Originalbeitrag
05. Januar 2019


Rüstungsexport: Voreilige Schlüsse und längerfristige Trends

von Otfried Nassauer


Vorläufigen Zahlen zufolge war Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier bis zum 13.Dezember 2018 für Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsexporte im Wert von 4,62 Mrd. € verantwortlich. Das teilte sein Ministerium Omid Nouripour mit, dem außenpolitischen Sprecher der Grünen. Die Zahl bescherte Altmeier positive Schlagzeilen und Kritik: „Deutsche Rüstungsexporte schrumpfen deutlich“,  zum „dritten Mal in Folge“ meldete zum Beispiel „Spiegel online“. Ganz anders die deutsche Rüstungsindustrie. Sie betrachtet die zu restriktive Genehmigungspolitik der Bundesregierung als Ursache dafür, dass der Wert der Rüstungsexportgenehmigungen zurückgegangen ist. 

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Hans Christoph Atzpodien, sprach sogar davon, dass die Politik der Bundesregierung "unvorhersehbar" geworden und für Kunden und Partnerländer "durch überraschende Wendungen oft nicht nachvollziehbar" sei. "Dadurch wurden erhebliche Irritationen gerade auch bei unseren europäischen Partnern ausgelöst. Das muss sich ändern." Mit Blick auf  bereits erteilte Exportgenehmigungen für Saudi-Arabien, bezüglich derer die Bundesregierung die Industrie gebeten hat, sie nicht zu nutzen, hielt Atzpodien sogar Schadensersatzklagen der Industrie für möglich.

Beide Urteile waren voreilig. Auf den ersten Blick ist der Wert der genehmigten Rüstungsexporte tatsächlich der niedrigste Wert der letzten vier Jahre. Das aber liegt vor allem daran, dass in diesen drei Jahren Rekordwerte genehmigt wurden, die deutlich über Jahren zuvor lagen: 6,24 Mrd. € im Jahr 2017, 6,85 Mrd. im Jahr 2016 und gar 7,86 Mrd. € im bisherigen Spitzenjahr 2015. Ausgeblendet wird dabei auch, dass Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister nicht nur für die Spitzenwerte für 2015 und 2016 verantwortet hat, sondern auch den niedrigsten Wert der letzten 14  Jahre. 2014 verantwortete er Rüstungsexportgenehmigungen im Wert von 3,97 Mrd. €.

Zudem sind die 4,62 Mrd. € für 2018 eine vorläufige und damit eher unzuverlässige Angabe. Sie erfasst die Genehmigungen der zweiten Dezemberhälfte noch nicht. Hier rächt sich eine Unsitte. Abgeordnete fragen Genehmigungswerte immer häufiger schon so früh ab, dass die Bundesregierung mit vorläufigen Zahlen für ein Jahr, Halbjahr oder Quartal antworten muss und deshalb nur unvollständige, vorläufige Angaben machen kann. Diese werden dann bewertet, können sich noch deutlich ändern. Binnen weniger Wochen kommen meist ergänzte und korrigierte Zahlen in die Öffentlichkeit. So ist es auch in diesem Fall wahrscheinlich.

Zum einen fehlen in den 4.62 Mrd. € alle nach dem 13.12. erteilten Genehmigungen. Zum anderen hat die Bundesregierung zwischen den Jahren mitgeteilt, dass sie inzwischen den Export zumindest einer Fregatte nach Ägypten und von 165 Materialpaketen für militärische LKW nach Algerien genehmigt hat. Beide Genehmigungen haben zusammen einen Mindestwert von 500-600 Mio. €. Rund 500 Mio. € dürften dabei auf die Fregattengenehmigung entfallen. Ob diese bereits auf die 2018 genehmigten Ausfuhrwerte angerechnet werden wird, muss offen bleiben, denn die Ausfuhr des Kriegsschiffs steht bestimmt nicht bereits 2019 an, sondern erst in einigen Jahren. Genehmigt wurde wahrscheinlich der Bau der Fregatte, um den Abschluss eines Vertrages zwischen TKMS und Ägypten zu ermöglichen. Würde ihr Genehmigungswert angerechnet, so läge der Gesamtwert der 2018 erteilten Einzelausfuhrgenehmigungen also eher bei 5,2 Mrd. € oder darüber. Dann entspräche der Gesamtwert der Einzelgenehmigungen 2018 aber in etwa den Durchschnittswerten für die Jahre 2006 bis2013, würde also keinen gravierenden Einbruch bei den erteilten Genehmigungen darstellen. Eine Reduzierung gäbe es dann lediglich im Vergleich zu den deutlich erhöhten Werten der vergangenen Legislaturperiode. Die Industrie würde dann vor allem kritisieren, dass 2018 kein überdurchschnittlich hoher Wert, also kein nachhaltiges Wachstum, erreicht worden wäre.

Zugleich gilt es festzuhalten: Die Genehmigungswerte deutscher Rüstungsexporte können von Jahr zu Jahr aus ganz unterschiedlichen Gründen stark schwanken. In Wahljahren werden hohe Werte meist nur dann erreicht, wenn eine scheidende Bundesregierung größere Exporte genehmigt, um die Folgeregierung politisch zu binden oder die politische Verantwortung für umstrittene Exporte mit dieser zu teilen. Stehen solche Entscheidungen nicht an, sind die Genehmigungswerte oft etwas niedriger als in den Vorjahren. Nicht dringend erforderliche Entscheidungen über Rüstungsexporte ruhen während des Wahlkampfes öfter über Monate, wenn sie nicht zuvor an die Beamtenschaft delegiert wurden oder im Umlaufverfahren konsensual getroffen werden. Sitzungen des Bundessicherheitsrates während des Wahlkampfes und der dann folgenden Regierungsbildung sind ungewöhnlich. Dauert die Bildung einer neuen Regierung lange, so kann dieser Zustand - wie 2017/18 - auch bis in das Folgejahr anhalten. 

In den Ministerien stapeln sich dann Anträge, über die politisch noch nicht entschieden wurde. Auch juristische Unwägbarkeiten wie etwa das 2013/14 ausstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichts können eine ähnliche Wirkung haben. Ursache für größere Schwankungen bei den Genehmigungswerten können auch Großprojekte mit hohem Wert sein. Sie stehen nicht in jedem Jahr zur Entscheidung an. Schließlich kann die Bundesregierung Genehmigungen auch in das nächste Jahr verschieben, um ihre Statistik besser aussehen zu lassen. Aus vorläufigen Zahlen für das Jahr 2018 bereits ableiten zu wollen, dass die derzeitige Bundesregierung wohl eine restriktivere Genehmigungspolitik praktiziere als ihre Vorgängerin, wäre zumindest voreilig. 

Interessanter sind dagegen die Beobachtungen, die aus einer Zusammenstellung der Genehmigungswerte über einen längeren Zeitraum gewonnen werden können. Eine Übersicht über die 1999 bis 2017 erteilten Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsexporte macht solche längerfristigen Trends sichtbar.  

Deutsche Rüstungsexportgenehmigungen  

Jahr

Einzelgenehm.
Welt in Mrd.

Einzelgenehm. 
NATO, EU,  Gleichgestellte 
in Mrd.

Einzelgenehm. 
Drittstaaten in Mrd.

Koalition

ZwS 2014-17

24,92

10,44

14,48

GroKo 2

2017

6,24

2,45

3,80


2016

6,85

3,18

3,67


2015

7,86

3,24

4,62


2014*

3,97

1,57

2,40


ZwS 2010-13

20,71

10,83

9,88

Schwarz-Gelb

2013

5,85

2,25

3,60


2012

4,70

2,10

2,60


2011

5,41

3,11

2,30


2010

4,75

3,37

1,38


ZwS 2006-09

20.69

12,68

8,01

GroKo 1

2009

5,04

2,55

2,49


2008

5,79

2,65

3,14


2007

5,67

4,44

1,23


2006

4,19

3,04

1,15


ZwS 2003-05**

12,89

8,54

4,35

Rot-Grün 2

2005

4,22

2,56

1,66


2004

3,81

2,73

1,08


2003

4,86

3,25

1,61


ZwS 1999-2002

12,83

9,35

3,48

Rot-Grün 1

2002

3,26

2,51

0,75


2001

3,69

2,34

1,35


2000

2,85

2,25

0,60


1999

3,03

2,25

0,78


Quelle: Jahresberichte der Bundesregierung 1999 bis 2017
* Jahr des Wartens auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
** um 1 Jahr verkürzte Legislaturperiode
ZwS=Zwischensumme jeweils für die vorausgegangene Legislaturperiode / Koalition


Der Wert aller erteilten Einzelausfuhrgenehmigungen hat sich im Zeitraum 1999 bis 2017 in etwa verdoppelt. In zwei Legislaturperioden gab es signifikante Steigerungen der Genehmigungswerte: Es waren die Amtszeiten der beiden Großen Koalitionen 2006-2009 und 2014-2017. In beiden Legislaturperiode stiegen die durchschnittlichen Jahreswerte der Genehmigungen um rund 2 bzw. rund 1 Mrd. € pro Jahr im Vergleich zur vorherigen Legislaturperiode.

Der Wertanteil der besonders häufig umstrittenen Genehmigungen für Drittländer stieg von 25-30% während der ersten erfassten Legislaturperiode auf zuletzt fast 60 Prozent. Der Anteil der Empfänger in NATO-, EU- und gleichgestellten Staaten ging dagegen von ca. 70-75 Prozent des Wertes aller erteilten Genehmigungen auf nur gut 40% zurück. Exporte in Drittländer haben also ganz erheblich an Bedeutung gewonnen und machen mittlerweile den größten Teil der genehmigten Rüstungsexporte aus. Dieser Trend zu verstärkten Exporten in Drittländer würde übrigens noch deutlicher zu Tage treten, würde man all jene Länder, die im erst im Zeitraum 1999-2017 der NATO und / oder der EU beigetreten sind, bzw. in den Kreis der Gleichgestellten aufgenommen wurden, aus Gründen der statistischen Vergleichbarkeit auch den Drittländern zurechnen.

Auffällig ist auch, dass es bei den Werten der Einzelausfuhrgenehmigungen für die Gruppe der NATO-, EU- und gleichgestellten Staaten während der fünf abgebildeten Legislaturperioden keine wesentliche wertmäßige Veränderung gegeben hat, obwohl diese Staatengruppe deutlich gewachsen ist. Die Steigerung der Genehmigungswerte resultiert fast ausschließlich aus den erhöhten Werten für die gesunkene Zahl der Drittländer. Deren Wert lag in der letzten Legislaturperiode etwa viermal so hoch wie in der ersten abgebildeten Periode. Der Anstieg ereignete sich ebenfalls hauptsächlich während der Regierungszeit der beiden Großen Koalitionen. Abzuwarten bleibt, ob sich dieser klar erkennbare Trend während der der derzeit regierenden dritten Großen Koalition erneut bestätigt.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS