Originalbeitrag
13. Juli 2017


NATO-Gipfel: Hybride Kriegsführung kann militärische Beistandspflicht auslösen

von Otfried Nassauer


Versteckt in der 79 Punkte und 38 Seiten langen Schlusserklärung des NATO-Gipfels von Brüssel hat die Allianz ihre Verpflichtungen aus dem Nordatlantik-Vertrag um eine entscheidende neue Interpretation erweitert. In Punkt 21 der Gipfelerklärung heißt es: "In Fällen von hybrider Kriegsführung könnte der Rat wie bei einem bewaffneten Angriff beschließen, den Bündnisfall nach Artikel 5 des Washingtoner Vertrags auszurufen." Zwar liege die primäre Verantwortung für den Umgang mit hybriden Bedrohungen bei dem angegriffenen Allianzmitglied, doch sei die Allianz bereit, "auf Beschluss des Rates einen Verbündeten in jeder Phase einer hybriden Operation zu unterstützen" und werde Unterstützungsteams zur Hybrid-Abwehr "aufstellen, die den Verbündeten auf ihr Ersuchen hin maßgeschneiderte, zielgerichtete Unterstützung bei ihrer Vorbereitung und Reaktion auf hybride Aktivitäten zur Verfügung stellen."

Die Formulierungen sind vorsichtig gewählt und das aus gutem Grund: Zum einen stellt hybride Kriegführung, zu der in der Nato auch Täuschmaßnahmen, verdeckte Operationen, Propaganda, wirtschaftlicher Druck, Cyberangriffe oder der Einsatz irregulärer Kämpfer gezählt werden, nicht zwingend einen Angriff auf das Territorium eines Staates dar. Sich in einem solchen Fall genauso auf den Artikel V des NATO-Vertrages zu beziehen wie im Falle eines militärischen Angriffs auf ein Bündnismitglied, untergräbt die auch der Charta der Vereinten Nationen grundlegende Definition, dass nur der Angriff auf das Territorium eines anderen Staates dem Angegriffenen das Recht zur militärischen Selbstverteidigung gibt. Ein Cyberangriff, dessen Verursacher möglicherweise nicht einmal eindeutig festgestellt werden kann, erfüllt dieses Kriterium kaum. 

Zum anderen wurde die erweiterte Auslegung der Beistandspflicht nach Artikel 5 des NATO-Vertrages durch die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten beschlossen und nicht in Form einer Vertragsänderung. Man kann also fragen, ob die Staats- und Regierungschefs ihre Kompetenzen überschreiten, wenn sie einen solchen Schritt vornehmen. Eine Vertragsänderung hätte dagegen eine Ratifizierung des modifizierten NATO-Vertrags durch die nationalen Parlamente erfordert. Auch diesen Vorschlag gab es. Der britische Abgeordnete Lord Jopling hat Ende Mai bei der Frühjahrssitzung der Parlamentarischen Versammlung der NATO vorgeschlagen, zu diesem Zweck einen gesonderten Artikel 5B in den NATO-Vertrag einzuführen.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS