BITS Stichwort
Aktualisierte Fassung von April 2020
Aktualisierte Fassung von August 2007
Die Orginalfassung von August 2005 finden Sie hier.


Atomwaffentransporte - Nuclear Airlift

von Otfried Nassauer


Die US-Luftwaffe transportiert ihre Nuklearwaffen in Friedenszeiten, wann immer nötig und möglich als Luftfracht. Das gilt auch und gerade für die Nuklearwaffen, die im Ausland gelagert werden. Es geschieht aus  Sicherheitsgründen und gilt auch für Ersatzteile, z.B. Komponenten mit begrenzter Lebensdauer. Dafür steht die Prime Nuclear Airlift Force (PNAF) zur Verfügung, die inzwischen auch für Notfalltransporte von Atomwaffen, also die Emergency Nuclear Airlift Operations (ENAO), zuständig ist.

Die PNAF wird von der 4. Staffel des 62. Lufttransportgeschwaders (4th Squadron, 62nd MAW) auf der Joint Base Lewis McChord (JBLM) in Lakewood, Washington State, gestellt. Hier stehen für diese Aufgabe besonders verlässliche Flugkapitäne mit ihren ebenfalls speziell ausgebildeten Mannschaften bereit. Etwa 200 Personen gehören insgesamt zu der Einheit. Sie können auch eingesetzt werden, um den US-Präsidenten (Codename Banner Phoenix), den Vizepräsidenten (Silver Phoenix) oder vom Weißen Haus besonders beauftragte Personen (Copper Phoenix) zu befördern, wenn diese ein militärisches Flugzeug nutzen müssen.  

Für Transporte von Nuklearwaffen werden heute moderne Großraumflugzeuge vom Typ Boeing C-17A "Globemaster III" genutzt, die selbst auf relativ kleinen Flughäfen landen können. Der 4.Staffel sind keine bestimmten Flugzeuge zugeordnet. Aus dem Bestand des 62. Geschwaders werden werden jeweils die Flugzeuge genutzt, die sich gerade im technisch besten Zustand befinden. 

Transporte vollständiger Atomwaffen kommen inzwischen relativ selten vor. Das liegt zum einen daran, dass nur noch recht wenige Atomwaffen außerhalb der USA stationiert sind. In Europa liegen noch etwa 150-180 atomare Bomben. Aus allen anderen Regionen der Erde wurden die Nuklearwaffen in die USA zurück verlegt. Eine zweite Ursache besteht darin, dass die USA ihre Waffen aus Sicherheitsgründen nur bewegen, wenn es wirklich einen triftigen Grund dafür gibt. Die meisten Wartungsarbeiten, auch der Austausch von Komponenten begrenzter Lebensdauer, können heute an den europäischen Lagerorten vorgenommen werden. 

Anders ist das, wenn tiefe technische Eingriffe in die Waffen vorgenommen werden müssen, zum Beispiel, um deren Nutzungskontroll- und Nutzungsverweigerungssysteme (Use Control-/Denial) zu verbessern oder um eine Waffe wieder funktionsfähig zu machen, die aus Sicherheitsgründen unbrauchbar gemacht wurde. Solche Aufgaben können nur bei den Entwicklern und Herstellern in den USA umgesetzt werden. Vieles spricht dafür, dass die USA aus solch einem Grund seit 2019  die in Europa gelagerten Atomwaffen sukzessive gegen ansonsten typgleiche Waffen  aus den USA austauschen. Dazu werden zunächst die alten Waffen aus Europa abgeholt und auf die Kirtland Air Force Base in Albuquerue, New Mexico, gebracht. Dort werden sie gegen bereits umgerüstete Bomben aus dem Kirtland Underground Munitions Maintenance and Storage Complex (KUMMSC) ausgetauscht und diese kehren dann an die europäischen Lagerorte zurück. Zwischen Abholung der alten Waffen und Einlagerung der neuen vergehen nur etwa 48 Stunden. Im Frühherbst 2019 fand wahrscheinlich ein solcher Austausch im deutschen Büchel statt, zwischen dem 9. und 12. Dezember 2019 im niederländischen Volkel und möglicherweise in der zweiten Märzhälfte 2020 auch im türkischen Incirlik. Die Transporte führte jeweils die PNAF durch. 

Da die maximale Reichweite der C-17A Globemaster nicht für alle Zielorte ausreicht, müssen die Flugzeuge der PNAF ggf. zusätzlichen Sprit aufnehmen. Da Zwischenlandungen als zusätzliches Sicherheitsrisiko betrachtet werden, geschieht dies per Luftbetankung. Dafür  gelten besondere Regeln. Die Betankung muss über dem Meer und mindestens 12 Seemeilen von  der nächsten Küste entfernt durchgeführt werden. So sehen es die einschlägigen Vorschriften der US-Luftwaffe vor. 

Die Aufgabe, Nuklearwaffen als PNAF zu transportieren, wurde in den vergangenen Jahrzehnten von unterschiedlichen Staffeln wahrgenommen. Sie lag seit den siebziger Jahren über lange in den Händen der 6. Lufttransportstaffel, die den Spitznamen "Bully Beef Express" trug. Diese Staffel ist auf der McGuire Airforce Base beheimatet und war z.B. dafür zuständig, nach dem Ende des kalten Krieges Tausende von atomaren Artilleriegeschossen, Fliegerbomben und Raketensprengköpfen in die USA zurückzubringen. Insgesamt flog der Bully Beef Express nach eigenen Angaben in dieser Zeit rund 1.600 Missionen als PNAF. Damals wurden für solche Transporte Flugzeuge vom Typ C-141B-Starlifter benutzt. 

Für eine Übergangszeit übernahm 1994 das 60. Lufttransportgeschwader auf der Travis Air Force Base den Transport atomarer Waffen. Auch dort wurden C-141B-Flugzeuge genutzt. Von dieser Einheit ging die Aufgabe des Atomwaffentransports 1998 auf das 62.Lufttransportgeschwader mit seiner 4. Staffel über, das über die viel moderneren C-17A-Globemaster Flugzeuge verfügte. 

Einer der letzten größeren Transporte atomarer Waffen fand 2004 statt. Damals galt es, die auf der Airbase Ramstein in Deutschland gelagerten Atombomben vom Typ B-61 in die USA zurück zu fliegen. Die Ramstein Airbase sollte gemeinsam mit Spangdahlem alle Aufgaben der Rhein-Main-Airbase übernehmen und musste dafür aufwändig umgebaut und vergrößert werden. Aus Sicherheitsgründen wurden in diesem Kontext die Nuklearwaffen ausgelagert. Ähnliche Gründe dürften eine Rolle gespielt haben, die Atomwaffen nach Ende der Bauarbeiten in den USA zu belassen. Für den Transport und die Lagerung nuklearer Waffen gelten strenge Sicherheitsmaßnahmen, zu denen auch Einschränkungen für den Flugbetrieb am Lagerort zählen. Diese waren mit der neuen Rolle Ramsteins als zentrale logistische Drehscheibe der US-Luftwaffe in Europa wohl nur schwer in Einklang zu bringen. 

Einige früher vorhandene Strukturen für Atomwaffentransporte gibt es nicht mehr. So ist die Aufgabe, im Notfall als ENAF (Emergency Nuclear Airlift Force) bereitzustehen, die früher von größeren Kräften, z.B dem 437. Lufttransportgeschwaders auf der Charleston AFB wahrgenommen wurde, nicht mehr existent. Die Aufgabe wurde als Emergency Nuclear Airlift Operation (ENAO) in das Missionsspektrum der PNAF eingegliedert. Für Atomwaffentransporte über kürzere Strecken innerhalb Europas gab es früher einen "europäischen Ableger" der PNAF. Dieser befand sich auf der Airbase Ramstein und war Teil des 86. Lufttransportgeschwaders. Dafür wurden C-130 Herkules-Transportmaschinen genutzt. Heute fliegen die C-17A der PNAF die verbliebenen sechs europäischen Luftwaffen-Stützpunkte direkt an, auf denen noch Atomwaffen gelagert werden an. In Ramstein entfiel diese nukleare Aufgabe.  


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS