Streitkräfte und Strategien - NDR info
29. Juni 2019


Ende eines Dauerstreits?
Regierungskoalition einigt sich auf neue Rüstungsexportrichtlinien

von Otfried Nassauer


Nun also doch. Sechs Monate später als im Koalitionsvertrag vereinbart hat das Kabinett am Mittwoch neue Rüstungsexportrichtlinien verabschiedet. Oder genauer gesagt: Neue "Politische Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern". 

CDU/CSU und SPD hatten sich im vergangenen Jahr in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt, die bisherigen Grundsätze aus dem Jahr 2000 bis Ende 2018 - so wörtlich - zu "schärfen". Sie legten damals nicht fest, ob sie auf eine Verschärfung oder auf eine Präzisierung der Grundsätze hinarbeiten wollten, die auch Erleichterungen für Exportgenehmigungen beinhalten sollten. Jetzt liegt das Ergebnis vor. Es ist ein "sowohl als auch", ein klassisches Produkt der großen Koalition.

[Vorweg: Politische Grundsätze sind keine gesetzliche, sondern eine politische Regelung -  eine politische Willensbekundung der Bundesregierung. Sie ändern die Rechtsgrundlagen nicht, sondern dienen im Rahmen der geltenden nationalen Gesetze und des Völkerrechts als zusätzliche politische Gestaltungsgrundlage für die Genehmigung oder Ablehnung konkreter Exportanträgen für Rüstungsgüter.]

Was also hat sich jetzt geändert? Die neuen Politischen Grundsätze sind einerseits eine Aktualisierung der geltenden Fassung. Sie nehmen Neuerungen und Veränderungen aus den letzten zwei Jahrzehnten auf wie zum eispiel den Internationalen Waffenhandelsvertrag ATT oder den Gemeinsamen Standpunkt der Europäischen Union zu Rüstungsexporten. Hinzu kommen nationale Änderungen aus dieser Zeit, wie sie etwa der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel 2015 eingeführt hat. Der SPD-Politiker etablierte damals neu entwickelte Grundsätze für kleine und leichte Waffen, wie Sturmgewehre, Maschinengewehre oder tragbare Panzerabwehrwaffen. Der Export solcher Waffen an Drittstaaten soll "grundsätzlich" nicht mehr genehmigt werden. Grundsätzlich bedeutet jedoch keineswegs nie. Ausnahmen bleiben möglich wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in der Bundespressekonferenz klarstellte:

O-Ton Seibert:
    "Das bedeutet gleichzeitig, dass es in begründeten Einzelfällen Ausnahmen geben     kann; es handelt sich also nicht um ein Komplettverbot, sondern um ein     grundsätzliches Verbot." 

In der Praxis können die Ausnahmen jedoch auch Überhand nehmen. Seit 19 Jahren steht nämlich bereits in den Politischen Grundsätzen, dass Exporte von Kriegswaffen in Drittstaaten nur in Ausnahmefällen genehmigt werden. Katja Keul, abrüstungspolitische Sprecherin der Grünen, hat in der Praxis das genaue Gegenteil beobachtet:

O-Ton Keul:
    "Und das ist das Hauptproblem mit dieser Rüstungsexportrichtlinie. Sie ist eine     freiwillige Selbstverpflichtungserklärung und sie ist das Papier leider nicht mehr wert,     auf dem sie geschrieben ist, weil seit zehn Jahren regelmäßig mehr Rüstungsgüter an     Drittstaaten geliefert werden als an Bündnispartner und damit das Regel-     Ausnahmeverhältnis auf den Kopf gestellt worden ist."

Aus der theoretisch möglichen Ausnahme ist also in der Praxis die Regel geworden.

Aus der Zeit Sigmar Gabriels als Wirtschaftsminister wurde auch eine andere Änderung übernommen - die Möglichkeit, den Endverbleib von Rüstungsgütern nach deren Export im Empfängerland zu überprüfen. Erste solche sogenannte Post-Shipment Kontrollen für kleine und leichte Waffen sind  inzwischen durchgeführt worden. Die Erfahrungen werden derzeit ausgewertet. Die Möglichkeit zu solchen Kontrollen wurde in die Politischen Grundsätze aufgenommen. Allerdings wird sich erst in Zukunft zeigen, ob die Kontrollen von kleinen und leichten Waffen auf andere Rüstungsgüter ausgeweitet werden. 

Schließlich wurde ein dritte Initiative aus der Zeit Gabriels in den neuen Grundsätzen verankert: Das Versprechen, Anträge für den Export von Technologie zur Herstellung von Waffen in Drittländer künftig genauer zu prüfen, wenn mit den Lieferungen im Empfängerland eigenständige Produktionskapazitäten aufgebaut werden könnten. In die neuen Politischen Grundsätze wurde auch diese Änderung integriert. 

Offen bleibt dabei allerdings , ob dies – erstens -  nur für die Herstellung kleiner und leichter Waffen gelten soll oder auf die Produktion für andere Waffen und Rüstungsgüter ausgeweitet werden soll. Zweitens bleibt unklar, ob sich die die Bundesregierung in diesem Kontext endlich eine Handhabe schaffen will, um die technische Unterstützung, also immaterielle Beihilfen, zur Integration deutschen Ingenieurswissens in die Technologierechte ausländischer Firmen zu unterbinden. Solche Vorhaben, die die konventionelle Waffentechnik betreffen, müssen bislang nur gemeldet werden, wenn gegen den Empfänger ein internationales Embargo verhängt worden ist. In allen anderen Fällen muss die Industrie die Bundesregierung bisher nicht informieren. Schließlich unterliegt auch der Erwerb oder Aufbau von Auslandstöchtern und Gemeinschaftsfirmen durch deutsche Rüstungskonzerne bislang keiner Genehmigungspflicht. Das gilt selbst für Vorhaben, die darauf zielen, aus einem anderen Land kriegführende Drittländer zu beliefern, die aus Deutschland nicht beliefert werden dürften. Auch hier lassen die Politischen Grundsätze weiter offen, ob sich das ändern soll.

Aus Sicht der SPD sind die politischen Grundsätze also vor allem deshalb ein Erfolg, weil die Sozialdemokraten in der Vergangenheit erreichte Fortschritte nicht zurücknehmen mussten und künftig vielleicht noch ein wenig ausweiten können.

Der CDU/CSU gelang es dagegen, Änderungen in die neuen politischen Grundsätze zu integrieren, die den Charakter des Dokumentes mittelfristig verändern können. Auf  Initiative der Unionsparteien wurden verstärkt industriepolitische Zielsetzungen in das Dokument integriert. Noch sind diese allgemeiner Natur -  künftige Konkretisierungen deuten sich allerdings bereits an.

Steffen Seibert, der Regierungssprecher, fasste diese Punkte am Mittwoch so zusammen:

O-Ton Seibert
    "[Die Bedeutung der Förderung von Rüstungskooperationen auf europäischer Ebene -     sei es, dass sie schon in PESCO, also in der Permanent Structured Cooperation, oder     im Europäischen Verteidigungsfonds angelegt sind - wird akzentuiert.] Entsprechend     den Vorgaben des Koalitionsvertrags zu diesen europäischen Kooperationen wird auch     der Stellenwert der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie und der Erhalt     technologischer Kompetenzen unterstrichen. Kooperationen der europäischen     Industrie sollen durch gemeinsame Ansätze oder durch vereinfachte Verfahren     gefördert werden."

Zwei Stoßrichtungen werden hier erkennbar: Zum einen wird für gemeinsame europäische Rüstungsprojekte eine Sonderrolle proklamiert. Sie sind  politisch gewünscht und gewollt. Das könnte auch beim Rüstungsexport Berücksichtigung finden. Zum anderen wird angedeutet, in welche Richtung das gehen könnte. Neben das Argument, der Einbau deutscher Teile in eine Kriegswaffe im Ausland begründe – so wörtlich - "ausfuhrrechtlich einen neuen Warenursprung", wird nun auch die Möglichkeit geschaffen, sogenannte de-minimis- Regelungen anzuwenden. D.h. konkret: Überschreitet der Wert der deutschen Komponenten, die in eine Waffe oder ein Rüstungsgut eingebaut werden sollen, einen bestimmten Prozentsatz nicht, so verzichtet die Bundesregierung auf die Vetomöglichkeit gegen einen geplanten Export – z.B. durch Frankreich. Simone Wisotzki von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt zu den unterschiedlichen Erwartungen in beiden Ländern: 

O-Ton Wisotzki:
    "[Und] da sind unterschiedliche Vorstellungen momentan im Gespräch. Während ´    Deutschland diesen Prozentsatz möglichst gering halten will, sprechen die Franzosen     von rund 35 Prozent. Und da muss man nun jetzt einfach sehen, wo und wie sich die     beiden Staaten einigen werden." 

Hinzu kommt noch eine zweite entscheidende Frage: Auf welchen Wert bezieht sich der Prozentsatz. Auf den Wert des gesamten Rüstungsexportvertrags, zu dem auch Ausbildungs- Wartungs- und Servicekosten gehören können  oder auf den viel kleineren Produktionswert des Waffensystems? Hier eröffnen sich erhebliche Interpretations- und Verhandlungsspielräume. 

Zu welcher Einigung es auf europäischer Ebene kommt, wird sich an unterschiedlichen Stellen zeigen: Bis zum Jahresende wollen sich die europäischen Staaten auf eine Überarbeitung ihres sogenannten Gemeinsamen Standpunkts zu Rüstungsexporten einigen. Frankreich und Deutschland arbeiten daneben an einer bilateralen Vereinbarung für ihre angekündigten großen Rüstungsprojekte wie ein gemeinsames Kampfflugzeug und einen neuen Kampfpanzer. Auf beiden Wegen lassen sich große Hintertüren für zusätzliche Rüstungsexporte öffnen.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS