Streitkräfte und Strategien - NDR info
13. November 2004


Das iranische Atomprogramm – Prüfstein für die Zusammenarbeit zwischen Europa und der wiedergewählten Bush-Administration?

von Otfried Nassauer


George W. Bush ist wiedergewählt. Ist jetzt damit zu rechnen, dass er die Rolle der Neokonservativen in der Außen- und Sicherheitspolitik weiter stärken wird? Wird er den von vielen Neokonservativen gehegten Wunsch umsetzen und einen deutlich härteren Kurs gegen den Iran einschlagen? David Frum, der Erfinder der Achse des Bösen und frühere Reden-Schreiber von Bush, erwartet das. Müssen wir in Kürze mit einem präventiven Militärschlag gegen den Iran rechnen? Ariel Scharon und seine Regierung drängen darauf. Oder eilt das jetzt weniger, weil George W. Bush vier weitere Jahre im Weißen Haus vor sich hat? Wird sich um die Atompläne des Iran ein Szenario entwickeln, das der Vorgeschichte des Irakkrieges ähnelt? Manches spricht dafür, aber nicht alles.

Vordergründig geht es um die Frage, ob der Iran nur ein legales ziviles Atomprogramm betreibt oder auch ein illegales militärisches Waffenprogramm. Das erste behauptet der Iran, das zweite Israel und die Vereinigten Staaten. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEO ist in einer verzwickten Lage. Bis zum 25. November soll die Behörde mitteilen, ob das iranische Atomprogramm nur legalen, friedlichen Zwecken dient oder auch verbotenen, militärischen. Verzwickt ist die Lage für die IAEO, weil sie ihr Urteil abgeben muss, ohne dass sie weiß, ob sie alle Teile des iranischen Atomprogramms kennt. Die gegenwärtigen Erkenntnisse taugen nicht als Beleg für einen iranischen Rechtsbruch – das zumindest scheint klar. Aber nach dem Motto "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht", werfen interessierte Geheimdienstkreise, Medien und Nichtregierungsorganisationen dem Iran immer wieder neu vor, weitere Teile seines Atomprogramms zu verheimlichen. Sie fordern, der Iran solle beweisen, dass er alle benötigten Informationen über alle Teile seines Atomprogramms an die IAEO gegeben habe. Das aber stellt den Iran vor ein schier unlösbares Problem: Nach den Gesetzen der Logik ist es nicht möglich zu beweisen, dass es etwas nicht gibt. Teheran kann also nur hoffen, dass ihm geglaubt wird, dass es die IAEO vollständig informiert hat. Seine Gegner dagegen können weiter behaupten, dass der Iran Informationen verheimliche, ohne ihrerseits dafür den harten Beweis antreten zu müssen. Dafür reichen offene Fragen und Indizien. Und doch: Aufgrund des Urteils der IAEO soll entschieden werden, ob der "Fall Iran" vor den UN-Sicherheitsrat gebracht wird. Der hätte das Recht, Sanktionen gegen den Iran zu verhängen oder theoretisch sogar eine militärische Aktion zu autorisieren.

Fakt ist: Der Iran will im kommenden Jahr das Kernkraftwerk Busheer in Betrieb nehmen und plant weitere Atomanlagen, darunter einen Schwerwasserreaktor und eine Fabrik zur Herstellung schweren Wassers. In Natanz steht eine große Urananreicherungsanlage bereit, in der theoretisch Uran für zivile und militärische Zwecke angereichert werden kann. Der Iran hat Uranvorkommen und möchte angeblich die Brennstäbe für seine Kraftwerke im eigenen Land herstellen. Dieses Vorhaben steht derzeit im Zentrum des Streits.

Unter Führung der EU-Staaten Deutschland, Großbritannien und Frankreich wird der Iran gedrängt, auf die Urananreicherung verifizierbar zu verzichten, und damit auf potentiell militärisch nutzbare Nukleartechnik. Dazu ist der Iran nicht verpflichtet. Als nicht-atomares Mitglied des Nichtverbreitungsvertrages und eines der wenigen Länder, die der IAEO volle Kontrollen gewähren, hat Teheran sogar das Recht zur zivilen Nutzung der Anreicherungstechnik. Mehr noch: die IAEO ist verpflichtet, Iran zu helfen, wenn es diese Technologie nutzen will. Ein Verzicht kann also nur freiwillig erfolgen. Selbst die IAEO konnte den Iran daher nur auffordern, bis zum 25. November einen freiwilligen Verzicht auf die Anreicherung zu erklären. Der Iran aber fürchtet, dass er als erster Staat rechtlich verbindlich und einseitig zu einem Verzicht auf sein gutes Recht gedrängt werden soll, - zu einem einseitigen Souveränitätsverzicht. Warum sollte ein islamisches Land kein Recht auf die friedliche Nutzung der Atomtechnik haben? Nur weil Israel dies grundsätzlich ablehnt? Darauf will sich Teheran nicht einlassen. Ein zeitlich begrenzter Verzicht auf die Wiederaufarbeitung sei möglich; ein freiwilliger Verzicht im Tausch gegen moderne Atomtechnik und andere Handelsvorteile.

Seit Monaten verhandeln EU-Staaten und der Iran über eine solche Lösung. Einmal schien ein Ergebnis bereits erreicht. Doch das Versprechen des Irans, die Urananreicherung im Gegenzug zu Technologielieferungen auszusetzen, wurde von beiden Seiten unterschiedlich interpretiert. Während man in Europa davon ausging, der Iran werde gar keine weiteren Schritte zur Vorbereitung der Anreicherung unternehmen, beschloss Teheran, Uran in Uranhexafluorit umzuwandeln - jenen Stoff, der in Gasultrazentrifugen bei der Anreicherung zum Einsatz kommt. Und schon war der alte Streit wieder voll aufgebrochen. Vorwürfe, der Iran schleiche sich an die Atombombe heran, wurden laut. Aber auch Vorwürfe, Europa erleichtere dem Iran dieses Anschleichen, indem es ihm über Verhandlungen einen wichtigen Zeitgewinn verschaffe.

Auch Russland, Teherans derzeit wichtigster Lieferant atomarer Technik, führt ähnliche Verhandlungen. Für Moskau ist der Iran ein wirtschaftlich wichtiger Kunde. Zugleich aber wird auch dort der Druck Washingtons deutlich. Die USA trauen weder den Moskauer noch den europäischen Bemühungen, den Iran auf ein rein ziviles Atomprogramm festzunageln. Bislang undiskutiert blieb eine Option, die den größtmöglichen diplomatischen Druck und den geringst möglichen taktischen Handlungsspielraum für den Iran verspräche: Sollten die EU-Staaten und Russland sich auf ein gemeinsames Verhandlungsangebot in Sachen Technologietransfer an Teheran einigen, so könnte der Iran die Positionen seiner beiden potentiell wichtigsten Technologielieferanten nicht gegeneinander ausspielen. Dies würde voraussetzen, dass die EU-Staaten Russland in ihr Angebot zu wirtschaftlich attraktiven Bedingungen einbinden. Der Nebeneffekt: Zugleich bekämen die Befürworter einer politischen Lösung politisch mehr Gewicht.

Doch selbst ein solches Vorgehen muss nicht von Erfolg gekrönt sein. Technologie- und Wirtschaftskooperation können vielleicht die wirtschaftlichen Motive des iranischen Atomprogramms zufrieden stellen. Die sicherheitspolitischen Motive dagegen kaum. Denn ganz gleich, ob im Iran hinter verschlossenen Türen schon eine geheime Entscheidung zugunsten eines militärischen Atomprogramms gefallen ist oder nicht - die Existenz eines zivilen Programms verkürzt den Zeit- und Technologiebedarf für den Atombombenbau deutlich. Das heißt - es sind die sicherheitspolitischen Motive des Irans und seien sie derzeit auch nur hypothetischer Natur, die der Berücksichtigung bzw. des Nachdenkens bedürfen. Teheran weiß sich in der Reichweite des unerklärten, aber existenten Atomarsenals Israels. Es kennt sein gespanntes Verhältnis zu den USA nur zu gut. Deren militärische Präsenz in gleich zwei Nachbarstaaten, in Afghanistan und im Irak, ist aus iranischer Sicht bedrohlich.

Und Washington signalisiert keinerlei Unterstützung für die Verhandlungen Russlands oder Europas mit dem Iran. Im Gegenteil: Es signalisiert abwartende Skepsis und ventiliert immer wieder einmal – halblaut oder laut – die Option, militärisch gegen das iranische Atomprogramm vorzugehen. Das muss die Sicherheitsbedenken des Irans verschärfen und in Teheran jene stärken, die sich alle Optionen, auch den Griff nach der Bombe offen halten wollen.

Ein scharfes, vielleicht sogar militärisches Vorgehen gegen den Iran wird in Washington von einer breiten Koalition befürwortet - einer Koalition, die von den Neokonservativen über einflussreiche Mitarbeiter von Denkfabriken über pro-israelischen Lobby-Gruppen bis weit hinein in die Demokraten reicht - und übrigens auch in die sehr Bush-kritische NGO-Szene. Den Mullahs in Teheran traut niemand über den Weg. Noch weniger jedenfalls als den Erkenntnissen amerikanischer Geheimdienste. Oder anders gesagt: Den Mullahs trauen viele alles zu - auch den Griff nach der Bombe. Sollte George W. Bush in seiner zweiten Amtszeit auf die militärische Karte setzen, er könnte sich in seinem Land breiter Unterstützung gewiss sein. Und die Europäer? Die kämen in die schwierige Lage, zu begründen, warum sie während ihrer Verhandlungen mit dem Iran die Risiken ähnlich scharf und dramatisch beurteilt haben wie Washington oder Israel, einen präventiven Militärschlag aber doch ablehnen.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit – BITS