Streitkräfte und Strategien - NDR info
25. Februar 2012


US-Verteidigungspolitik zwischen Sparzwängen und Umorientierung – mit erheblichen Folgen für die Europäer?

von Otfried Nassauer

Es war ihm offensichtlich sehr wichtig: Persönlich erschien Barack Obama im vergangenen Monat im Verteidigungsministerium vor der Presse. Zum ersten Mal, witzelte er. Gemeinsam mit Pentagonchef Leon Panetta stellte der Präsident die neue Vereidigungsstrategie der USA vor. Er hatte persönlich daran mitgearbeitet. Ein acht Seiten langes, eng bedrucktes Papier, das eine Trendwende ankündigt. Ihren ersten Niederschlag findet die neue Strategie im Entwurf für den Verteidigungshaushalt 2013.

Der Hintergrund: die horrende Staatsverschuldung zwingt Washington zum Sparen. Teurer waren insbesondere die Kriege im Irak und in Afghanistan. Verteidigungsminister Leon Panetta redet Klartext:

O-Ton Panetta (overvoice)
„Nach einem Jahrzehnt des Krieges und einem substanziellen Wachstum des Verteidigungsbudgets befinden wir uns an einem strategischen Wendepunkt. Der Kongress der Vereinigten Staaten hat in einem Paragraphen des Haushaltskontrollgesetzes gefordert, dass der Verteidigungshaushalt binnen 10 Jahren um 487 Milliarden Dollar reduziert werden soll. Diesen Umstand wollen wir als Gelegenheit nutzen, um eine neue Verteidigungsstrategie für die USA zu entwickeln: eine Strategie für die Streitkräfte, die wir in Zukunft haben wollen.“

Aus der Not eine Tugend zu machen und nach vorne zu blicken, das entspricht der Mentalität der Amerikaner. Eine Strategie zu entwickeln, heißt vor allem, klare Prioritäten zu setzen, die sich an den künftigen Herausforderungen ausrichten, vor denen die USA aus Sicht von Obama und Panetta stehen. Der Pentagonchef nennt folgende Notwendigkeiten:

O-Ton Panetta (overvoice)
„Erstens, die Streitkräfte werden kleiner und schlanker. Sie müssen zugleich agil, flexibel und schnell verlegbar sein. Sie werden technologisch auf dem neuesten Stand sein. Zweitens werden wir unsere globale Präsenz neu ausrichten. Im Blickfeld stehen dabei die Regionen, von denen wir glauben, dass dort die potenziellen Probleme der Welt liegen. Das heißt: wir werden Schwerpunkte in Asien und im Nahen und Mittleren Osten setzen.“

Das Hauptaugenmerk der USA gilt künftig vor allem dem westlichen Pazifik, Ostasien und dem Indischen Ozean. Hintergrund ist der Aufstieg Chinas zu einer Regional- und Weltwirtschaftsmacht. Für Washington der Anlass, jetzt auch selbst auf eine stärkere Präsenz in dieser Region zu setzen. Der Mittlere Osten bleibt weiter im Fokus der USA. Dort hatte George W. Bush die Kriege begonnen, die Präsident Obama jetzt zu beenden versucht. Die US-Regierung kann die bisherigen Partner in dieser Region nicht auf sich allein gestellt zurücklassen. Washington wird deshalb auch hier weiter Präsenz zeigen.

Europa dagegen verliert aus amerikanischer Sicht an sicherheitspolitischer Bedeutung. Als traditionell wichtigster Partner der USA soll es künftig stärker zur Sicherheit anderer Regionen beitragen. Der US-Beitrag zur europäischen Sicherheit wird daher zurückgehen.

In Deutschland zum Beispiel: Zwei schwere Brigaden werden aus Bayern und dem pfälzischen Baumholder abgezogen; eine Kampfflugzeugstaffel wird stillgelegt. Die Hauptquartiere der VII. US-Armee in Heidelberg und des V. Corps in Wiesbaden werden aufgelöst und umgegliedert. Mehr als 10.000 Soldaten werden abgezogen; rund 40.000 sollen bleiben.

Weltweit werden die US-Streitkräfte in den kommenden vier Jahren um mehr als 100.000 Soldaten verkleinert. Dann sind sie allerdings immer noch größer als 2001. Der Verteidigungshaushalt wird stagnieren, die Zusatzbudgets für die Kriege im Irak und Afghanistan werden deutlich zurückgefahren. Um zu sparen, werden Kriegsschiffe, Kampf- und Transportflugzeuge vorzeitig außer Dienst gestellt. Auch bei neuen Beschaffungsprogrammen wird gestrichen oder gestreckt, insbesondere wenn sie in Schwierigkeiten stecken. So wie das neue Kampfflugzeug F-35, der Joint Strike Fighter. Die Beschaffung von knapp 180 Maschinen wurde um mehrere Jahre verschoben. Das schafft Luft. 15 Milliarden Dollar werden erst später fällig und helfen heute, zu sparen. Doch beim Sparen will Panetta es nicht bewenden lassen. Ihm geht es auch darum, dass die US-Streitkräfte nicht geschwächt werden, so wie nach dem Vietnamkrieg. Der US-Verteidigungsminister:

O-Ton Panetta (overvoice)
„Wir wollen die stärksten Streitkräfte der Welt behalten. Wir haben uns selbst dazu verpflichtet, sie nicht auszuhöhlen wie das früher bei solchen Reduzierungen passiert ist.“

Deswegen soll zugleich modernisiert und investiert werden. Der Haushalt 2013 sieht noch immer Ausgaben in Höhe von 525 Mrd. Dollar vor. Viel Geld, das bereitgestellt wird vor allem für konventionelle Langstreckenwaffen und Drohnen, Special Forces, Fähigkeiten für die Kriegführung im Cyberspace und im Weltraum sowie für moderne Lenkwaffen. Zudem soll der Haushalt künftig wieder leicht anwachsen. Weitere Kürzungen gefährden die Umsetzung der neuen Strategie, warnt Panetta den Kongress.

Ausgenommen von der Neuausrichtung bleibt derzeit die nukleare Rüstung. Hier ticken die Uhren anders. Schon in den beiden letzten Haushaltsjahren gab es unter Obama ein kräftiges Plus. Der Haushalt für 2013 sieht vor, dass die Ausgaben für atomare Waffen um weitere fünf Prozent ansteigen. 11,5 Milliarden Dollar sind alleine für die Aufrechterhaltung und Modernisierung des Atomwaffenkomplexes und der Kernwaffen vorgesehen. Hinzu kommen Milliarden für die Trägersysteme.

Weiterhin geplant bleibt auch die neue Atombombe, die die bisherigen taktischen Nuklearwaffen in Europa ersetzen soll. 369 Millionen Dollar sind für deren Entwicklung 2013 eingeplant. Die Fertigstellung wird sich jedoch um zwei Jahre verzögern. Erst 2019 wird das erste Exemplar die Produktionsstätte verlassen.

Die Regierung Obama bereitet sich allerdings darauf vor, Moskau nach den Präsidentschaftswahlen in Russland und den USA im November neue atomare Abrüstungsgespräche anzubieten. Derzeit wird vorgedacht. Das Verteidigungsministerium will dem US-Präsidenten in Kürze eine Studie vorlegen, die Optionen für die nächsten Schritte aufzeigt: Statt - wie bisher mit Russland vereinbart – ab 2018 noch bis zu 1.550 einsatzbereite Atomwaffen zu unterhalten, sei es auch möglich, die strategischen Nuklearstreitkräfte weiter zu reduzieren. Darauf verweist auch die im Januar vorgelegte neue Verteidigungsstrategie. Zitat:

Zitat
„Es ist durchaus möglich, dass unsere Abschreckungsziele mit kleineren Nuklearstreitkräften erreicht werden können, so dass die Zahl der nuklearen Waffen ebenso reduziert werden kann wie ihre Rolle in der nationalen Sicherheitsstrategie der USA.“

Vergangene Woche sickerte durch, welche Vorschläge das Pentagon dem Weißen Haus vorlegen will. Es gibt mehrere Optionen: Eine große, die eine Verringerung auf 1.000 – 1.100 aktive Atomsprengköpfe vorsieht und eine mittlere mit 700 - 800 Gefechtsköpfen. Bei diesen Vorschlägen würde sich die Rolle der nuklearen Waffen in der US-Strategie wahrscheinlich nicht wesentlich ändern. Dann ist da aber auch noch eine dritte Option, die eine Reduzierung auf 300 - 400 aktive Sprengköpfe vorsieht. Dieser Vorschlag hätte zur Folge, dass die Nuklearstrategen neu über eine Minimalabschreckung nachdenken müssten. Würde diese letzte Option gewählt, so hätte das wahrscheinlich auch Auswirkungen auf den Haushalt. Gespart werden könnte dann auch bei den Waffen, die am stärksten an den Kalten Krieg erinnern.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS