Originalbeitrag
23. Mai 2019


Unfreiwillige Transparenz oder peinliche Panne?

von Otfried Nassauer


"Die Auflistung sämtlicher Unternehmen (...), die im vergangen Jahr eine Genehmigung für die Ausfuhr von Kriegswaffen erhalten haben, stellt eine sensible Information dar. (...) Dieses detaillierte Informationsbild zum Kreis der im Rüstungsbereich tätigen Unternehmen ist unter Sicherheitsaspekten schutzwürdig. Die entsprechenden Informationen sind daher als VS-Nur für den Dienstgebrauch" eingestuft." Diese Auskunft erteilte Ulrich Nußbaum, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, im Mai Abgeordneten der Linken und der Grünen, die entsprechende Informationen angefordert hatten. Wenige Tage später wurde das Ministerium selbst zur Sicherheitslücke. Es publizierte die Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken zusammen mit allen zugehörigen Verschlusssachen auf seiner Internetseite. Rund 14 Tage dauerte es, bis das Haus Altmeier den Irrtum entdeckte und die als Verschlusssache gekennzeichneten 48 Seiten wieder entfernte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die sensiblen und schutzwürdigen Informationen, die nach Auskunft dcr Bundesregierung auch das Staatswohl gefährden konnten, offen auf der Homepage des Ministeriums für jedermann einsehbar.

Liest und analysiert man diese Antworten,. so stößt man zunächst auf eine Vielzahl breit bekannter Rüstungsunternehmen: Von A wie Airbus oder AIM-Infrarotmodule über D wie Diehl oder Dynamit Nobel Defence, R wie Rheinmetall, Renk und RUAG oder schließlich bis Z wie zum Beispiel die Zahnradfabrik in Friedrichshafen. All diese Firmen sind interessierten Bürgern schon lange ein Begriff, nicht zuletzt, weil sie selbst in Branchen- oder Lobbyverzeichnissen auftauchen, bei Messen im Ausland auftreten oder in entsprechenden Fachzeitschriften inserieren. Der Erkenntnisgewinn durch die Antwort der Bundesregierung ist für interessierte Leser gering. Sie kennen ihre "Pappenheimer" meist schon lange und könnten der Liste des Ministeriums problemlos weitere Firmen hinzufügen, die im abgefragten Jahr 2018 keine Exportgenehmigungen erhalten haben. Sensibel und schutzbedürftig ist die reine Nennung dieser Firmen nicht.

Eine zweite größere Gruppe stellen Waffenhandelsgeschäfte dar, die ihre Kunden im Ausland meist mit Jagd- und Sportwaffen und der zugehörigen Ausstattung wie Munition, Optiken oder Zubehör wie Waffenschränken beliefern - Firmen wie z.B. Frankonia, ein bundesweit aktives Unternehmen. Warum die öffentliche Nennung dieser Firmen eine sensible schutzwürdige Information darstellen sollte, ist nicht ohne weiteres ersichtlich.

Eine dritte Firmengruppe sind Zulieferer, die rüstungsrelevante Komponenten exportieren. Betriebe, die spezielle Pumpen, besondere Getriebe, militärisch abgeschirmte Kabel oder besondere Werkstoffe und Maschinen liefern können, deren Export genehmigungspflichtig ist. Dies ist der informativste Teil der Antwort. In dieser Gruppe von Genehmigungsempfängern könnte in der Tat die eine oder andere Firma genannt worden sein, die öffentlich selten oder gar nicht mit Rüstungsexporten in Verbindung gebracht wird.

Schließlich gehören auch Behörden oder staatseigene Betriebe zu den Empfängern von Genehmigungen für Drittländer. Beispielhaft genannt seien die in Hessen ansässige VEBEG, die nicht mehr benötigtes Bundeswehrgerät verkauft, das für Koblenzer Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, sowie die in Eschborn ansässige Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und das Referat 115 "Innerer Dienst" des Auswärtigen Amtes. das u.a. die Ausstattung deutscher Botschaften im Ausland sicherstellt und dafür natürlich auch gelegentlich Ausfuhrgenehmigungen benötigt.

Die aufschlussreichsten und informativsten Antworten unterliegen dagegen nicht der Geheimhaltung. Firmen in zwei der 16 Bundesländer haben 2018 das Gros aller Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsexporte eingeheimst. Bayern und Baden-Württemberg kommen zusammen auf Genehmigungen im Umfang von knapp 3,2 Mrd. Euro. Insgesamt wurden 2018 Genehmigungen in Höhe von gut 4,8 Mrd. Euro. Etwa zwei Drittel aller Genehmigungen entfielen also auf diese beiden Bundesländer. Da können selbst die norddeutschen Länder mit ihrer sprichwörtlichen Küstenmafia nicht mithalten. Deren Exporte bestehen oft aus teuren Kriegsschiffen und U-Booten und werden deshalb oft und gerne als Erklärung für zeitweise hohe Genehmigungswerte genannt.

Aus einer parallelen Anfrage der Grünen geht zudem hervor, dass Algerien 2018 die höchsten Genehmigungswerte erzielte: Knapp 820 Mio. Euro. Auch andere problematische Drittstaaten rangierten 2018 weit vorne: Saudi-Arabien mit 416 Mio. Euro, Pakistan mit 174 Mio. Euro oder Katar und Indien mit je 96 Mio. Euro. 

Fassen wir also zusammen: Offen bleibt nach der Lektüre der vollständigen Antwort der Bundesregierung vor allem eines: Zielte die geplante, aber misslungene Geheimhaltung darauf, der Öffentlichkeit in Deutschland möglichst viele Informationen vorzuenthalten? Dieser Eindruck muss entstehen, wenn man analysiert wie intensiv das Berliner Wirtschaftsministerium mittlerweile das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2014 nutzt, um Detailwissen über konkrete Rüstungsexporte zu einem Privileg der Exekutive zu erklären. Überwiegend geht es wohl darum, diese Informationen der überwiegend kritischen deutschen Öffentlichkeit vorzuenthalten und zu verstecken, dass man der Außenwirtschaftsförderung weiterhin Vorrang vor der Rüstungsexportkontrolle einräumt.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS