Kleine Zahl – große Bedeutung?
Die Debatte über die letzten Atomwaffen in Deutschland
von Otfried Nassauer
Barack Obamas Prager Vision einer atomwaffenfreien Welt hat die deutsche
Politik erreicht. Politiker aller Parteien loben Obamas Abrüstungsvorstoß.
Doch Oppositionspolitiker wie FDP-Chef Guido Westerwelle und Wolfgang
Gehrke von der Linken fordern die Bundesregierung darüber hinaus
zur Eigeninitiative auf. Sie plädieren für einen Abzug der letzten
amerikanischen Nuklearwaffen aus Deutschland. Darüber droht ein Grundsatzstreit.
Zu Zeiten des Kalten Krieges gab es sie zu Tausenden. In über 100
Depots lagerten atomare Minen, Granaten, Raketensprengköpfe und Bomben.
Diesseits und jenseits der deutsch-deutschen Grenze. Waffen mit denen
gesichert und mehrfach zerstört werden konnte, was vorgeblich verteidigt
werden sollte. Heute lagern in Deutschland nur noch etwa 20 nukleare Bomben
vom Typ B-61. Sie befinden sich beim Jagdbombergeschwader 33 in Büchel
(Eifel) und sind für den Einsatz durch deutsche Luftwaffen-Tornados
vorgesehen. Piloten des Geschwaders trainieren ihren Einsatz im Frieden,
um während eines Krieges – nach Freigabe der Waffen durch den US-Präsidenten
- im Rahmen der „nukleare Teilhabe“ der NATO Nuklearwaffen einsetzen zu
können. Alle anderen Kernwaffen wurden mittlerweile aus Deutschland
abgezogen, auch jene B61-Bomben, die für die US-Luftwaffe vorgesehen
waren. Ihr Abzug spiegelt die Erkenntnis, dass taktische oder substrategische
Atomwaffen in Mitteleuropa aus militärischen Gründen nicht mehr
gebraucht werden. Sie erfüllen keinen militärischen Zweck mehr,
sondern haben vor allem eine politische Bedeutung.
Auf diese verweisen die Befürworter des Verbleibs dieser Waffen.
Sie sitzen in der CDU und im Verteidigungsministerium. Die US-Nuklearwaffen
in Deutschland seien Ausdruck der Bereitschaft Deutschlands, einen fairen
Anteil an den Risiken, Lasten und Verantwortlichkeiten der nuklearen Abschreckung
der NATO zu tragen. Nur, wer bei der „Nuklearen Teilhabe“ mitmache, könne
bei Nuklearfragen im Bündnis auch mitentscheiden. Die nukleare Teilhabe
stelle sicher, dass die Abschreckung für das gesamte Bündnisgebiet
einheitlich gelte.
In Washington sieht man das anders. Schon als NATO-Oberbefehlshaber befürwortete
der Sicherheitsberater Barack Obamas, Jim Jones, einen vollständigen
Abzug aller Atomwaffen aus Europa. Die Abschreckung könne auch durch
die britischen und amerikanischen Atom-U-Boote mit atomaren Langstreckenwaffen
gewährleistet werden, die der NATO in Krise und Krieg unterstellt
werden. Alle NATO-Staaten haben zudem – unabhängig von ihrem Beitrag
zu den nuklearen Fähigkeiten der NATO - das Recht zur Mitwirkung
in den nuklearen Strukturen und an den entsprechenden Entscheidungen der
Allianz. Durch die nukleare Teilhabe wird die NATO weder in eine Zweiklassengesellschaft
hinsichtlich der nuklearen Mitspracherechte noch in Zonen unterschiedlicher
Sicherheit aufgeteilt.
Die nukleare Abrüstungsinitiative Obamas kann für die Bundesregierung
auf zwei Wegen unter Druck geraten: Zum einen muss Berlin vermeiden, als
Abrüstungsgegner dazustehen, der alleine oder mit anderen NATO-Ländern
darauf beharrt, dass amerikanische Nuklearwaffen in Europa verbleiben.
Zum anderen muss die Bundesregierung sich auf die Möglichkeit vorbereiten,
dass Washington und Moskau künftig nicht nur die Zahl ihrer strategischen
Langstreckenwaffen begrenzen, sondern auch über die Abrüstung
nicht-strategischer Nuklearwaffen verhandeln.
Sollte sich die zweite Möglichkeit bieten, ist damit zu rechnen,
dass die USA ihre europäischen NATO-Partner auffordern werden, dem
Abzug aller Atomwaffen aus Europa zuzustimmen. Bietet sie sich nicht,
so dürfte Washington auf ein europäisches Signal warten, dass
der Abzug auf Zustimmung stößt. Berater haben Obama bereits
vorgeschlagen, den europäischen NATO-Partnern deutlich zu machen,
dass die Atomwaffen notfalls jederzeit nach Europa zurückgebracht
werden könnten.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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