Streitkräfte und Strategien - NDR info
07. September 2013


Euro Hawk-Untersuchungsausschuss

Dauerprobleme mit dem Bundeswehr-Beschaffungswesen

von Otfried Nassauer

Der Berg hat gekreist und eine Maus geboren. So kann man das offensichtliche Ergebnis des Untersuchungsausschusses „Euro Hawk“ zusammenfassen. Die Arbeit im Ausschuss und bereits die Einrichtung dieses Gremiums waren vom Wahlkampf geprägt. Die Opposition hatte Verteidigungsminister de Maizière im Verdacht, das Parlament belogen und zudem sein Ministerium nicht im Griff zu haben. Eine gute Gelegenheit, die Regierung noch einmal anzugreifen und zu kritisieren. Die Koalition sah das naturgemäß ganz anders. Sie sah sich verpflichtet, ihren Minister zu verteidigen. Beide Seiten interpretierten die Fakten konsequent im Sinne ihrer Aufgabe und kamen naturgemäß zu einem Ergebnis, das die Ausgangslage widerspiegelt: Die Regierung sieht Verteidigungsminister Thomas de Maizière vollständig rehabilitiert und findet seine Entscheidung zum Abbruch des Rüstungsprojektes richtig. Die Opposition dagegen kommt zu dem Schluss, der Minister habe nicht nur gelogen, sondern auch sein Ministerium schlecht geführt, und sich um das Beschaffungswesen nicht genug gekümmert. De Maizière selbst vollbrachte das Kunststück, seine falschen Aussagen zu missverständlichen Formulierungen zu erklären, und vorwiegend Mitarbeiter für das Desaster verantwortlich zu machen. Der CDU-Politiker nach seiner Anhörung im Sommer:

O-Ton de Maizière
„Ich bin davon überzeugt, dass ich heute alle Irritationen und Missverständnisse ausräumen konnte. Das war mir wichtig. (...) Ich bedauere, dass ich mich am 5. Juni nicht klarer ausgedrückt habe.“

De Maizière bleibt im Amt und die Obleute der Opposition glauben, dies sei den Wahlkampfzeiten geschuldet.
Der SPD-Obmann Arnold:

O-Ton Arnold
„Ich glaub‘, die können im Augenblick froh sein, dass Wahlkampf ist, weil außerhalb des Wahlkampfes zu normalen politischen Zeiten, wäre dieser Minister nicht gehalten worden.“

In der Sache hält de Maizière seine getroffenen Entscheidungen nach wie vor für richtig. Ein luftgestütztes elektronisches Signalaufklärungssystem wie ISIS sei weiter dringend erforderlich.

Wie soll es also nun weitergehen? Bis zum Jahresende wird untersucht, welche Alternativen zum Euro Hawk als Trägersystem für ISIS genutzt werden können. Drei Ergebnisse sind denkbar: Entweder darf der ISIS-Hersteller EADS nun auch ein bemanntes Trägerflugzeug liefern, in das das Aufklärungssystem erst noch für viel Geld integriert werden muss. Oder aber, es wird ein marktverfügbares Geschäftsreiseflugzeug eines anderen Herstellers als Plattform genutzt. In beiden Fällen müsste die Bundeswehr Einschränkungen bei den geplanten Fähigkeiten in Kauf nehmen, könnte aber recht sicher sein, dass ihr Aufklärungssystem zugelassen würde. Eine dritte Option wäre ein anderer, neuer Euro Hawk. Genauer: Als Basis könnte dann der neuere Global Hawk Block 40 verwendet werden, statt des auslaufenden Modells Block 30. Dann müssten die Zulassungsfragen und das Problem einer verlässlichen Kollisionsvermeidung zwar weiterhin mit viel Geld gelöst werden, aber der Prozess könnte durch die zwischenzeitliche Einführung niedrigerer Voraussetzungen für die Zulassung unterstützt werden.

Ein zweiter Blick auf den mehr als 1.500 Seiten dicken Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zeigt jedoch, dass die Anhörungen den Abgeordneten klar gemacht haben, dass das Beschaffungswesen der Bundeswehr dringend einer umfassenden Reform bedarf. Fraktionsübergreifend sprachen sie von einem Bermuda-Dreieck, in dem der Bedarfsträger, also die Bundeswehr, die Industrie und die zivile Bürokratie des Wehrbeschaffungsamtes BAAIN regelmäßig teure und wichtige Beschaffungsprojekte der Streitkräfte in den Sand setzen oder gleich ganz versenken. Obwohl dem Ausschuss für eine gründliche Untersuchung die Zeit fehlte, wurde mehrfach deutlich, warum die Industrie am Ende immer wieder viel weniger, viel später und weit teurer liefert, als sie ursprünglich versprochen hat. Mehrere Facetten dieses „Warums“ kamen zur Sprache:

Eine Zeugin aus dem Bundesrechnungshof führte überzeugend den Nachweis, dass es im Verteidigungsministerium weder ein funktionsfähiges Controlling noch ein geregeltes Berichtswesen und eine durchschaubare Aktenführung gibt. Da sei es nur logisch, wenn die linke Hand nicht wisse, was die rechte tue und wichtige Informationen die Entscheidungsträger nur spät oder gar nicht erreichen. Diese Erfahrung musste selbst der Untersuchungsausschuss bei seiner Arbeit machen: Er bekam so manche Akte aus dem Ministerium erst, nachdem er die Zeugenbefragungen bereits abgeschlossen hatte. Dabei wollte sich das Gremium mit den angeforderten Dokumenten auf die Anhörung vorbereiten.

Auch für ein weiteres Problem fehlte dem Ausschuss schlicht die Zeit, um es gründlich zu untersuchen. Trotzdem spürten die Abgeordneten fraktionsübergreifend, warum bei Rüstungsprojekten so viel schief läuft: Erfahrene Insider aus dem Beschaffungsamt beklagen schon lange, dass Industrie und Beschaffungsbürokratie oft eine unheilige Allianz eingehen: Probleme werden gemeinsam vertuscht und verschwiegen, obwohl sie aktenkundig sind. Klar erkannte Fehler lösen sich auf dem Weg der Berichterstattung und Meldungen durch die mittleren und höheren Managementebenen in versteckte Hinweise oder gar gleich im Nichts auf. Das hat Vorteile für die Industrie, weil sie nicht auf eigene Kosten nachbessern muss. Und es hat Vorteile für die zuständigen Projektmanager in Behörde und Ministerium: Die Projekte bleiben im Zeitplan, die Zuständigen bekommen gute Beurteilungen und werden zügig befördert. Allerdings: Am Ende erhält die Bundeswehr problematisches, wenn nicht gar schadhaftes Gerät. Politisch Verantwortliche werden oft erst informiert, wenn sich die Probleme weder lösen noch totschweigen lassen. Oder wenn sie selbst auf der Arbeitsebene nachfragen. Ihnen bleibt dann nur noch die Wahl, ob sie die Verantwortung für dramatische Mehrkosten und Verzögerungen tragen wollen oder aber das Projekt abbrechen, bei dem dann Steuergelder verloren gehen wie beim Euro Hawk. 

Mitglieder des Untersuchungsausschusses wollen darauf reagieren. Der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, Rainer Arnold, weiß, dass etwas getan werden muss: 

O-Ton Arnold
„An diesem Amt in Koblenz sind ja schon manche verzweifelt. (...) Ein Ansatz – ich sag das jetzt mal sehr radikal - ist: (...) Dieses Amt darf nicht ständig größer und mächtiger werden. (...) Ich glaube, wir kommen hier nur aus der Misere raus, wenn man dieses Amt eher kleinteiliger organisiert, überschaubarere Einheiten schafft. (...) Also ich plädiere eher für eine dezentralere Organisationsstruktur in diesem Bereich.“

Sein Kollege Omid Nouripour von den Grünen will das Parlament in die Überwachung der Beschaffungsprojekte einbinden:

O-Ton Nouripour
„Ich persönlich würde der nächsten Legislaturperiode und dem nächsten Verteidigungsausschuss eine Empfehlung aussprechen. Diese lautet, einen Unterausschuss einzurichten, der sich permanent mit den Rüstungsvorhaben beschäftigt.“

Man darf gespannt sein, was aus diesen guten Vorsätzen wird. Möglicherweise nicht viel, denn an einer Reform des Wehrbeschaffungswesens hat sich schon so mancher die Zähne ausgebissen. 


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS