Originalbeitrag
28. Januar 2020


Pegasus wird nicht mit Triton fliegen

von Otfried Nassauer


Es ist gekommen wie es kommen musste. Das Berliner Verteidigungsministerium hat zum zweiten Mal die Beschaffung von großen Drohnen aus der Familie der Global- Hawk-Drohnen von Northrop Grumman abgebrochen. 2013 war der erste Versuch mit dem Eurohawk gescheitert, jetzt folgte auch das „Aus“ für die MQ 4C Triton. Mit dieser neueren Version hatte die Bundeswehr seit 2017 die Idee wiederbelebt, ein in großer Höhe fliegendes fernmeldeelektronisches Aufklärungssystem  einzuführen. PEGASUS, das „PErsistent German Airborne Surveillance System“ wird also keine Starterlaubnis an Bord einer Drohne erhalten. 

Das Verteidigungsministerium bestätigte heute einen entsprechenden Bericht der Zeitschrift Defense News. Die Bundeswehr wird MQ 4C Triton nicht kaufen. Das bis zum Jahresende 2019 befristete Angebot von Northrop ist ausgelaufen ohne das es zu einem Vertrag kam. Statt dessen sollen nun drei Geschäftsreise-Jets vom Typ Global 6000 erworben werden, in die in den kommenden Jahren das in Deutschland von Hensoldt Sensorsystems (früher Airbus) entwickelte signalerfassende Aufklärungssystem ISIS eingebaut werden soll. Drei  Flugzeuge dieses Typs kaufte das Ministerium bereits letztes Jahr für ihre „weiße Flotte“ der Regierungsflieger. Im Sommer 2019 wurden sie bestellt und noch vor Jahresende standen sie auf dem Hof. Weitere angebliche Vorteile: Die Triebwerke dieser Flugzeuge werden in Dahlewitz bei Berlin entwickelt und gebaut. ISIS kann auch so einer Nutzung zugeführt werden und die Zusage an die NATO, bis 2025 deutscherseits eine Anfangsbefähigung für die signalerfassende Aufklärung für das Bündnis bereitzustellen, kann vielleicht auch noch eingehalten werden, wenn nichts mehr dazwischen kommt.

Für die Entscheidung gegen die Drohne und für die kleinen Jets werden etliche Gründe berichtet. Zum einen sei das Vorhaben mit der Drohne letztlich viel teurer geworden als geplant. Die Kosten für drei Drohnen seien auf bis zu 2,5 Milliarden Dollar angewachsen. Neben hoher Kosten für Erwerb und Umbau der Drohne sei ein weiterer, deutlich unterschätzter Risikofaktor aufgetaucht – der finanzielle und zeitliche Aufwand, um überhaupt eine Muster- und Verkehrszulassung für die Drohne zu bekommen. Der Zulassungsprozess für die technisch verwandte Großdrohne Global Hawk, die für das NATO-Aufklärungssystem AGS genutzt werden soll, habe in Italien nicht nur zu jahrelangen Verzögerungen geführt, sondern auch zu ähnlich umfangreichen Nutzungsbeschränkungen für den Einsatz im europäischen Luftraum wie für die Global Hawk der US-Luftwaffe. Deutschland dürfen beide Drohnen z.B. nur in einem festgelegten Korridor und in einer Höhe von 18.000 bis 20.000 Metern überfliegen. In diesem Korridor darf auch nur eine Drohne unterwegs sein. Eine Zulassung der Triton für den Flugbetrieb über Deutschland und Europa würde  wahrscheinlich zu ähnlich inakzeptabel großen Beschränkungen der Einsetzbarkeit führen und zudem sehr teuer und zeitaufwändig sein, da auch für diese Drohne eine eigene Musterzulassung erforderlich ist. Angedeutet werden sogar Zweifel, ob die Triton in Deutschland überhaupt eine Zulassung bekommen würde, weil notwendige Sicherheitstechnik, um solche Drohnen auch im zivil genutzten Luftraum betreiben zu können, weder eingebaut noch bereits fertig entwickelt sei. Schließlich sei nicht mehr genug Zeit vorhanden, wenn die Bundeswehr ihre Zusage einhalten wollte, der NATO bis 2025 eine Anfangsbefähigung zur signalerfassenden Aufklärung zur Verfügung zu stellen. Das könne jetzt nur noch mit einem bemannten Träger für ISIS erreicht werden. Damit könne zudem sichergestellt werden, dass die Entwicklungskosten für die deutsche Missionsausrüstung ISIS nicht abgeschrieben werden müssen. 

Das mutet an wie ein Deja Vu. Die zentralen Argumente gleichen jenen, die in den Jahren 2013 und 2014 zum Ende Eurohawk-Vorhabens führten und schon damals das deutsche Entwicklungsvorhaben für eine nationales signalerfassende elektronische Aufklärungstechnologie, ISIS, retten sollten. Aus verständlichem Grund. An Bord der bis 2010 für die SIGINT-Aufgabe genutzten Breguet Atlantic-Flugzeuge wurde Aufklärungstechnologie aus den USA genutzt. Dies war nur gegen eine besondere Gegenleistung ermöglicht worden. Die USA hatten jederzeit Zugang zu den Rohdaten der Aufklärungsergebnisse. Deshalb legten Bundeswehr und BND in den letzten Jahren großen Wert darauf, dass künftig nationale Technik zum Einsatz komme.

Das Deja Vu betrifft aber auch noch einen zweiten, wichtigen Aspekt. Bereits spätestens 2013 war klar, dass die Aussichten auf eine Zulassung für den Eurohawk minimal waren. Ein Sensorsystem, das in gefährliche Nähe kommende andere Flugzeuge rechtzeitig erkennen und der Drohne automatisch ein Ausweichen nach den internationalen Regeln der ICAO  ermöglichen würde (sense and avoid) war nicht verfügbar und wäre auf Jahre auch nicht zu entwickeln gewesen. Zudem  fehlten dafür für den überfüllten Luftraum über Europa auch noch wesentliche Rahmenbedingungen der Zukunft. Dieser befand sich bereits damals in der geplanten langwierigen Umstrukturierung zu einem Single European Space (SES), in dem auch eine neue Form des Luftverkehrsmanagements eingeführt werden soll. Für die Entwicklung eines Sense and Avoid-Systems fehlten somit noch Parameter, die erst in den 2020er Jahren Stück für Stück mit ausreichender Verlässlichkeit verfügbar werden würden. 

Bei der Entscheidung, es nach dem Eurohawk mit Triton erneut mit einem hochfliegenden unbemannten System zu versuchen, war absehbar, dass sich an dieser problematischen Ausgangslage zu wenig ändern würde, um rechtzeitig eine vollumfängliche Zulassung für die regelmäßige Nutzung im auch zivil beflogenen Luftraum zu erreichen. Trotzdem hielt die Bundeswehr an ihrer Goldrandlösung einer hochfliegenden Großdrohne fest. Nach den Erfahrungen mit dem Eurohawk Projekt dürfte es wahrscheinlich an Chuzpe großen Umfangs bedurft haben, den Versprechungen der Industrie zu glauben, die vorhersehbaren Probleme seien in den nächsten 5-10 Jahren wirklich technisch zu lösen. 

Vielleicht aber ging es auch damals schon eher darum, noch einmal Zeit zu gewinnen, weil auch das begehrte nationale Signalerfassungssystem noch nicht wirklich fertig entwickelt war. Ein erster kleiner Hinweis, dass auch die elektronischen Ohren für das System PEGASUS noch Probleme bereiten könnten, findet sich in deren aktueller Bezeichnung. ISIS wird nunmehr als ISIS-ZB bezeichnet. Die beiden zusätzlichen Buchstaben „ZB“ stehen für das Wort „Zielbefähigung“, also für eine Fähigkeit, die derzeit noch ein Ziel darstellt. Auch dieser Umstand muss Fachleuten schon länger bekannt gewesen sein. Als sich Berater von der KPMG das Vorhaben  Eurohawk vor Jahren genauer anschauten, stellten sie nämlich fest, dass auch der deutsche Anteil des Vorhabens noch ein größeres Problem hatte. Ein entscheidendes, 2007 beauftragtes ergänzendes Projekt namens GAST (Gemeinsames Auswertesystem) war nämlich wegen nicht einhaltbarer Versprechen der Industrie bereits 2008 wieder gekündigt worden. Ein Nachfolgeauftrag wurde nicht vergeben. So entstand eine gravierende Lücke, die der frühere Generalinspekteur Volker Wieker vor dem Untersuchungsausschuss Eurohawk einmal so beschrieb: Jetzt fehle die „Sortiermaschine für die empfangenen Daten, um  sie in die richtigen Analysebereiche zu übersenden“. Um im Bild zu bleiben: Weil es GAST nicht gibt, müssten die Unmengen an Signalen und Rohdaten, die ISIS an Bord der Drohne sammeln sollte, nach der Übertragung an die Bodenstation, quasi händisch sortiert und zu den richtigen Auswertern weitergeleitet werden. Auf dieses Problem stießen auch die Berater der KPMG. Sie rieten dazu, softwarebasierte Konverter zu entwickeln, um zumindest Teile dieser Arbeit zu automatisieren.  

Nicht bekannt ist, ob dieses Problem inzwischen zufriedenstellend gelöst wurde. Bekannt wurde aber, dass es zunächst massiv unterschätzt wurde. Mit einer Million Euro, verteilt auf 5 Jahre, wollte die Bundeswehr das Problem zunächst angehen. Eine grotesk niedrige Summe, die später deutlich angehoben worden sein dürfte. Ob man inzwischen Erfolg hatte, ist ebenso wenig öffentlich bekannt wie die Tatsache, ob das Problem beim Einsatz von ISIS an Bord eines Flugzeugs geringer ausfällt.   

Allerdings: Der Verteidigungshaushalt enthält bislang kein Geld für die Beschaffung von Pegasus, teilte die Bundesregierung noch im Dezember 2019 auf Anfrage mit. Das kann ein Problem werden, denn Bombardier will die Produktion der Global 6000 bald einstellen. Kann das erforderliche Geld nicht rechtzeitig eingestellt oder umgewidmet werden, so könnte die Beschaffung der kleinen Jets noch scheitern und damit auch die letzte realistische Möglichkeit, der NATO - wie zugesagt - bis 2025 eine Anfangsbefähigung für die signalerfassende Aufklärung zur Verfügung zu stellen.  Ein Schelm, wem Böses dabei schwant und der deshalb unkt: Wenn alle Stricke reißen, bliebe ja immer noch die Möglichkeit, noch ein drittes Mal auf eine Drohnenlösung zurückzukommen. 

Quellenhinweis: Dieser Beitrag fußt neben aktuellen Medienberichten u.a. auf den Bundestagsdrucksachen 19/6510, 19/8411, der Antwort der Bundesregierung auf DS 19/15188, sowie DS 17/12136 und diversen Unterlagen, die während des Untersuchungsausschusses Eurohawk öffentlich zugänglich gemacht wurden.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS