundeswehrkommission sich diesen und anderen zentralen
Fragen widmen? Wohl eher nicht. Aufgabenstellung und Zusammensetzung lassen
das vermuten. Vor dem Bundestag stellte Verteidigungsminister zu Guttenberg
klar:
O-Ton zu Guttenberg
„Auch deshalb und gerade, weil dieses Denken vom Einsatz her sich in den
Organisationsstrukturen widerzuspiegeln hat, werde ich eine Kommission
einsetzen, die bis Ende 2010 Vorschläge zu Eckpunkten einer neuen
Organisationsstruktur der Bundeswehr inklusive der Straffung der Führungs-
und Verwaltungsstrukturen zu erarbeiten hat. Es geht dabei nicht um eine
Neuauflage der Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“
aus dem Jahre 2000. Wir wollen dort Anpassungen vornehmen, wo die Bundeswehr
noch schlanker, noch effizienter, noch einsatzorientierter werden kann,
und wir wollen – auch das ist ehrgeizig; ich weiß das – auch Abläufe
von bürokratischen Fesseln befreien. Dazu wird die dann sicherlich
geplagte Kommission Vorschläge ausarbeiten, und auf dieser Grundlage
werde ich entscheiden.“
Effizienzsteigerung, Verbesserung der Einsatzorientierung, Befreiung
von bürokratischen Fesseln. Damit zielt die Bundesregierung vor
allem auf mehr Leistungsfähigkeit im Einsatz, insbesondere bei den
Auslandseinsätzen. Unberücksichtigt aber bleiben grundlegende
Fragen. Hilmar Linnenkamp, Mitarbeiter der Weizsäcker-Kommission,
hegt ebenfalls Zweifel:
O-Ton Linnenkamp
„Der Ansatz dieser Kommission, nach all dem was man davon weiß,
– zum Beispiel aus dem Koalitionsvertrag - ist zu eng. Es klingt nach
einer innerministeriellen Machtneuverteilung und nach Verbesserungen in
der Ablauforganisation. Das ist angesichts der Herausforderungen, vor
denen die Bundeswehr steht, ein zu enges Korsett.“
Die geplante Zusammensetzung der Kommission verstärkt die Zweifel:
Es soll eine bundeswehrinterne Kommission werden. Damit setzt der Minister
auf die Selbstheilungskräfte des Körpers Bundeswehr. Dass diese
künftig besser funktioniert als in der Vergangenheit, darf bezweifelt
werden. Rivalitäten der Teilstreitkräfte und Besitzstandswahrung
sind in der Bundeswehr keineswegs überwunden. Konsens über neue
Reformen ist damit vor allem in kleinen Dosen zu erwarten. Schon die Vorgabe
der Bundesregierung, die Bundeswehr unter der Maßgabe einer sechsmonatigen
Wehrpflicht zu planen, weist in diese Richtung und schränkt die Reformmöglichkeiten
deutlich ein. Mehr noch. Viele Reformschritte dürften an eine altbekannte
Bedingung verknüpft werden: Um effizienter zu werden, benötige
die Bundeswehr vor allem eines - mehr Geld.
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für
Transatlantische Sicherheit - BITS
|