Pläne für den Notfall
Wie die USA verhindern wollen, dass pakistanische Atomwaffen in die Hände von
Fundamentalisten fallen
von Otfried Nassauer
Pakistan ist ein Pulverfass. Die Regierung unter Pervez Musharraf ist unbeliebt. Sie
kann sich nur mit einer Politik der eisernen Faust an der Macht halten. Niemand weiß, wie
lange das noch funktioniert. Die Kontrolle über die paschtunischen Stammesgebiete an der
Grenze zu Afghanistan hat die Zentralregierung verloren. Radikalislamistische Kräfte
gewinnen an Einfluss. Und zu allem Überfluss ist Pakistan auch noch Nuklearmacht, das
einzige islamische Land, das die Bombe besitzt. Seit 1998 liefert sich Pakistan einen
atomaren Rüstungswettlauf mit Indien. Rund 60 Nuklearsprengköpfe und atomare Bomben hat
Pakistan derzeit, so vermuten Experten. Manche gehen sogar von bis zu 120 Waffen aus.
Selbstgebaute Kurz- und Mittelstreckenraketen, F-16 Kampfflugzeuge und künftig wohl auch
Marschflugkörper können diese Waffen ins Ziel bringen. Und das Nukleararsenal soll
weiter wachsen. Pakistan baut seine militärisch-nukleare Infrastruktur systematisch aus.
Obwohl Pakistan als wichtiger Verbündeter im amerikanischen Krieg gegen den Terror
gilt, werden in Washington deshalb Schreckensszenarien durchgespielt. Was tun, wenn
Pakistan die Kontrolle über sein Nuklearpotenzial verlieren sollte? Wenn die Militär und
Sicherheitskräfte der Führung nicht mehr gehorchen? Wenn das Land zerfällt? Wie kann
man verhindern, dass radikalislamische Kräfte in den Besitz einer Atomwaffe oder
nuklearwaffenfähigen Materials gelangen? Neu sind solche Fragen nicht. Auch während des
Zerfalls der Sowjetunion wurden sie gestellt. Im vergangenen Monat zeigte sich
Generalleutnant Carter Ham vom US-Generalstab sichtlich besorgt über die Situation in
Pakistan. Man werde die Situation genau beobachten, mehr könne er dazu im Augenblick
nicht sagen. Der Drei-Sterne-General:
O-Ton Carter Ham:
" Well, certainly any time there is a nation that has nuclear weapons that is
experiencing a situation such as Pakistan is at present, that is of primary concern.
However we'll watch that quite closely, and I think that's probably all I'd say about that
at this point."
Deutlicher kann ein Hinweis auf geheime Planungen für den Notfall kaum sein.
Schon bald nach den Terroranschlägen des 11. September kursierten erste Berichte über
eine geheime Vereinbarung zwischen Washington und Islamabad. Im Fall einer schweren Krise
werde das pakistanische Militär den USA erlauben, die pakistanischen Atomwaffen zu
sichern oder gar auszufliegen. Bis heute ist unklar, ob es eine solche Vereinbarung
wirklich gibt. Allerdings ist immer wieder zu hören, dass Washington hierfür
Transportmaschinen vom Typ C-17 bereithält. Flugzeuge dieses Typs werden von der
Transportflotte für Nuklearwaffen, der Prime Nuclear Airlift Force, genutzt. Im 62.
Lufttransportgeschwader der USA hat die 4. Staffel diese Aufgabe. Sie stellt eine kleine
Zahl speziell ausgebildeter Besatzungen bereit. Doch diese Option setzt voraus, dass das
pakistanische Militär und der Geheimdienst ISI mit den USA kooperieren. Voraussetzung
wäre außerdem, dass Pakistans Machthaber glauben, dass die USA ihnen die Waffen nach
Ende der Krise zurückgeben. Was also tun, wenn man sich nicht sicher ist, ob Pakistan im
Fall der Fälle kooperationsbereit wäre?
Über zwei Wege wurde in Washington nachgedacht. Die erste Möglichkeit setzt darauf,
Pakistan zu helfen, die Atomwaffen vor nichtautorisiertem Zugriff zu sichern. Diskutiert
wurde, ob man Islamabad den Zugang zu moderner amerikanischer Sicherheitstechnik für
Nuklearwaffen öffnen sollte. Die USA haben ihre Atomwaffen, die sie außerhalb des
eigenen Landes stationieren, mit so genannten Permissive Action Links, kurz PALs,
ausgestattet. Es handelt sich um eine Art elektromechanisches Schloss. Nur wenn mehrere
Teile eines Codes in der richtigen Reihenfolge, in einer bestimmten Zeit und innerhalb
einer erlaubten Zahl von Versuchen eingegeben werden, wird die Waffe scharf gemacht.
Scheitert die Eingabe, wird die Waffe unbrauchbar. Das soll den Missbrauch durch Unbefugte
verhindern. Umgesetzt wurde das Vorhaben allerdings nicht. Rechtliche Bedenken in den USA
sprachen dagegen. Das nationale Atomenergiegesetz der USA verbietet einen solchen
Technologietransfer. Auch Pakistan war nicht begeistert. Man fürchtete, Washington
könnte sich so die Möglichkeit schaffen, Pakistan im Ernstfall am Einsatz seiner
Nuklearwaffen zu hindern.
Unter größter Geheimhaltung umgesetzt wurde dagegen etwas anderes. Pakistan verlegte
seine Nuklearwaffen Ende 2001 in neue Depots, um sie sicherer als bisher zu lagern. In
Anlehnung an die Zusammenarbeit mit Russland unterstützten die USA diese Absicht. Mehr
als 100 Millionen US-Dollar wurden aus einem geheimen Etatposten bereitgestellt. Pakistan
erhielt Sicherheitstechnik für Gebäude und Lager, Nachtsichtgeräte, Hubschrauber und
Geräte zum Aufspüren nuklearen Materials. Pakistanische Experten wurden in den USA
ausgebildet. Außerdem begann der Aufbau eines Zentrums für Nuklearsicherheit in
Pakistan.
Parallel dazu aber befasste sich Washington insgeheim mit einer zweiten Möglichkeit:
US-Spezialkräfte könnten im Fall einer ernsten Krise intervenieren und die Nuklearwaffen
oder deren wichtigste Komponenten unter ihre Kontrolle bringen auch gegen den
Widerstand Pakistans. Zuständig ist das Central Command in Tampa, Florida. Geheime, aber
nicht offiziell von der Regierung Bush initiierte Planspiele wurden durchgeführt. Ob sie
jedoch ggf. in die Praxis umgesetzt werden, darf angesichts der Ergebnisse bezweifelt
werden. Nach Angaben eines Teilnehmers waren die durchgespielten Szenarien ein einziger
Alptraum. Es gebe einfach kaum gute militärische Optionen.
Hinzu kommt, dass solche Planspiele von der pakistanischen Führung als ein Zeichen des
Misstrauens wahrgenommen werden. Warum aber sollte Islamabad dann mit den USA kooperieren
und den USA Hinweise geben, wo es seine Nuklearwaffen lagert?
Pakistan versucht deshalb, mehrere Ziele gleichzeitig umzusetzen. Es will seine
Atomwaffen für den Fall eines Krieges mit Indien einsatzbereit und unter nationaler
Kontrolle wissen. Es will sie so sicher wie möglich lagern, damit sie nicht in die Hände
von Terroristen fallen. Technische und finanzielle Hilfe der USA wird dazu angenommen.
Zugleich bemüht sich Pakistan, Washington keine Informationen zu geben, die die USA
militärisch nutzen können. Trägersysteme, nukleare Komponenten und Raketensprengköpfe
werden wahrscheinlich getrennt gelagert. Möglicherweise werden sogar die Zündmechanismen
gesondert aufbewahrt. Terroristen müssten also mehrere Depots unter ihre Kontrolle
bringen, um auch nur einen funktionsfähigen Sprengkopf in die Hand zu bekommen. Aber auch
amerikanische Spezialkommandos hätten es viel schwerer: Um alle Atomwaffen unter ihre
Kontrolle zu bringen, müssten sie zumindest all die Depots stürmen, in denen die
nuklearen Komponenten lagern. Pakistan lässt die USA deshalb über die Zahl seiner
Atomwaffen und die Orte, wo sie gelagert werden im Unklaren trotz der Kooperation
in Sachen Atomwaffen-Sicherheit. Die Kontrolle über die Waffen wurde auf den
Präsidenten, das Militär und den Geheimdienst aufgeteilt. Die Sicherheitsüberprüfungen
für Personal mit Zugang zu den Waffen sind äußerst streng. Die Zuständigkeiten und
Strukturen für die Lagerung der Nuklearwaffen wurden mehrfach verändert. All das trug
dazu bei, die Einzelheiten für gegnerische Geheimdienste undurchschaubar zu machen. Erst
vor wenigen Wochen ordnete Präsident Musharraf erneut Änderungen an. Konservative
Realpolitik im nationalen Eigeninteresse würde man das bei uns im Westen nennen.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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