Streitkräfte und Strategien - NDR info
 13. Dezember 2014


Welche Rüstungsbereiche sind militärische Schlüsseltechnologien?

von Otfried Nassauer


Die deutsche Rüstungsindustrie lebt von der Bundeswehr und vom Export. Überwiegend kommen die Käufer aus dem Ausland; inzwischen sogar mehrheitlich aus Drittländern. Also jenen Staaten, die weder der NATO noch der EU angehören. Der Rüstungsexport-Bericht der Kirchen hat das in dieser Woche wieder kritisch angemerkt. – Zitat:

„Die Liefergenehmigungen in Drittländer außerhalb von EU und Nato sind mit 63,5 Prozent auf einem Rekordhoch.“

Sollen die Rüstungsexporte in umstrittene Drittländer restriktiver gehandhabt werden, droht die Industrie gerne mit Kapazitätsabbau oder gar Abwanderung ins Ausland. Ein heikles Thema, weil dies Arbeitsplätze kosten könnte. Zudem könnte auch der Anteil jener Rüstungsgüter sinken, mit denen sich die Bundeswehr bei der heimischen Industrie eindecken kann. Auch deshalb wird diskutiert, welche Schlüsseltechnologien die deutsche Rüstungsindustrie künftig beherrschen soll. Was ist unverzichtbar? Was soll aus dem Verteidigungshaushalt gefördert werden, in Deutschland entwickelt und hergestellt werden?

Sigmar Gabriel, der Wirtschaftsminister, hat die Frage aufgeworfen und die Verteidigungsministerin aufgefordert, Schlüsseltechnologien zu benennen. Die Antwort überraschte ihn. Ursula von der Leyen benannte nur Informationstechnologien und Schutztechniken:

O-Ton von der Leyen
„Im Eurohawk ist eine Technologie drin, eine Aufklärungstechnologie – die brauchen wir in der Zukunft, um unabhängig von anderen auch Erkenntnisse zu haben. Sie ist fast fertig erforscht. Sie hat den Labortest bestanden. Sie muss jetzt nur noch den Praxistest in großer Höhe bestehen.“

Von der Leyen sprach von ISIS, einem signalerfassenden Aufklärungssystem der Firma Airbus, das sie gerne zuende entwickeln und einführen möchte. Sie will deshalb die von ihrem Vorgänger Thomas de Maiziere eingemottete Skandaldrohne Euro Hawk wieder flott machen und das deutsche Aufklärungssystem später an Bord einer Weiterentwicklung, der Drohne Triton, beschaffen.

Ihre kurze Liste der zu fördenden Schlüsseltechnologien brachte der Ministerin zunächst den Spott des Wirtschaftsministers ein. Auf  einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sagte Gabriel:

O-Ton Gabriel
[Der Koalitionsvertrag von Union und SPD bekennt sich nicht nur zu einer restriktiven Waffenexportpolitik, sondern stuft zugleich die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie als eine Schlüsselbranche von nationalem Interesse ein, deren Kernkompetenzen und industrielle Fähigkeiten weiter entwickelt und deren Arbeitsplätze erhalten werden sollen. (...)] Ich begrüße es [deshalb sehr], dass die Bundesverteidigungsministerin diese Diskussion nun begonnen und erste Hinweise mit Blick auf die Festlegung wesentlicher nationaler Kernkompetenz gegeben hat. Der Deutsche Bundestag und auch die Bundesregierung werden allerdings zu diskutieren haben, ob die sehr schmale Festlegung des Verteidigungsministeriums auf informationstechnische Kernkompetenzen dem Auftrag des Koalitionsvertrages ausreichend Rechnung trägt.“

Der süffisante Seitenhieb auf die „sehr schmale Festlegung“ auf „informationstechnische Kernkompetenzen“ dürfte dem Wirtschaftsminister bald mehr Sorgen als Freude machen. Die Kabinettskollegin hat ihn geschickt unter Druck gesetzt. Von der Leyen zählte nämlich weder U-Boote, noch Kleinwaffen oder gepanzerte Fahrzeuge zu den Schlüsseltechnologien – allesamt Spitzentechnologie und erfolgreiche Exportgüter der deutschen Rüstungsindustrie. Glaubt sie, darauf könne man verzichten? Keineswegs. Über diese Bereiche will sie erst noch mit Ihren SPD-Kollegen im Wirtschafts- und Außenressort reden. Diese trifft eine Mitverantwortung für die Industrie, denn bei Rüstungsexporten haben diese die Federführung.

In einem internen Diskussionspapier beschrieb das Verteidigungsministerium  schon früh, es gehe ihm bei der Festlegung von Schlüsseltechnologien um einen – so wörtlich -  „Indikator für das sicherheitspolitische Votum des BMVg bei Exportfragen“. Mit anderen Worten: Da wo Deutschland gut ist, z.B. bei Panzern und U-Booten, würde das BMVg gerne für viele Exportgenehmigungen votieren, damit es seine eigenen Gelder auf Bereiche konzentrieren kann, in denen Deutschland besser werden soll. Das seien eben Bereiche wie Aufklärung oder die Kryptologie zur Verbesserung der abhörsicheren Kommunikation.

Für die SPD birgt die Kombination aus U-Booten, Panzern und Kleinwaffen jedoch eher Probleme. An diesen Exportschlagern hängen viele Arbeitsplätze in SPD-geführten Ländern. Seit Jahrzehnten finanzieren die Gewinne aus U-Boot-Exporten die Weiterentwicklung der deutschen U-Boot-Technik. Damit dies bei Panzern oder Kleinwaffen ähnlich laufen könnte, müsste man diese ebenso freizügig exportieren wie die U-Boote. In diese Zwickmühle will von der Leyen das von der  SPD geführte Wirtschaftsministerium und das Auswärtige Amt manövrieren.

Sigmar Gabriel muss das ungelegen kommen. Er hat sich öffentlich für eine restriktivere Exportpolitik ausgesprochen. Bislang lässt er keine Gelegenheit aus, sich als  prinzipientreu darzustellen. Verteidigungs-  und Haushaltsexperten wie Bartholomäus Kalb von der CDU und Gabriels SPD-Kollege Rainer Arnold vergrößern jetzt allerdings den Druck. Sie sprechen mittlerweile neben den Schlüsseltechnologien von den Kernfähigkeiten der Rüstungsindustrie, die es in Deutschland zu erhalten gelte. Damit meinen sie U-Boote, Panzer, Handfeuerwaffen, Luft- und Raumfahrtprodukte und vieles andere mehr.

Doch die Zwickmühle für Gabriel kann auch auf das Verteidigungsministerium zurückschlagen. Dort hat man zwei Problembereiche konsequent ausgeblendet. Zum einen gilt für die Bundeswehr immer noch das Prinzip „Breite vor Tiefe“. Hellmut Königshaus, der Wehrbeauftragte, erläutert, was damit gemeint ist:

O-Ton Königshaus
“Das bedeutet, wir können alles, aber wir können es nur für kurze Zeit, weil wir eben dort in allen Bereichen etwas aufbauen, aber nichts, das wir sozusagen über längere Zeit durchhalten können.“

Mit anderen Worten: Die Bundeswehr will möglichst viele militärische Fähigkeiten behalten. Wer so plant, kann auch besser begründen, dass er eine Industrie braucht, die viel liefern kann. Der CDU-Verteidigungsexperte Henning Otte, macht diesen Punkt deutlich:

O-Ton Otte
„Bei der Benennung dieser Schlüsseltechnologien müssen wir uns wohl breiter aufstellen, damit wir das Fähigkeitsspektrum für die Bundeswehr auch erfüllen können. Eine breite Aufstellung mag auf den ersten Blick vielleicht nicht effizient oder betriebswirtschaftlich logisch sein. Aber Sicherheitspolitik ist mehr als nur reine Betriebswirtschaftslehre. Sie ist eben auch Ausdruck dessen, was wir brauchen, um die Souveränität unseres Landes abbilden zu können.“

Es geht also nicht nur Schlüsseltechnologien, sondern auch um weitere Kernfähigkeiten. Da das Prinzip „Breite vor Tiefe“ aber für die Industrie betriebswirtschaftlich keinen Sinn macht, muss man die Rüstungsbranche notfalls mit Steuermitteln fördern und subventionieren -  also erheblich mehr Geld in die Hand nehmen, so wie es die Verteidigungspolitiker der Koalitionsfraktionen mit Blick auf den Haushalt 2016 beabsichtigen.

Da zeigt sich dann das zweite Problem:  Der im Sommer an eine externe Firma vergebene  Beratungsauftrag zur Durchleuchtung der Beschaffungsprobleme der Bundeswehr beschränkte sich auf die Amtsseite. Die Unternehmsberater sollten nicht herauszufinden, warum die Industrie so oft viel zu teuer, viel zu spät und viel schlechter liefert als geplant. Sie konzentrierten sich vielmehr auf die Rüstungsbürokratie des Verteidigungsministeriums. Da die Bundeswehr aber ihr Geld oft gerade deshalb nicht effizient ausgeben kann, weil massive Probleme der Industrie das verhindern, müsste sich auch bei den Rüstungsunternehmen  gewaltig etwas ändern, damit die Bundeswehr Waffensysteme effizient beschaffen kann. Mit den Ende November verkündeten regelmäßigen Gesprächsrunden zwischen dem Lobbyverband der Rüstungsindustrie, dem BDSV und dem Ministerium wird es sicher nicht getan sein. Das Interesse der Industrie gilt beidem: Mehr Aufträgen der Bundeswehr und mehr genehmigten Exporten. Kapazitätsabbau ist dagegen nicht im Interesse der Rüstungsbranche.

Beide Versäumnisse des Verteidigungsministeriums, also die mangelnde Durchleuchtung der Rüstungsbranche und das Prinzip Breite vor Tiefe laufen also auf dieselbe Konsequenz hinaus wie von der Leyens Vorschlag, die Rüstungsexportpolitik als Instrument zur Förderung der Rüstungsindustrie einzuspannen: Man benötigt mehr Geld, will aber den erforderlichen Kapazitätsabbau in der wehrtechnischen Industrie umgehen. Das Ergebnis wäre auf jeden Fall teuer.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS