BITS Stichwort
Aktualisierte Fassung von August 2007

Die Orginalfassung von August 2005 finden Sie hier.


US - Atomwaffen in Deutschland und Europa

von Otfried Nassauer

Die USA lagern einen Teil ihrer aktiven Atomwaffen in Europa. Nach Schätzungen von Experten handelt es sich derzeit um rund 350 nukleare Bomben der Typen B-61-3 und B61-4. Diese Waffen sind für NATO-Aufgaben und den Einsatz durch Jagdbomber der USA sowie einiger europäischer Nationen vorgesehen, die sich an der nuklearen Teilhabe der NATO beteiligen. Dies sind derzeit Belgien, Deutschland, Italien, die Niederlande und die Türkei.

Eingesetzt werden dürfen die US-Atomwaffen nur, wenn der US-Präsident den Einsatz freigegeben hat und auf einem gesonderten amerikanischen Befehlsweg der Freigabecode für die Sicherheitssysteme eingegangen ist. Die USA behalten sich auf nationaler Ebene das Recht vor, ihre in Europa gelagerten Atomwaffen auch zur Unterstützung des für den Nahen und Mittleren Osten zuständigen, regionalen Oberkommandos CENTCOM einzuplanen.

In Deutschland können derzeit noch bis zu 44 nukleare Bomben in Büchel, dem Standort des Jagdbombergeschwaders 33 der Bundeswehr, gelagert werden. Es ist mittlerweile der einzige aktive Lagerort in Deutschland. Vorhanden sind vermutlich nur rund 20 Waffen. Bis 2004 wurden außerdem bis zu 130 Atomwaffen auf der US-Luftwaffenbasis Ramstein Air Base gelagert. Mit diesen Waffen konnte man einerseits die anderen Atomwaffenstandorte in Europa verstärken. Andererseits lagerten dort Atombomben mit denen reaktivierbare Lagermöglichkeiten für bis zu 44 Atombomben auf dem Fliegerhorst Nörvenich (Jagdbombergeschwader 31) wieder in Betrieb genommen werden konnten. Die Atomwaffenlagerstätten in Nörvenich wurde 1997 vorläufig außer Dienst gestellt. Nörvenich ist wohl auch künftig nicht mehr als Atomwaffenstandort vorgesehen, da die nuklearfähigen Tornado-Jagdbomber in den kommenden Jahren durch nichtnuklearfähige Kampfflugzeuge vom Typ Eurofigther ersetzt werden.

Die Nuklearwaffenlagerstätten in Ramstein wurden wegen der umfangreichen Bauarbeiten auf diesem Flugplatz – er soll viele Aufgaben der Rhein-Main-Airbase übernehmen und als wichtigste logistische Drehscheibe der U.S.-Luftwaffe in Europa fungieren – aus Sicherheitsgründen 2004 geräumt. Nach Abschluss der Arbeiten kehrten die Waffen nicht mehr nach Ramstein zurück. Für Ramstein und ebenso für Spangdahlem, den zweiten US-Flugplatz, der logistische Aufgaben der Rhein-Main-Airbase übernahm, sind ausweislich der Dienstvorschriften der US-Luftwaffe in Europa vorläufig künftig keine Nuklearen Sicherheitsinspektion (Nuclear Surety Inspections) mehr geplant. Solche Inspektionen sind Nuklearwaffenlagerorten Pflicht.

Europaweit gibt es in sechs Ländern aktive Lagermöglichkeiten an sieben Standorten für maximal 480 Atomwaffen. Es ist davon auszugehen, dass an jedem Standort ein Magazin für Ausbildungszwecke benutzt wird und deshalb mit Trainingswaffen bestückt wird. Auch in den anderen Vaults befinden sich weniger Waffen als diese theoretisch aufnehmen können. Reaktiviert werden können maximal fünf weitere Standorte für 332 Waffen.

Die Nuklearwaffen werden in geschützten unterirdischen Magazinen, sogenannten Weapons Storage Vaults (Grüften – siehe Photo) aufbewahrt, die in den Boden von Flugzeugschutzbauten auf ausgewählten Fliegerhorsten eingebaut wurden. Jedes Magazin kann maximal vier Waffen aufnehmen und wird mit spezieller Technik fernüberwacht.

Für die Wartung und den Zugang zu den Atomwaffen sind an den Standorten der vier europäischen NATO-Streitkräfte jeweils 130-140 US-Spezialisten zuständig. Sie tun in vier speziellen Einheiten Dienst, den Munition Support Squadrons (701.-704. MUNSS). Die vier Squadrons unterstehen der 38. Munitions Maintenance Group (MMG) in Spangdahlem, die ihrerseits Teil der 38. Combat Support Wing in Sembach/Ramstein ist. Diese insgesamt rund 550 Soldaten sind auch dafür zuständig, dass nie ein einzelner Soldat oder gar ein Europäer ohne Begleitung durch US-Soldaten Zugang zu einer Atomwaffe bekommt. Die Fliegerhorste, auf denen Atomwaffen stationiert sind, haben zudem eine zusätzliche Wachmannschaft. Bei der Bundeswehr heißt diese Luftwaffensicherungsstaffel "S" - wie Sonderwaffen.

Die Bomben vom Typ B-61 verfügt über relativ moderne Sicherungssysteme und eine variable Sprengkraft von bis zu 45 Kilotonnen (Modell 3) bzw. bis zu 170 Kilotonnen (Modell 4). Letzteres entspricht mehr als der 13-fachen Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe.

Lange wurde angenommen, dass auch Bomben des Typs Die B-61-10 in Europa gelagert werden. Dieser Nuklearwaffentyp wurde Ende der achtziger Jahre aus den nicht mehr benötigten Sprengköpfen der Mittelstreckenrakete Pershing-II-Rakete entwickelt, die aufgrund des Vertrages über den Abbau landgestützter, atomarer Mittelstreckenwaffen von 1987 (INF-Vertrag) abgezogen worden waren. Durch eine Veröffentlichung des US-Energieministeriums wurde im Juli 2005 bekannt, dass diese Waffen nicht – wie angenommen - Bestandteil des aktiven Atomwaffenbestandes der USA sind und deswegen auch nicht in Europa stationiert wurden.

Seit dem Ende des Kalten Krieges haben die US-Nuklearwaffen in Europa vor allem eine politisch-psychologische Funktion. Sie sind ein Zeichen dafür, dass die NATO-Staaten diesseits und jenseits des Atlantiks sich unter keinen Umständen auseinanderdividieren lassen und die Risiken ebenso wie die Verantwortung gemeinsam tragen wollen, die mit Nuklearwaffen verbunden sind. Ihre militärische Funktion haben diese Waffen weitgehend verloren, da die Ziele, gegen die sie ursprünglich eingesetzt werden sollten, heute keine Ziele mehr sind. Für neue Ziele, die seit Ende des Kalten Krieges Aufnahme in die Planungen fanden, sind diese Waffen oft militärisch schlechter geeignet als moderne konventionelle Waffen. Politische Bestrebungen Washingtons, den Waffen in Europa neue Rollen bei der Abschreckung und Bekämpfung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen zuzuweisen, sind bislang bei den meisten europäischen NATO-Staaten nicht auf Gegenliebe gestoßen. Allerdings planen die USA ihre in Europa gelagerten Atomwaffen auf nationaler Ebene auch für Einsätze außerhalb des NATO-Gebietes, z.B. im Mittleren Osten mit ein.

Die Zahl der nuklearen Waffen und der Standorte, an denen sie in Europa gelagert werden, wurde seit 1991 deutlich reduziert. Verblieben zunächst etwa 1400 Bomben in Europa, so wurde diese Zahl zunächst auf etwa 700, dann auf 480 verringert. Reduzierungen wurden meist erst bekannt, nachdem sie stattgefunden hatten. Die Möglichkeit einer erneuten Reduzierungsrunde kündigte NATO-Oberbefehlshaber James L. Jones, überraschend im März 2004 an. Details nannte er allerdings nicht. Erst zwischen 2005 und 2007 wurde deutlich, dass mit dem Abzug der Atomwaffen aus Ramstein tatsächlich eine weitere Reduzierung vorgenommen wurde. Eines der wichtigsten Beratergremien des Pentagons, das Defense Science Board, empfahl fast gleichzeitig den völligen Verzicht auf diese Waffen.

Auch der Bereitschaftsstatus der Jagdbombergeschwader, die die Waffen einsetzen können, wurde deutlich reduziert. Während des Kalten Krieges waren atomar aufmunitionierte Jagdbomber noch in Sofortbereitschaft (Quick Reaction Alert, QRA) und konnten binnen Minuten abheben, so würde es heute nach Angaben der NATO Monate dauern, bis die volle Einsatzbereitschaft wieder erreicht würde. Dies lässt darauf schließen, dass auch der Einsatz atomarer Waffen, der früher regelmäßig auf den Luft-Boden-Schießplätzen Nordhorn und Siegenburg geübt wurde, heute nur noch selten oder vielleicht gar nicht mehr trainiert wird.

Die "nukleare Teilhabe" der nicht-nuklearen NATO-Staaten ist politisch umstritten. Sie würde es im Kriegsfall ermöglichen, dass Piloten aus einem nicht-nuklearen Staat, der Mitglied des Nichtverbreitungs- bzw. Atomwaffensperrvertrages (NVV) ist, Atomwaffen einsetzen. Dies wird von der Mehrheit der NVV-Vertragsstaaten, den Nichtpaktgebundenen, als Vertragsverletzung betrachtet.

Die Nuklearwaffenlager der NATO im Juli 2007 [1]

Flugplatz Land Unterflur-
magazine
Waffen gelagert
(geschätzt)
Waffen lagerbar
(max)
Einheiten und Status
Buechel

D

11

20

44

Jabo-Geschwader 33 der Bundeswehr mit Tornado-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager aktiv; Wacheinheit der USAF: 702 MUNSS (ehem. 817.MUNSS)
Ramstein

D

54*

0
(ehem.130)

0
(216)

86. Lufttransportgeschwader, USAF mit C-130-Transportern, früher für Nuklearwaffentransporte in Europa zuständig
Kleine Brogel

BE

11

20

44

10. Taktisches Geschwader der Belgischen Luftwaffe mit F-16 Flugzeugen, Nuklearwaffenlager aktiv; Wacheinheit der USAF: 701 MUNSS (ehem.52.MUNSS)
Volkel

NL

11

20

44

1. Jagdbombergeschwader der Holländischen Luftwaffe mit F-16 Flugzeugen. Aktiv. Wach-einheit der USAF: 703. MUNSS (ehem. 752.MUNSS)
Lakenheath

UK

33

110

132

48. Jagdbombergeschwader der US-Luftwaffe mit F-15E-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager aktiv
Aviano

IT

18

50

72

31. Jagdbombergeschwader der US-Luftwaffe mit F-16 Flugzeugen, Nuklearwaffenlager aktiv
Ghedi-Torre

IT

11

40

44

6. Geschwader der Italienischen Luftwaffe mit Tornado-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager aktiv. Wacheinheit der USAF: 704. MUNSS (ehem. 31.MUNSS)
Araxos
(geschlossen)

GR

6

0

0
(24)

116. Geschwader der Griechischen Luftwaffe mit A-7E Flugzeugen, Nuklearwaffenlager inaktiv. Wacheinheit der USAF: 731.MUNSS
(2001 geschlossen)
Incirlik

TR

25

90

100

Rotierende Einheiten der US-Luftwaffe, Nuklearwaffenlager aktiv
Memmingen

D

0
(11)

0

0
(0)

Ehem. Jabo-Geschwader 34 der Bundeswehr mit Tornado-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager inaktiv – Standort 2003 aufgelöst.
Noervenich

D

11

0

0
(44)

Jabo-Geschwader 31 mit Tornado-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager inaktiv, keine Wacheinheit der USAF, Geschwader soll ab 2007 auf nicht-nukleare Eurofighter umgerüstet werden
Murted/Akinci

TR

6

0

0
(24)

4. Geschwader der Türkischen Luftwaffe mit F-16 Flugzeugen, Nuklearwaffenlager inaktiv. keine Wacheinheit der USAF
Balikesir

TR

6

0

0
(24)

9. Geschwader der Türkischen Luftwaffe mit F-16-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager inaktiv. keine Wacheinheit der USAF
Spangdahlem

D

0

0

0
(0)

52. Taktisches Geschwader der USAF mit F-16 (ehem F-16C/D; jetzt F-16 CJ Wild Weasel-Version); 38.Munitions Maintenance Group, seit 24.7.04 europaweit zuständig für MUNSS. (ehemals Aufgabe der 52.)

Gesamt: **

NATO

120 akt.
+83 inakt.

350

480 akt.
332inakt.

 

* plus ein weiteres Magazin für Ausbildungs- und Übungszwecke.

** Diese Zahlen sind theoretische Maximalwerte. Sie können nur erreicht werden, wenn alle Vaults, auch jene für Trainingszwecke, voll belegt werden. Sie gehen davon aus, dass alle inaktiven Vaults noch vorhanden sind und reaktiviert werden könnten. Lediglich die Vaults in Memmingen wurden abgezogen, weil sie wohl ausgebaut wurden, als der Flugplatz aufgegeben wurde. Die Zahl der wirklich gelagerten Waffen ist wahrscheinlich deutlich geringer. Informierte und adaptierte Schätzungen auf Basis einer internen U.S.-Quelle aus dem Jahr 2004 gehen von rund 350 in Europa gelagerten Waffen aus.



Blaue Markierungen bedeuten inaktive Nuklearwaffenlager, braune Markierungen aktive Lager.

Das Foto zeigt eine Gravitationsbombe des Typs B-61. Bei dem Flugzeug im Hintergrund handelt es sich um eine F-16. (Foto: USAF)

B-61 Bombe während einer Nuklearen Sicherheitsinspektion in Aviano (Foto: USAF)


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS


 

Material:
1USAF Electronic Systems Center, Cryptologic Systems Group: WS3 Sustainment Program, Hanford Airforce Base, 3.3.2000; Department of the US Air Force, 11th Wing, Information obtained under the Freedom of Information Act by Joshua Handler, Princeton University, released 01/30/1998; Department of the US Air Force, Headquarters US Air Forces in Europe, Information obtained under the Freedom of Information Act by Joshua Handler, released 12/02/1997; Der Spiegel, No. 16/98, 04/13/98, p.135; USAF Electronic Systems Center: Press Release, Hanscom AFB, 18.7.1995; USAF Electronic Systems Center: Communication to BASIC, Hanscom, 20.11.1996; US Congress, House Defense Appropriations Subcommittee, DoD Appropriations for FY 1987, Part 5, p.216; US Congress, House Defense Appropriations Subcommittee, DoD Appropriations for FY 1990, part 7, p.479; Institut für Internationale Politik: Die Atomare Planung der NATO nach dem Ende des Kalten Krieges, Wuppertal, 1990; Hans M. Kristensen: Nuclear Weapons in Europe, Natural Ressources Defense Council, Washington DC, February 2005.