Streitkräfte und Strategien - NDR info
21. März 2015


Ukraine-Krise – Streit über weiteren Umgang mit Moskau

von Otfried Nassauer

Anfang Februar: Kurz vor der Münchener Sicherheitskonferenz werden die Themen gesetzt. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande verhandeln mit Hochdruck über einen neuen Waffenstillstand in der Ukraine. Ob sie Erfolg haben werden, ist noch ungewiss. Eine Meldung aus Washington platzt dazwischen. Acht ehemals hochrangige Mitarbeiter der US-Regierung fordern in einem gemeinsamen Papier des Chicago Council on Global Affairs, der Ukraine künftig auch tödliche Waffen zu liefern. Das Thema führt zu einer Kontroverse unter den westlichen Ländern in München.

Angela Merkel hält Waffenlieferungen für kontraproduktiv. Sie äußert sich ungewöhnlich deutlich: 

O-Ton Merkel
„Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Konflikt nicht militärisch gelöst wird (...) Ich glaube nicht, dass die Fortschritte, die die Ukraine braucht, durch noch mehr Waffen erreicht werden (...) Das Problem ist, dass ich mir keine Situation vorstellen kann, in der eine verbesserte Ausrüstung der ukrainischen Armee dazu führt, dass Präsident Putin so beeindruckt ist, dass er glaubt, militärisch zu verlieren.“

Merkel setzt auf eine Kombination aus Sanktionen, Diplomatie und Geduld. US-Senatoren wie der Republikaner John McCain kritisieren sie und argumentieren:

O-Ton McCain (overvoice)
„Wenn wir den Ukrainern helfen, die Kosten für die russischen Militärs zu erhöhen, die in ihr Land eingefallen sind, wie lange kann Putin dann einen Krieg weiterführen, von dem er seiner Bevölkerung erzählt, dass der gar nicht stattfindet? Das ist der Grund dafür, dass wir der Ukraine defensive Waffen geben müssen.“

Die Kontroverse kennzeichnet einen grundlegenden Konflikt in der NATO, der seit einiger Zeit immer deutlicher sichtbar wird. Washington und mit ihm London, Warschau, die baltischen Staaten, Rumänien und Bulgarien wollen die Krise in der Ukraine nicht nur nutzen, um die Rolle der NATO als Verteidigungsbündnis gegen Russland zu stärken, sondern auch dazu, die Ukraine in das westliche Lager zu integrieren. Es gehe um Sicherheit vor Russland.

Anders ist die Interessenslage im westlichen und südlichen Europa. Dafür stehen Länder wie Deutschland und Frankreich. Sie glauben, dass es Sicherheit und Stabilität in Europa nicht ohne oder gar gegen Russland geben kann. Stabile Sicherheitsstrukturen seien nur möglich, wenn Russlands berechtigte Interessen berücksichtigt werden. 

Das gilt trotz aller Kritik an Moskaus Verhalten in der Ukraine-Krise auch weiterhin. Denn längerfristig überwiegen die Interessen an einem kooperativen Verhältnis zu Russland. Westeuropa benötigt russische Rohstoffe und den russischen Markt. Moskau braucht westliches Kapital und westliche Technologie. Ein gewisses Mindestmaß an stabiler Partnerschaft mit Russland ist deshalb unverzichtbar. 

Russland auszugrenzen und gegen seinen Willen aus der Ukraine hinauszudrängen macht keinen Sinn. Das kann keine dauerhaft stabile Lösung sein. Russland muss deshalb in der Ukraine-Krise ein politischer Ausweg ohne Gesichtsverlust aufgezeigt werden.

Doch das ist nicht ganz so einfach. Die USA und jene NATO-Länder, die Russland aus einer Position der Stärke heraus Grenzen aufzeigen wollen, können die Suche nach einem solchen Ausweg durch Nadelstiche gegen Russland erschweren. 

Washington entsendet zum Beispiel über die Beschlüsse der NATO hinaus weitere Truppen nach Mittel- und Osteuropa. Gepanzerte Fahrzeuge aus den USA nehmen an einer Parade in Estland teil und passieren in Sichtweite einen Grenzübergang zu Russland. 200 gepanzerte Fahrzeuge erreichen das Baltikum, um dort für mehrere Monate bei Manövern eingesetzt zu werden. Nationale US-Verstärkungen gibt es auch in Rumänien und Bulgarien.

Konfrontative Signale senden auch andere: Polen hat Washington gefragt, ob die USA Warschau weitreichende Marschflugkörper vom Typ Tomahawk für U-Boote liefern würden. Mehrere neue Mitglieder haben signalisiert, dass sie bereit wären, Atomwaffen der USA auf ihrem Boden zu stationieren. Russland empfindet solche Maßnahmen bekanntlich als bedrohlich, weil es sich vor einer militärischen Einkreisung fürchtet. In der Neufassung seiner Militärdoktrin beschrieb Moskau Anfang des Jahres, was in Moskau als besonders bedrohlich empfunden wird. Genannt werden dort u.a. – Zitat -

Zitat
„die Verstärkung des Machtpotenzials der NATO durch globale Funktionen, die unter Verletzung der Normen des Völkerrechtes umgesetzt werden, sowie das  Heranrücken der militärischen Infrastruktur der NATO-Mitgliedstaaten an die  Grenzen der Russischen Föderation, darunter durch die Erweiterung des Blocks.“

und 

Zitat
„die Entfaltung und Verstärkung militärischer Kontingente ausländischer Staaten (bzw. Staatengruppen) auf  Territorien der Staaten, die an die Russische Föderation  und an mit ihr verbündete  Staaten  angrenzen, oder in anliegenden Gewässern (...).“

Wenn die USA Truppen in etliche der Länder zwischen Ostsee und Schwarzem Meer entsenden, dann führt das zu drei verschiedenen Interpretationen: Die USA und die neuen NATO-Mitgliedstaaten sehen darin ein Zeichen, dass Washington zu seinen Bündnispflichten steht und bereit ist, einen Cordon Sanitaire gegen die aggressive Politik Moskaus zu errichten. Russland dagegen betrachtet die Truppenentsendung als Provokation und Bestätigung, dass der Westen aggressive Absichten hegt. Und Westeuropäer wie Deutschland oder Frankreich befürchten, dass ihre Bemühungen um eine diplomatische Lösung der Ukraine-Krise ebenso torpediert werden könnten, wie ihr langfristiges Interesse an kooperativen Beziehungen zu Moskau. 

George Friedman, der Gründer des einflussreichen privaten Geheimdienst-Dienstleisters Stratfor, beschrieb in der vergangenen Woche vor dem Chicago Council on Global Affairs die unvereinbaren Sichtweisen Moskaus und Washingtons: 

George Friedman (overvoice)
„Die USA haben ihre Karten bereits auf den Tisch gelegt. Es ist die Linie vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. Die Karten der Russen liegen schon lange auf dem Tisch. Sie brauchen eine mindestens neutrale Ukraine – keine prowestliche.“

Diese Konstellation bringt für die Bundesregierung Probleme mit sich. Die USA erwarten Unterstützung von ihrem Bündnispartner in Berlin. Russland hofft dagegen weiter, dass Deutschland eine Integration der Ukraine in den Westen  ablehnt. Die deutsch-französischen Vermittlungsbemühungen stehen vor einem zusätzlichen Problem. Nach dem Ende des Kalten Krieges fehlte dem Westen der politische Wille, eine Sicherheitsarchitektur aufzubauen, die Russland und Moskaus berechtigte Interessen in die wesentlichen Entscheidungen europäischer Sicherheit einbezieht. Das rächt sich heute. Es gibt neben der OSZE keine Institution mehr, in der sich Russland einbringen kann. Es fehlt deshalb an einem effektiven Instrumentarium, um Krisen wie in der Ukraine rechtzeitig und kooperativ zu lösen.

Deutschland übernimmt  im kommenden Jahr  den Vorsitz in der OSZE. Die Bundesregierung will die Gelegenheit deshalb nutzen, um diese Organisation wieder zu beleben. Angela Merkel deutete das auf der Münchner Sicherheitskonferenz bereits  an:

O-Ton Merkel
„Gleichzeitig müssen wir daran arbeiten, die Instrumente kooperativer Sicherheit in Europa wieder herzustellen und sie zu stärken. Hierbei kommt der OSZE eine besondere Rolle zu. Als ein Forum für Dialog und Vertrauensbildung in Europa hat die OSZE im letzten Jahr ihre Werte nachdrücklich unter Beweis gestellt. (...) Wir wollen das gemeinsame Verständnis für diese Prinzipien erneuern, die dafür stehen, dass Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa am Ende nur durch Dialog, Kooperation und Vertrauensbildung möglich sind.“ 

Der Ansatz ist richtig. Aber reicht er aus? Er könnte zu eng sein. Russland will einen europäischen Tisch, an dem niemand Moskaus Interessen übergehen kann. Manch einer im Westen will keinen solchen Tisch. Es bedarf also wahrscheinlich eines umfassenderen Ansatzes. Eines Ansatzes der, ähnlich wie die Ostpolitik der Ära Brandt, die Spielregeln deutlich verändert. Es ist notwendig, über eine kooperative neue Entspannungs- und Ostpolitik nachzudenken.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS