Original Artikel
09. Dezember 2011


Grundsätzlich restriktiv - gelegentlich sehr freizügig
Deutsche Rüstungsexportgenehmigungen

von Otfried Nassauer


Deutsche Juristen pflegen manchmal einen etwas seltsamen Sprachgebrauch. Das gilt schon für einzelne Worte. Benutzen sie zum Beispiel das Wort „grundsätzlich“, so wollen sie damit keineswegs sagen, dass eine Aussage immer gilt. Im Gegenteil, mit diesem Wort kündigen sie Ausnahmen von der Regel an. So ist die Aussage, dass etwas „grundsätzlich verboten ist“, zugleich die Ankündigung, dass es im Einzelfall erlaubt sein kann. Das gilt auch für Aussagen, in denen das Wort grundsätzlich in Verbindung mit einer Verneinung vorkommt. Das etwas „grundsätzlich nicht genehmigungsfähig ist“, besagt, dass es im Einzelfall durchaus genehmigt werden kann.

Den jährlichen Rüstungsexportbericht der Bundesregierung und die „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter“ formulieren Juristen. Das Wort „grundsätzlich“ ist darin wiederholt an wichtigen Stellen zu finden. Betrachtet man diese genauer, so liegt der Schluss nahe, dass die Genehmigungspraxis der Bundesregierung für Rüstungsexporte grundsätzlich restriktiv, gelegentlich aber sehr freizügig gehandhabt werden soll.

Beispiele aus dem Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für das Jahr 2010 und den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem Jahr 2000 illustrieren diese Feststellung:

Beispiel eins – die Menschenrechte:
„Genehmigungen für Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden grundsätzlich nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur internen Repression im Sinne des EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden. Für diese Frage spielt die Menschenrechtssituation im Empfängerland eine wichtige Rolle.“ (Politische Grundsätze I.3)

Die Menschenrechte sind ein bedeutsames Kriterium für die Genehmigung von Rüstungsexporten. Im Einzelfall kann ein Export aber auch dann genehmigt werden, wenn ein „hinreichender Verdacht“ besteht, dass das betreffende Rüstungsgut zur internen Repression oder zu fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden könnte. Darüber hinaus ist er genehmigungsfähig, wenn der Verdacht „nicht hinreichend“ oder die zu erwartenden Menschenrechtsverletzungen nicht fortdauernd und systematisch sind. Die „Menschenrechtssituation“ im Empfängerland kann somit äußerst flexibel bewertet und gewichtet werden. Deutsche Kleinwaffenexporte nach Saudi-Arabien im Vergleich mit den Feststellungen des Menschenrechtsberichtes der Bundesregierung für dieses Land legen dafür beredt Zeugnis ab. Die Bundesregierung genehmigte trotz schwerer menschenrechtlicher Probleme den Export solcher Waffen und erteilte sogar eine Lizenz zur Herstellung des G36-Gewehrs in Saudi Arabien.

Beispiel zwei – Herstellungslizenzen für Kleinwaffen:
Bei der Ausfuhr von Technologie und Herstellungsausrüstung [in Drittländer] werden grundsätzlich keine Genehmigungen im Zusammenhang mit der Eröffnung neuer Herstellungslinien für Kleinwaffen und Munition in Drittländern erteilt. (Rüstungsexportbericht 2010, S. 12)

Der Aufbau Produktionsanlagen für die Lizenzfertigung Kleinwaffen und Munition in Drittländern in die Ländern, in denen schon in der Vergangenheit solche Anlagen aufgebaut wurden, ist genehmigungsfähig. Dazu gehören zum Beispiel Pakistan und Saudi-Arabien. In Ausnahmefällen kann die Ausfuhr aber auch in Länder erfolgen, in denen es bisher keine Anlagen zur Lizenzfertigung deutscher Kleinwaffen gibt. Letztere sind dann in Zukunft auch Länder, in denen es bereits eine Lizenzfertigung gibt und in die die Lizenzfertigung neuer Kleinwaffenmodelle genehmigungsfähig ist. Mit anderen Worten: Es können immer weitere Länder hinzukommen, in denen eine Lizenzfertigung erfolgen kann.

Beispiel drei – der Endverbleib:
Ein Empfängerland, das entgegen einer abgegebenen Endverbleibserklärung den Weiterexport von Kriegswaffen oder kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern genehmigt oder einen ungenehmigten derartigen Export wissentlich nicht verhindert hat oder nicht sanktioniert, wird bis zur Beseitigung dieser Umstände grundsätzlich von einer Belieferung mit weiteren Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern ausgeschlossen. (Politische Grundsätze IV.4)

Ein Empfängerland, dass gegen die Endverbleibsregeln für deutsche Rüstungsgüter verstoßen hat, kann mit einer Sanktion belegt werden. Für dieses Land werden dann zeitweilig keine weiteren Rüstungsexportgenehmigungen erteilt. Das ist aber kein Muss, denn es kann auch Ausnahmen geben. Zum Beispiel, weil außenpolitischer Schaden für das Verhältnis Deutschlands zu diesem Empfängerland oder zu dem Drittland droht, in das Waffen ohne deutsche Zustimmung weitergeliefert wurden. Dieser Schaden könnte einer Sanktionierung entgegenstehen. Da Deutschland den Endverbleib aus Deutschland gelieferter Waffen nicht vor Ort überprüft, sind „erwiesene Verstöße“ zudem äußerst selten. Bis heute ist beispielsweise ungeklärt, wie deutsche Sturmgewehre vom Typ G36 nach Georgien gelangen konnten. Der Vorgang blieb unsanktioniert. Die Bundesregierung will auch weiterhin auf eine Nachprüfung des Endverbleibs vor Ort verzichten: „Das deutsche System der Exportkontrolle für Rüstungsgüter gewährleistet in zuverlässiger Weise die Sicherung des Endverbleibs der exportierten Rüstungsgüter. Die Bundesregierung hat seit Jahrzehnten gute Erfahrungen mit diesen Regelungen gemacht. Nur in wenigen Einzelfällen ist eine Umleitung bekannt geworden. Entsprechenden Hinweisen geht die Bundesregierung mit Nachdruck nach.“ (Rüstungsexportbericht 2010, S.7) Quod errat demonstrandum.

Beispiel vier – staatliche Empfänger:
Schließlich werden Genehmigungen für die Ausfuhr von Kriegswaffen, einschließlich Kleinwaffen, grundsätzlich nur für staatliche Endverwender, nicht für Private erteilt. Damit wendet die Bundesregierung einen Grundsatz an, der international (u. a. im VN-Rahmen) bisher keine Mehrheit gefunden hat, aber bei seiner Universalisierung einen wesentlichen Beitrag zur Begrenzung der illegalen Verbreitung von Kleinwaffen leisten würde).(Rüstungsexportbericht 2010, S. 12)

In der Regel sollen die Empfänger deutsche Exportlizenzen für die Ausfuhr von Kriegswaffen und Kleinwaffen staatliche Institutionen sein. Ausnahmen können jedoch gemacht werden. In der Regel ist die Bundesregierung bereit, sich dem Bemühen der Vereinten Nationen zur Eindämmung der illegalen Verbreitung von Kleinwaffen anzuschließen. Im Einzelfall aber behält sie sich vor, der Verbreitung von Kleinwaffen auch Vorschub zu leisten. Bemerkenswert ist zudem, dass diese Formulierung im Einzelfall auch Kriegswaffenexporte an private Empfänger ermöglicht. Ein Schelm, wer dabei böses denkt.

Beispiel fünf - Krisen- und Kriegsgebiete:
Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern
wird nicht genehmigt in Länder,

  • die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht,
  • in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden.

Lieferungen an Länder, die sich in bewaffneten äußeren Konflikten befinden oder bei denen eine Gefahr für den Ausbruch solcher Konflikte besteht, scheiden deshalb grundsätzlich aus, sofern nicht ein Fall des Artikels 51 der VN-Charta vorliegt. (Politische Grundsätze III.5)

Lieferungen von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern an Länder, die sich in einem bewaffneten Konflikt befinden, sind ausgeschlossen. Ausnahme sind nur dann möglich, wenn ein Staat angegriffen wurde und in legitimer Selbstverteidigung handelt. Nach Adam Riese gilt dies für maximal die Hälfte aller Staaten, die Kriege mit anderen Staaten führen.

Beispiel sechs - Sammelausfuhrgenehmigungen:
Sammelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter werden grundsätzlich nur für Ausfuhren in NATO- und NATO-gleichgestellte Länder erteilt. (Rüstungsexportbericht 2010, S.16)

Sammelausfuhrgenehmigungen werden in der Regel nur in Länder der NATO, der EU und gleichgestellte Staaten erteilt. Ausnahmen wie Sammelausfuhrgenehmigungen nach Israel bestätigen die Regel, dass es auch Ausnahmen von der Regel geben kann.

Beispiel sieben – Rüstungskooperation:
Deshalb ist bei allen neu abzuschließenden Kooperationsvereinbarungen für den Fall des Exports durch das Partnerland grundsätzlich ein solches Konsultationsverfahren anzustreben, das der Bundesregierung die Möglichkeit gibt, Einwendungen wirksam geltend zu machen. Die Bundesregierung wird hierbei sorgfältig zwischen dem Kooperationsinteresse und dem Grundsatz einer restriktiven Rüstungsexportpolitik unter Berücksichtigung des Menschenrechtskriteriums abwägen. (Politische Grundsätze II.3)

Die Bundesregierung strebt bei Kooperationsprojekten, die der gemeinsamen Herstellung von Kriegswaffen und Rüstungsgütern dienen, an, über ein Konsultationsverfahren an der Entscheidung über potentielle Exporte auch der Partnernationen beteiligt zu werden. Sie kann allerdings auf das Recht gehört zu werden verzichten, wenn ein Partnerland es ablehnt, die Bundesregierung zu konsultieren. Im Schmidt-Debre-Abkommen über die deutsch-französischen Gemeinschaftsprojekte hat die Bundesregierung beispielsweise darauf verzichtet, ein Veto gegen französische Exportwünsche für gemeinsam produzierte Waffen und Rüstungsgüter einlegen zu können. Noch 2010 lieferte sie zum Beispiel Sprengköpfe und Abschussgeräte für die Panzerabwehrrakete Milan nach Frankreich, obwohl diese nach Libyen weiterexportiert wurden.

Die Ausnahme von der Ausnahme
Dass es in wenigen Einzelfall auch positive Auswirkungen haben könnte, das Wort grundsätzlich im Sinne des juristischen Sprachgebrauchs zu verwenden, demonstriert ein letztes Beispiel:

Der Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in diese Länder [NATO-, EU-Mitglieder und Gleichgestellte] hat sich an den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Bündnisses und der EU zu orientieren. Er ist grundsätzlich nicht zu beschränken, es sei denn, dass aus besonderen politischen Gründen in Einzelfällen eine Beschränkung geboten ist. (Politische Grundsätze II.1)

Diese Vorgabe ist zwiespältig. Zum einen konterkariert sie die zugrundeliegende Logik des Kriegswaffenkontrollgesetzes. Diese besagt, dass Kriegswaffenexporte in alle Länder verboten sind, es sei denn, sie wurden explizit erlaubt. Kriegswaffenexporte in NATO-, EU- und gleichgestellte Länder mit diesem Satz praktisch davon ausgenommen. Sie werden so behandelt, als gehe es um genehmigungspflichtige Außenwirtschaftsgüter: Ihr Export ist „grundsätzlich nicht zu beschränken“, es sei denn, er werde im Einzelfall untersagt.
Andererseits können Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgüter in diese Länder aber im Einzelfall auch untersagt werden, wenn „aus besonderen politischen Gründen in Einzelfällen eine Beschränkung geboten ist“. Schwere Menschenrechtsverletzungen, die Einrichtung einer Militärdiktatur in einem dieser Länder oder Sanktionen der UNO gegen ein solches Land könnten dazu zum Beispiel Anlass geben.

Von Sinn und Zweck
Grundsätzlich wird das Wort „grundsätzlich“ also nicht gebraucht, um die Restriktivität der deutschen Genehmigungspraxis für Rüstungsexporte zu betonen. Im Gegenteil: Zumeist ist es der Verweis auf den Handlungsspielraum der Exekutive, der ihr trotz rechtlicher und politischer Vorgaben die Möglichkeit lässt, im Einzelfall flexibel und nach Opportunitätsgesichtspunkten zu entscheiden. Wird das Wort benutzt, so zeigt es Entscheidungsspielräume für Verwaltung und Regierung auf. Mit ihm wird Entscheidungsmacht an die Exekutive delegiert. Da aber die Exekutive in aller Regel auch die Entwürfe der Vorgaben des Gesetzgebers für die Exekutive entwirft, also z.B. Gesetzentwürfe schreibt, kommt das Wort „grundsätzlich“ gerne zum Einsatz, wenn und weil sich die Exekutive nicht festlegen, sondern ermächtigen lassen will, selbst von Fall zu Fall zu entscheiden- Sie will bei ihrer Entscheidungsfindung möglichst frei sein. Es handelt sich also beim Gebrauch dieses Wortes auch um eine Ausdrucksform der Selbstermächtigung staatlicher Bürokratie. Dass der Alltagssprachgebrauch den Bürger im Glauben an das Gegenteil lässt, wird als willkommener Nebeneffekt hingenommen. Dass Rüstungsexportgenehmigungen flexibel und zur Überraschung des Bürgers auch dann erteilt werden, wenn dies nach dem Urteil des normalen Menschenverstandes nie und nimmer der Fall sein sollte, ist eine logische Folge.

Notwendiger Nachtrag
Die Rüstungsexportpolitik wird gerne als Privileg der Exekutive bezeichnet. Zur Exekutive gehört die staatliche Verwaltung, aber auch die Bundesregierung. Über besonders heikle und umstrittene Voranfragen oder Anträge auf Genehmigung von Rüstungsexporten entscheidet der Bundessicherheitsrat, ein auf Ministerebene geheim tagender Ausschuss der Bundesregierung. In dieser Tatsache kommt zum Ausdruck, dass die staatliche Bürokratie zwar „grundsätzlich“ daran interessiert ist, möglichst viele Entscheidungen über Rüstungsexporte flexibel und selbst treffen zu können, die Verantwortung für besonders heikle und umstrittene Entscheidungen aber gerne und meist der Politik überlässt.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS