Unveröffentlichter Artikel
06. April 2009


Kleine Zahl – große Bedeutung?
Die Debatte über die letzten Atomwaffen in Deutschland

von Otfried Nassauer

Barack Obamas Prager Vision einer atomwaffenfreien Welt hat die deutsche Politik erreicht. Politiker aller Parteien loben Obamas Abrüstungsvorstoß. Doch Oppositionspolitiker wie FDP-Chef Guido Westerwelle und Wolfgang Gehrke von der Linken fordern die Bundesregierung darüber hinaus zur Eigeninitiative auf. Sie plädieren für einen Abzug der letzten amerikanischen Nuklearwaffen aus Deutschland. Darüber droht ein Grundsatzstreit.

Zu Zeiten des Kalten Krieges gab es sie zu Tausenden. In über 100 Depots lagerten atomare Minen, Granaten, Raketensprengköpfe und Bomben. Diesseits und jenseits der deutsch-deutschen Grenze. Waffen mit denen gesichert und mehrfach zerstört werden konnte, was vorgeblich verteidigt werden sollte. Heute lagern in Deutschland nur noch etwa 20 nukleare Bomben vom Typ B-61. Sie befinden sich beim Jagdbombergeschwader 33 in Büchel (Eifel) und sind für den Einsatz durch deutsche Luftwaffen-Tornados vorgesehen. Piloten des Geschwaders trainieren ihren Einsatz im Frieden, um während eines Krieges – nach Freigabe der Waffen durch den US-Präsidenten - im Rahmen der „nukleare Teilhabe“ der NATO Nuklearwaffen einsetzen zu können. Alle anderen Kernwaffen wurden mittlerweile aus Deutschland abgezogen, auch jene B61-Bomben, die für die US-Luftwaffe vorgesehen waren. Ihr Abzug spiegelt die Erkenntnis, dass taktische oder substrategische Atomwaffen in Mitteleuropa aus militärischen Gründen nicht mehr gebraucht werden. Sie erfüllen keinen militärischen Zweck mehr, sondern haben vor allem eine politische Bedeutung.

Auf diese verweisen die Befürworter des Verbleibs dieser Waffen. Sie sitzen in der CDU und im Verteidigungsministerium. Die US-Nuklearwaffen in Deutschland seien Ausdruck der Bereitschaft Deutschlands, einen fairen Anteil an den Risiken, Lasten und Verantwortlichkeiten der nuklearen Abschreckung der NATO zu tragen. Nur, wer bei der „Nuklearen Teilhabe“ mitmache, könne bei Nuklearfragen im Bündnis auch mitentscheiden. Die nukleare Teilhabe stelle sicher, dass die Abschreckung für das gesamte Bündnisgebiet einheitlich gelte.

In Washington sieht man das anders. Schon als NATO-Oberbefehlshaber befürwortete der Sicherheitsberater Barack Obamas, Jim Jones, einen vollständigen Abzug aller Atomwaffen aus Europa. Die Abschreckung könne auch durch die britischen und amerikanischen Atom-U-Boote mit atomaren Langstreckenwaffen gewährleistet werden, die der NATO in Krise und Krieg unterstellt werden. Alle NATO-Staaten haben zudem – unabhängig von ihrem Beitrag zu den nuklearen Fähigkeiten der NATO - das Recht zur Mitwirkung in den nuklearen Strukturen und an den entsprechenden Entscheidungen der Allianz. Durch die nukleare Teilhabe wird die NATO weder in eine Zweiklassengesellschaft hinsichtlich der nuklearen Mitspracherechte noch in Zonen unterschiedlicher Sicherheit aufgeteilt.

Die nukleare Abrüstungsinitiative Obamas kann für die Bundesregierung auf zwei Wegen unter Druck geraten: Zum einen muss Berlin vermeiden, als Abrüstungsgegner dazustehen, der alleine oder mit anderen NATO-Ländern darauf beharrt, dass amerikanische Nuklearwaffen in Europa verbleiben. Zum anderen muss die Bundesregierung sich auf die Möglichkeit vorbereiten, dass Washington und Moskau künftig nicht nur die Zahl ihrer strategischen Langstreckenwaffen begrenzen, sondern auch über die Abrüstung nicht-strategischer Nuklearwaffen verhandeln.

Sollte sich die zweite Möglichkeit bieten, ist damit zu rechnen, dass die USA ihre europäischen NATO-Partner auffordern werden, dem Abzug aller Atomwaffen aus Europa zuzustimmen. Bietet sie sich nicht, so dürfte Washington auf ein europäisches Signal warten, dass der Abzug auf Zustimmung stößt. Berater haben Obama bereits vorgeschlagen, den europäischen NATO-Partnern deutlich zu machen, dass die Atomwaffen notfalls jederzeit nach Europa zurückgebracht werden könnten.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS