Streitkräfte und Strategien - NDR info
01. November 2014


Alles wie gehabt? Rüstungsexporte nach dem Urteil aus Karlsruhe

von Otfried Nassauer


Lesen bildet. Das gilt auch für den Wortlaut des jüngsten Urteils des Verfassungsgerichts über die Informationspflicht der Bundesregierung in Sachen Rüstungsexport. Die Kläger aus der Grünen-Bundestagsfraktion wollten erreichen, dass die Bundesregierung ihnen deutlich mehr Informationen über die Genehmigung von Rüstungsexporten zugänglich macht als bislang üblich. Anlass der Klage waren Medienberichte über einen geplanten Export Hunderter Leopard-Panzer nach Saudi-Arabien im Jahr 2011. Dazu wollte die Bundesregierung damals partout keine Auskunft geben und zog sich auf die Geheimhaltung im  Bundessicherheitsrat zurück. Die Abgeordneten der Grünen sahen sich in ihrer Rolle als Kontrolleure der Regierung beeinträchtigt und klagten in Karlsruhe.

Der erste Eindruck nach dem Urteil: Im Kern hat die Bundesregierung Recht behalten. Sie hätte allerdings mitteilen müssen, wenn sie den Export damals bereits endgültig genehmigt hatte, stellt der Vorsitzende Richter Andreas Voßkuhle fest: 

O-Ton Voßkuhle
„Die Bundesregierung ist grundsätzlich verpflichtet, Bundestagsabgeordneten auf entsprechende Anfragen hin mitzuteilen, dass der Bundessicherheitsrat ein bestimmtes Kriegswaffenexportgeschäft genehmigt hat oder eine Genehmigung nicht erteilt worden ist.“

„Grundsätzlich“ sagt der Verfassungsrichter. Und es geht nur um Kriegswaffen, nicht um sonstige Rüstungsgüter, den größten Teil der Rüstungsexporte.

„Grundsätzlich“ bedeutet in der Sprache der Juristen, dass es Ausnahmen gibt. Also darf die Bundesregierung dem Parlament manchmal auch verschweigen, dass sie eine Exportgenehmigung erteilt hat. Das ist der Fall, wenn das „Staatswohl“ gefährdet wird – ein dehnbarer Begriff. Es bleibt also abzuwarten, wann sich die Bundesregierung künftig auf das „Staatswohl“ zurückzieht und schweigt. Verweigert sie eine Auskunft, so muss sie das allerdings begründen.

Nur Details der bisherigen Praxis müssen deshalb nach dem Urteil geändert werden. So hätten die Abgeordneten 2011 erfahren müssen, ob eine Genehmigung für den Export von Leopard-Panzern erteilt wurde oder nicht. Begründet werden muss eine Entscheidung jedoch nicht. Und über die Antwort auf Voranfragen muss die Regierung ebenfalls keine Auskunft geben. Noch einmal Verfassungsrichter Voßkuhle:

O-Ton Voßkuhle
„Darüber hinausgehende Angaben, etwa zu den Gründen der Entscheidung sind dagegen verfassungsrechtlich nicht geboten. Ebensowenig müssen Auskünfte zu noch nicht abgeschlossenen Vorgängen erteilt werden, also zum Beispiel über Voranfragen, da der Willensbildungsprozess innerhalb der Bundesregierung in diesem Stadium besonders geschützt ist.“

Die Entscheidung über Voranfragen darf also geheim bleiben. Gegenüber dem Parlament jedenfalls - denn der anfragenden Industrie wird das Ergebnis natürlich mitgeteilt. Das Gericht fürchtet, dass die Parlamentarier versuchen könnten, das weitere Regierungshandeln zu beeinflussen. Hans Christian Ströbele, einer der Kläger, betont die Bedeutung der Voranfragen:

O-Ton Ströbele
„Das wurde nicht zuletzt in den letzten Monaten immer wieder deutlich, wenn Herr Gabriel, der Wirtschaftsminister, sich darauf beruft, dass er Kriegswaffen exportieren muss, weil frühere Bundesregierungen Voranfragen positiv beschieden haben. Da sagt er selbst, dass die für ihn eine bindende Wirkung haben.“

Da hatte der grüne Kläger allerdings übersehen, dass das Gericht in seinem Urteil zugleich festgehalten hat - Zitat:

Zitat BVerG-Urteil
„Aus einer solchen Mitteilung geht der Wille der Bundesregierung sich zu binden (...) , nicht eindeutig hervor. Der Bundessicherheitsrat und die beteiligten Ministerien sind folglich an die positive Beantwortung einer Voranfrage nicht gebunden, ein anschließender Antrag auf Erteilung einer Genehmigung kann auch bei unveränderten Umständen abgelehnt werden.“

Mit anderen Worten: Wenn die Bundesregierung sich auf die Bindungswirkung ihrer Antwort auf Voranfragen beruft, dann ist das zwar eine alte, aber keineswegs eine notwendige Praxis. Diese Antworten sind keineswegs bindend. Auf ein früheres Ja kann durchaus ein Nein folgen.
   
Glücklich macht ein solches Urteil natürlich gelernte Bürokraten wie Innenminister Thomas de Maizière. Es stärkt das Eigeninteresse der Exekutive, möglichst viel selbst entscheiden zu dürfen, ohne dass ihnen die Politik, insbesondere der Bundestag hineinredet. De Maizière nach dem Richterspruch: 

O-Ton de Maizière
„Ich begrüße dieses Urteil. Es sichert den internen Willensbildungsprozess der Bundesregierung. Es behindert nicht die Transparenz gegenüber dem Parlament, aber – wie wir es nennen – der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung wird durch das Bundesverfassungsgericht gerade in außenpolitischen Belangen gestärkt. Und das ist gut so.“

Das Verfassungsgericht bleibt damit seiner alten Linie treu: Es engt die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung so wenig wie möglich ein.

An dieser Stelle enden die meisten Berichte über das Urteil. Zu Unrecht. Denn in dem Richterspruch steckt eine schallende Ohrfeige für die Regierung und ihre Beamten, die das bisherige System der Entscheidungsfindung über Rüstungsexportgenehmigungen so gestaltet haben, dass die Exekutive möglichst viel selbst entscheiden und es auch noch geheim halten kann.

Das Gericht äußert sich auch zu einer Frage, die ihm die Grünen Kläger nicht vorgelegt haben: Darf der Bundessicherheitsrat über Rüstungsexportgenehmigungen überhaupt endgültig entscheiden?

Die Richter sagen: Der Bundessicherheitsrat tut es seit Jahrzehnten, aber er darf es eigentlich nicht. Das Grundgesetz sieht vor, dass die Bundesregierung als Ganze über Kriegswaffenexporte entscheidet. Der Bundessicherheitsrat darf Entscheidung eigentlich nur vorbereiten. Die Praxis, in dem geheim tagenden Gremium endgültige Entscheidungen zu treffen, ist unzulässig. Im Urteil heißt es - Zitat:

Zitat BVerG-Urteil
„Nach der bisherigen Praxis bereitet der Bundessicherheitsrat des Kabinetts allerdings nicht vor, sondern wird an seiner Stelle tätig. (...) Bei Regelungen des Grundgesetzes, die eine Entscheidungszuständigkeit der Bundesregierung vorsehen, ist daher grundsätzlich davon auszugehen, dass es eines Beschlusses des gesamten Kabinetts bedarf.“ 

Die potenzielle Ausnahme vom Grundsätzlichen wäre es, die Entscheidung an einen Minister und sein Haus zu delegieren – z.B. an den Wirtschaftsminister: Juristische Mehrheitsmeinung sei es jedoch, dass – Zitat

„die Delegation der Genehmigungserteilung auf einzelne Minister (...) verfassungswidrig sei.“ 


Es sei also auch unzulässig, die Entscheidungen an einen einzelnen Bundesminister zu delegieren. Das Grundgesetz verlange ganz klar, dass die Bundesregierung als Ganzes entscheide. Regierungsausschüsse und einzelne Ministerien, dürften eine solche Entscheidung lediglich vorbereiten. 

Damit wäre die bisherige Praxis eigentlich vom Tisch. Die Richter fanden aber einen Weg, diese Schlussfolgerung aus ihrem Urteil auszuklammern. Sie argumentieren: Zu dieser Frage sind wir nicht um ein Urteil gebeten worden, müssen also auch keines sprechen.

Mit anderen Worten: Die Richter geben den Hinweis, dass sie die bisherige Praxis als verfassungswidrig betrachten, überlassen es aber Regierung und Parlament, Konsequenzen daraus zu ziehen. Oder auch nicht. Denn in der Praxis fehlt ja vermutlich ein Kläger, der berechtigt und bereit wäre, gegen diese Beschränkung seiner Rechte zu klagen – also ein Bundesminister, der klagt, weil er an Rüstungsexportentscheidungen nicht beteiligt wurde. Und wo kein Kläger ist, ist bekanntlich auch kein Richter.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS