Streitkräfte und Strategien - NDR info
12. März 2011


Nach dem Ministerwechsel – wie weiter mit der Bundeswehrreform?

von Otfried Nassauer

Am Schluss ging alles ganz schnell. Karl Theodor zu Guttenberg trat als Verteidigungsminister zurück. Der bisherige Innenminister Thomas de Maiziere wurde am Tag darauf zum Nachfolger bestimmt. De Maiziere ist ein enger Vertrauter von Kanzlerin Merkel. Seine Wahl soll eine rasche Rückkehr von der Diskussionen über Personen zur Diskussion über die Sachpolitik erleichtern. Ein Problem, das auch zu Guttenberg in seiner Rücktrittserklärung erwähnte:

O-Ton
„Wenn es auf dem Rücken der Soldaten nur noch um meine Person gehen soll, kann ich dies nicht mehr verantworten.“

Richtig. Die wochenlange Diskussion über die Person des Ministers schadet der Bundeswehr, den Soldaten und vor allem einem wichtigsten Großprojekt, der Reform der Bundeswehr. Auch dazu äußerte sich der scheidende Minister in seiner Rücktrittserklärung:

O-Ton
„[Und] es gehört sich, ein weitgehend bestelltes Haus zu hinterlassen, weshalb letzte Woche noch einmal viel Kraft auf den nächsten entscheidenden Reformschritt verwandt wurde, der nun von meinem Nachfolger bestens vorbereitet verabschiedet werden kann. Das Konzept der Reform steht.“

Eine äußerst gewagte Behauptung. Kaum war der Minister zurückgetreten, wurde erneut Kritik an seinen Reformplänen laut: Besonders deutlich wurde der ehemalige Wehrbeauftragte, Reinhold Robbe:

O-Ton Robbe
„Er hinterlässt einen Scherbenhaufen. Es sind lauter Baustellen, die nicht mal andeutungsweise einer Lösung zugeführt sind. Es ist mitnichten so, dass hier von einem bestellten Feld gesprochen werden kann.“

Das ist zweifellos richtig. Selbst grundlegende Fragen sind noch nicht geklärt. Nur einige wenige Beispiele:

Im Herbst letzten Jahres favorisierte Generalinspekteur Volker Wieker eine mutige Lösung: Die Bundeswehr solle von über 250.000 Soldaten auf 163.500 verkleinert werden. Wenn es dazu eine Anschubfinanzierung gebe, dann könne eine große Bundeswehrreform gelingen. Mehr Geld gab es aber nicht. Im Gegenteil: Das Kabinett beschloss kurz vor Wiekers Vorschlag, die Bundeswehr solle binnen vier Jahren 8,3 Milliarden zur Haushaltskonsolidierung beitragen - also einsparen. Sofort warnte Wieker, damit sei sein Vorschlag nicht mehr finanzierbar. Doch dieses Problem sollte noch größer werden. Um die Aussetzung der Wehrpflicht politisch durchsetzen zu können, musste zu Guttenberg akzeptieren, dass CDU und CSU den künftigen Umfang der Bundeswehr wieder deutlich nach oben korrigierten. 185.000 Soldaten sollen es künftig sein. Mehr Geld sagten sie ihrem Minister jedoch nicht zu. Zwar soll der Zeitraum, in dem 8,3 Milliarden gespart werden müssen jetzt um ein Jahr gestreckt werden. Bei der Höhe der Einsparung soll es aber bleiben. Das Grundproblem bleibt also bestehen: Die Armee soll mit weniger Geld mehr Personal finanzieren als damit bezahlbar ist. CDU und CSU haben das Problem geschaffen. Ihr Minister, zu Guttenberg, sollte es lösen. Der jedoch vertagte es. Sein Nachfolger muss sich jetzt damit befassen. Am 16. März erfahren wir mehr. Dann legt das Kabinett die Eckwerte für den Haushalt 2012 und die Mittelfristige Finanzplanung fest. Deutlich mehr Geld bekommt auch der neue Minister wohl kaum.

Ein zweites Beispiel: Bekommt Thomas de Maizeire keine zusätzlichen Mittel, so muss entweder dafür werben, dass die Bundeswehr doch deutlich kleiner wird oder bei den Investitionen sparen. Also bei Forschung, Entwicklung und vor allem der Beschaffung. Das aber geht nur auf Kosten der Modernisierung der Bundeswehr, auf Kosten der Verbesserung ihrer Einsetzbarkeit im Ausland. Für neu Anschaffungen ist nämlich kaum Geld da, weil die vorhandenen Mittel weitestgehend vertraglich gebunden sind.. Sie fließen noch auf  Jahre in Großprojekte wie den Eurofighter und die Hubschrauber Tiger und NH90. Diese Vorhaben aber tragen wenig dazu bei, dass die Bundeswehr ihre Auslandseinsätze bald besser bewältigen kann. Sie werden seit Jahren nur immer teurer, verzögern sich immer weiter und verschlingen das Geld, dass die Bundeswehr dringend benötigt, um neues Material für die Auslandseinsätze zu beschaffen. Im Juni letzten Jahres wurde deshalb im Ministerium eine Liste mit ersten Vorschlägen diskutiert, bei welchen Vorhaben größere Einschnitte gemacht werden sollten. Vorgeschlagen wurde unter anderem, auf weitere Eurofighter zu verzichten und nur noch die Hälfte der bestellten Hubschrauber zu kaufen. Einen Versuch, mit der Industrie über einen kostensenkenden Ausstieg aus laufenden Verträgen zu sprechen, wurde unter Minister Guttenberg jedoch nicht unternommen. Thomas de Maiziere muss es nun richten.

Ein letztes Beispiel: Der neue Minister fand auf seinem Schreibtisch Vorschläge für ein kleineres Verteidigungsministerium. Geschrieben wurden sie von Staatssekretär Walther Otremba, unter Guttenberg zuständig für die Buindeswehrreform. Die Vorschläge verteilen die Zuständigkeiten und damit die Macht im Ministerium neu. Vor allem zwischen dem Generalinspekteur und den beamteten Staatssekretären. Dieser Vorschlag ist heftig umstritten. Der ehemalige Generalinspekteur Kujat sprach von einer „Verzwergung“ des Generalinspekteurs. Auch diese Entscheidung hinterließ Guttenberg seinem Nachfolger.

Thomas de Maiziere scheint zu ahnen, dass er bei der Bundeswehrreform nicht nur auf Baustellen, sondern auch auf Leichen im Keller seines neuen Ministeriums stoßen könnte. Kaum im Amt veröffentlichte er einen Tagesbefehl in dem es heißt –Zitat:

Zitat:
„[Die] begonnene Reform der Bundeswehr werde ich konsequent fortsetzen. Die dazu notwendigen Entscheidungen werde ich nach einer gründlichen Lagefeststellung treffen. Ich weiß um die Dringlichkeit, dennoch: Ich nehme mir die Zeit, die ich brauche.“

Nach einer gründlichen Lagebeurteilung. Kurz darauf bat er Kanzlerin Merkel, Guttenbergs starken Mann für die Bundeswehrreform, Walther Otremba, in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.

Auch das Kanzleramt weiß um die Baustelle Bundeswehr. Dort hatte man schon im Dezember bemängelt, die Vorschläge Guttenbergs zur Reform der Bundeswehr seien bislang nur eine – so wörtlich - "sehr rudimentäre und unausgewogene Grundlage für Entscheidungen zur Reform der Bundeswehr". Im Kanzleramt vermisste man eine "als zwingend erachtete sicherheitspolitische Herleitung" und Aussagen über die strategischen Ansprüche (level of ambition), die die Bundeswehr künftig erfüllen solle.

Das Guttenbergsche Paket der Bundeswehrreform könnte unter de Maiziere also noch einmal weitgehend aufgeschnürt und grundsätzlich überprüft werden. Das jedenfalls hoffen viele, die es für problematisch oder unausgegoren halten. Sie fordern wahlweise eine Verschiebung, eine erneute gründliche Überprüfung oder – wie sooft in der Politik – einfach nur mehr Geld. Damit wäre der Bundeswehr jedoch nur kurzfristig geholfen. Sie könnte dann ihre Probleme für ein paar Jährchen wieder besser verstecken. Schon in wenigen Jahren aber stünde sie vor ähnlichen Problemen wie heute. Und wieder wäre das Geld knapp. Es gibt keine sinnvolle Alternative zu einer großen Reform der Bundeswehr. Die Bundeswehr muss dabei radikal schrumpfen und deutlich attraktiver werden. Sonst gelingt ihr der Übergang zu einer Freiwilligenarmee nicht. Auch das ist nun die Aufgabe von Verteidigungsminister de Maiziere. Der Mann ist nicht zu beneiden. Sein Haus ist nicht bestellt. Im Gegenteil, ihm fehlen noch große Teile der Fundamente.

[Eines könnte ihm bei seiner neuen Aufgabe helfen: Die Bundeswehr wird ihren neuen Minister schnell akzeptieren. Das zeigt ein Ereignis aus dem Jahr 2008. Damals hielt Thomas de Maiziere einen Vortrag vor der Clausewitz-Gesellschaft. Sein Thema:  „Vernetztes Handelns der Bundesregierung bei der Krisenbewältigung im multinationalen Umfeld“. Ein solider Vortrag mit sicherheitspolitischen Begründungen, so urteilten viele Offiziere, die ihm damals zuhörten. So mancher sah in dem Vortrag sogar eine Bewerbungsrede für das Amt des Verteidigungsministers.]


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS