Streitkräfte und Strategien - NDR info
30. Juni 2012


Entmachtung der Militärs?
Der Dresdner Erlass der Bundeswehr

von Otfried Nassauer

Seit Gründung der Bundeswehr haben drei Minister versucht, die Machtverhältnisse im Verteidigungsministerium neu zu regeln. Mit dem Blankeneser Erlass legte Helmut Schmidt 1970 die Grundlagen. Über Jahrzehnte wandelten seine Nachfolger den bewährten Erlass nur ab. Grundlegend verändert wurde er nicht. Das geschah erst 2005 durch Peter Struck mit dem Berliner Erlass. Struck kam zu der Erkenntnis, dass die Regelungen des Kalten Krieges nicht mehr ausreichend waren. Denn die Bundeswehr hat sich nach dem Fall der Mauer zu einer Armee im Einsatz entwickelt, die regelmäßig in kleinen und größeren Konflikten eingesetzt wird. Nun hat sich erstmals ein CDU-Minister an dieser Aufgabe versucht. Thomas de Maizière stellte im März auf den Tag genau 42 Jahre nach Schmidts Blankeneser Erlass seinen Dresdner Erlass vor.

Zentrales Thema aller drei Erlasse ist das Verhältnis von Militär und Politik im Verteidigungsministerium - die Frage, wie der „Primat der Politik“ gegenüber dem Militär in einer Demokratie sichergestellt werden kann. Welche Stellung kommt dem Generalinspekteur gegenüber dem Minister und der zivilen Leitung des Ministeriums zu? Wie wird der Primat der Politik in der Leitung des Ministeriums gelebt?

De Maizière begann bei der Vorstellung seines Dresdner Erlasses mit einem Zitat von Helmut Schmidt aus dem Jahr 1970:

O-Ton de Maizière
„Die bisherige Organisation des Ministeriums hat sich als nicht klar und eindeutig herausgestellt. Vor allem die Verantwortung des Generalinspekteurs für die Gesamtaufgaben der Streitkräfte und die Verantwortung der Inspekteure für die Einsatzbereitschaft ihrer Teilstreitkräfte treten zu wenig hervor.“

So die Einleitung des Blankeneser Erlasses durch Helmut Schmidt. De Maizière zitierte dann auch noch zustimmend einen Kommentar des SPIEGEL, der damals festgestellt hatte:

O-Ton de Maizière
„Der Minister will Generale, die für ihren Laden verantwortlich sind und die er deshalb auch für Missstände zur Verantwortung ziehen kann.“

Das Zitat macht deutlich, worum es damals Helmut Schmidt ging und was heute auch De Maizière wichtig ist. Wie damals der Sozialdemokrat sieht sich heute auch der CDU-Politiker als ein „starker Minister“, der den Primat der Politik gegenüber der militärischen Führung gewahrt wissen will. Helmut Schmidt wusste Ulrich de Maizière an seiner Seite, den Vater des heutigen Verteidigungsministers. Schmidt achtete ihn als starken Generalinspekteur. Viele konservative Generale dagegen betrachteten Ulrich de Maizière damals als schwachen Generalinspekteur. Er war ihnen zu intellektuell, zu wenig konservativ und nicht traditionsbewusst genug. Schmidt dagegen fand in Ulrich de Maizière einen Partner, um mit ihm die Idee einer vom Primat der Politik kontrollierten Armee in der Demokratie umzusetzen. Die Streitkräfte selbst sollten ein Garant der demokratischen Staatsform werden.

Thomas de Maizière sieht sich mit dem Dresdner Erlass in dieser Tradition. Wie Helmut Schmidt und Peter Struck setzt er den Hebel bei der Stellung des Generalinspekteurs innerhalb des Verteidigungsministeriums an. Das Ministerium soll eine Führungsstruktur erhalten, in der die Einsätze der Bundeswehr aus einer Hand geführt werden können. Der Primat der Politik soll dabei in vollem Umfang gewährleistet bleiben.

Während des Kalten Krieges war der Generalinspekteur im Kreis der Inspekteure der Bundeswehr „Primus inter pares“. Er hatte keine Befehlsgewalt über die Truppe, keine Disziplinargewalt. Nun wird der Generalinspekteur aufgewertet und zugleich durch die Politik verstärkt in die Verantwortung genommen. De Maizière will, dass der Generalinspekteur künftig oberster Soldat, oberster militärischer Befehlshaber und alleiniger Dienstvorgesetzter aller Soldaten ist. Er soll die Einsätze der Bundeswehr aus einer Hand führen und verantworten. Die Inspekteure der Teilstreitkräfte werden aus dem Ministerium ausgegliedert und sind dem Generalinspekteur künftig unterstellt. Sie sollen die Truppen stellen, die dieser im Einsatz führt. Der Generalinspekteur soll praktisch ein Generalstabschef sein. De Maizière erläutert das Ziel:

O-Ton De Maizière
„Die neue Struktur stattet den Generalinspekteur mit allen Mitteln und Befugnissen aus, mit denen er als ranghöchster Soldat tatsächlich und erfolgreich führen kann, um die ihm bisher schon gestellten Aufgaben zu erfüllen.“

Der Generalinspekteur wird aber auch in die Verantwortung genommen. Er ist dem Minister verantwortlich, wann immer etwas bei einem Bundeswehreinsatz schief geht. Beispielsweise wenn die Disziplin in der Truppe zu wünschen übrig lässt oder wenn es bei der Streitkräfteplanung oder der Ausrüstung im Einsatz hapert. Der Generalinspekteur wird also nicht nur mächtiger, er wird auch verletzlicher. Er kann vom Minister zur Verantwortung gezogen und schnell geschasst werden. Bei den Skandalen und Skandälchen kann er als Schutzschild des Ministers fungieren oder zu dessen Damenopfer gemacht werden.

Kritik – vor allem aus konservativen Kreisen – wurde daher an drei Punkten laut: Der Generalinspekteur werde entmachtet, weil er zentrale Zuständigkeiten für die Bundeswehrplanung verliere. Er könne nicht mehr dafür sorgen, dass die Streitkräfte auch alle Fähigkeiten haben, die diese für erfolgreiche Einsätze brauchen. Er werde entmachtet, weil er einem beamteten Staatssekretär unterstellt werde und nur über diesen Zutritt zum Minister habe. Schließlich werde er dadurch geschwächt, dass er im Ministerium nun nur noch drei Abteilungen führe und in vielen Fragen auf die Zuarbeit von Bereichen des Ministeriums angewiesen sei, die ihm nicht unterstellt sind.

Harald Kujat, früher selbst Generalinspekteur, hat diese Kritik gegenüber NDR Info kürzlich auf ihren sachlichen Kern reduziert. Kujat machte u.a. darauf aufmerksam, dass es durchaus berechtigt sei, wenn der Generalinspekteur in vielen Alltagsfragen nur über einen beamteten Staatssekretär an den Minister herantreten könne. Es gebe aber auch Bereiche, in denen dies nicht der Fall sein dürfe. Denn der Verteidigungsminister sei auch Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt, wenn die Bundeswehr im Einsatz sei. Werden diese nun vom Generalinspekteur aus einer Hand geführt und verantwortet, dann müsse er in allen dafür relevanten Fragen auch einen direkten Zugang zum Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt haben. Der Umweg über einen Staatssekretär, sei dann kein Erfordernis des Primats der Politik, sondern ein fachlich falsches Unterstellungsverhältnis. Harald Kujat:

O-Ton Kujat
„Der Minister ist ja Ressortchef und für diesen Zweck hat er auch die beamteten Staatssekretäre. Aber in seiner Funktion als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt muss er ein enges, direktes Verhältnis zu seinem Generalinspekteur haben.“

In dem Dresdner Erlass sei nicht geregelt, in welchen Fällen der Generalinspekteur ein direktes Vortragsrecht beim Minister habe. - Eine berechtigte Kritik. Der Dresdner Erlass ist in diesem Punkt nicht klar und eindeutig. Ein Versäumnis, das der Verteidigungsminister nachbessern sollte.



 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS